Wohl kein anderer Fußball-Experte polarisiert mit seinen Analysen der EM-Spiele derzeit so sehr wie Mehmet Scholl. Nervte der ARD-Mann die Zuschauer zu Turnierbeginn mit seinen regen Ausführungen zum Thema Packing, sorgte er nach dem Elfmeterkrimi gegen Italien erneut für Unmut. Vor allem seitens des DFB, der Scholls Angriff auf Chefscout Urs Siegenthaler dann auch nicht unkommentiert stehen lassen wollte.
Scholl hatte am späten Samstagabend die taktische Umstellung auf eine Dreierkette in der Abwehr heftig kritisiert. "Warum bringt man eine Mannschaft, die so funktioniert hat, in diese Situation, dass man sagt, man muss sie auf den Gegner anpassen", polterte der Ex-Nationalspieler gegen die Aufstellung von Bundestrainer Joachim Löw. Um sich dann vor allem auf Siegenthaler einzuschießen: "Der Herr Siegenthaler möge bitte seinen Job machen, morgens liegen bleiben, die anderen zum Training gehen lassen und nicht mit irgendwelchen Ideen kommen", so Scholl.
Siegenthaler nimmt Scholls Kritik gelassen
Siegenthaler selbst nahm die Kritik ziemlich entspannt auf. "Ich weiß nicht, was ich Herrn Scholl getan habe", sagte der frühere Co-Trainer der Schweizer Nationalmannschaft der "Bild". Jeder könne sich so äußern, wie er wolle, das sei auch Scholls "gutes Recht", so Siegenthaler, der eingrenzte, seinen Kritiker nicht persönlich zu kennen. Bei aller Gelassenheit, eine kleine Retourkutsche gegen Scholl konnte sich der Schweizer dann doch nicht verkneifen. "Vor 1000 Jahren haben die Menschen die Erde auch nicht als Kugel gesehen", sagte Siegenthaler, der Scholl damit wohl unterstellen wollte, die Komplexität des Projekts EM-Titelgewinn nicht zu verstehen.
Der DFB reagierte umso harscher auf Scholls Verbalattacke gegen seinen Chefscout, der seit 2004 für die Beobachtung der gegnerischen Mannschaften verantwortlich ist. Einst von Jürgen Klinsmann ins Team geholt, deckt der frühere Co-Trainer der Schweizer Nationalelf seither die taktische Ausrichtung sowie Stärken und Schwächen künftiger Konkurrenten auf, die er Löws Trainerstab dann schriftlich oder in Videos mitteilt.
Wohl auch deshalb reagierte der DFB dann auch umso harscher auf die Kritik an seinem langjährigen Mitarbeiter. "Was uns unglaublich ärgert - und das kann nicht sein -, Mehmet kennt unsere Abläufe nicht, er weiß nicht, wie Entscheidungen hier getroffen werden", konterte Nationalelf-Manager Oliver die Aussage seines ehemaligen Teamkollegen. Scholl selbst hatte offenbar vorrangig Siegenthaler für veränderte Aufstellung verantwortlich gesehen. "Ich weiß nicht, ob es nur Siegenthaler ist, aber Jogi Löw wacht nicht nachts auf und sagt: 'Jetzt hab ich's: Dreierkette, Dreierkette, Dreierkette'", mutmaßte der ARD-Experte.
Löw kritisiert Scholl indirekt
Tatsächlich dürfte Siegenthaler, selbst fünfmal Schweizer Meister und seit 1978 Inhaber einer Trainerlizenz, einen nicht unbedeutenden Einfluss auf Löws Spielerwahl und die taktische Marschroute haben. Dass der 68-Jährige aber - wie von Scholl gemutmaßt - allein die Aufstellung bestimme, sei falsch, betonte auch Bierhoff. Löw habe zwar klare Vorstellungen darüber, was er machen will, so der Manager. Letztlich aber bespreche er sich stets "mit seinen Fachleuten, mit seinen Co-Trainern, mit Andi Köpke, mit den Scouts. Viele Experten machen hier sehr gute Arbeit".
Löw selbst hatte bereits am Sonntag verdeutlicht, dass eine Dreierkette gegen Italien für ihn schon seit Tagen und gerade nach dem Auftritt der Azzurri gegen Spanien logisch gewesen sei. Am Montag legte der Bundestrainer dennoch nach - inklusive Seitenhieb in Richtung Scholl.
Taktische Ausrichtungen könne man immer so oder so sehen, sagte Löw. Was er jedoch nicht gut finde, sei, "wenn man wertvolle Mitarbeiter von mir in meinem Stab persönlich angreift. Das finde ich nicht in Ordnung, weil Außenstehende die Abläufe, die es intern gibt und welche Dinge wir intern wann und wie besprechen, nicht beurteilen können." Der ein oder andere sollte sich diesbezüglich ruhig mal Gedanken machen, führte Löw aus. Auch wenn er nicht aussprach, wen er damit meinte, dürfte seine Worte doch vor allem an Scholl gerichtet gewesen sein. Der wiederum wollte sich nicht weiter zu dem Thema äußern.