Ex-Fußballstar Michael Ballack Leitwolf im Vorruhestand

  • von Björn Erichsen
Er galt bis vor 15 Monaten noch als unverzichtbar für Deutschlands Fußball. Jetzt serviert ihn sogar Bayer Leverkusen ab. Es droht das tragische Ende einer großen Karriere.

Die Mannschaft brauchte ihn nicht, um zu siegen. Auch ohne Michael Ballack hat Vizemeister Bayer Leverkusen beim VfB Stuttgart 1:0 gewonnen. Während Simon Rolfes, Stefan Kießling und Co. den knappen Vorsprung gegen die starken Schwaben über die Zeit kämpften, durfte Ballack lediglich im gelben Leibchen die Seitenlinie auf und ab traben. Nicht eine einzige Einsatzminute gönnte Trainer Robin Dutt dem ehemaligen Superstar des deutschen Fußballs. Höchststrafe!

Alpha-Mann Ballack droht bei Bayer Leverkusen die nächste schmerzhafte Ausmusterung. Das Fatale daran ist: Der Erfolg gibt Bayer-Trainer Dutt recht. "Lars Bender und Simon Rolfes sind sehr gut gestanden und haben ein tolles Spiel gemacht. Deshalb gab es keine Notwendigkeit für einen Wechsel - auch nicht für einen kurzen", begründete er seine brisante Personalentscheidung nach dem Spiel. Und tatsächlich: Wenn Ballack in dieser Saison für Leverkusen auflief, etwa bei der Pokalpleite in Dresden oder dem knappen Heimsieg gegen Bremen, spielte er passabel, grundsolide. Zum Leitwolf jedenfalls taugt Ballack schon lange nicht mehr.

Zweikampfhärte, strammer Schuss, Ellenbogen ausfahren

Ohnehin wirkt Ballack wie ein Anachronismus in einer Liga, die dem Jugendwahn verfallen ist. Wo Milchgesichter wie Dortmunds Mario Götze, Bayerns Thomas Müller oder Teamkollege André Schürrle Hochgeschwindigkeitsfußball zelebrieren, schauen "agressive Leader" wie Ballack immer öfter hinterher: Zweikampfhärte, strammer Schuss, und gern auch mal den Ellenborgen ausfahren, das sind die Rezepte von gestern. Das "beste Fußballeralter", das Experten vor nicht allzu langer Zeit zwischen 26 und 29 verorteten, ist um einige Jahre gesunken. Mit seinen 34 Jahren befindet ein Spieler wie Ballack, der vor allem von seiner Kraft lebt, höchstens noch im besten Renteneintrittsalter.

Doch selbst im schnelllebigen Fußballgeschäft ist der Absturz von Michael Ballack beispiellos: Er galt noch bis vor der WM in Südafrika als unumstrittene Führungsfigur im Nationalteam. Nach Boateng-Foul und seinem Abgang bei Chelsea London folgte ein würdeloses Intermezzo als Stand-By-Kapitän bis zu seiner endgültigen Ausbootung im Juni dieses Jahres. Wutentbrannt über eine angebliche Kommunikationspanne mit Bundestrainer Joachim Löw verzichtete er sogar auf sein Abschiedsspiel. Auch bei Leverkusen kam er nach erneuter Verletzung nie richtig in Tritt: In der vergangenen Saison erzielte Ballack in 17 Ligaspielen nicht ein einziges Tor, zum zweiten Platz seines Teams steuerte er nur eine einzige Torvorlage bei.

Ohrfeige für den Leitwolf

Doch wie geht es jetzt mit Ballack weiter? Immerhin verkniff Dutt es sich diplomatisch, den Ex-Leitwolf verbal zu demontieren und das angespannte Verhältnis weiter zu zerrütten. „Wer für einen Champions-League-Klub wie Bayer Leverkusen spielt, für den ist es eine Ehre, auf der Bank sitzen zu dürfen", hatte Dutt noch in der Vorwoche zum Besten gegeben. Eine Ohrfeige für einen erfolgverwöhnten Spieler wie Ballack, der vor einem Jahr noch englischer Meister war und über massig internationale Erfahrung verfügt - ganz im Gegensatz zu seinem Trainer.

Vor allem Rudi Völler bemühte sich zurzeit darum, das Problem herunterzuspielen. Weiß der Weltmeister von 1990 doch ganz genau, wie viel Sprengstoff in dieser Personalie steckt: "Wir gehen damit viel gelassener um, als von außen gedacht wird." Es gehe nicht nur um Ballack, versicherte der Sportchef fast schon treuherzig. "Es gibt ja auch andere Spieler, die im Moment nicht spielen, außerdem hat er ja letzte Woche gespielt." Schwer vorzustellen, dass sich Ballack davon besänftigen lässt. Auch Völlers Hinweis auf die anstehenden englischen Wochen, in der "jeder Spieler gebraucht wird", dürfte für Ballack wie blanker Hohn wirken. Dem Ex-Capitano geht es in der Sache selbstverständlich nicht allein um Einsatzzeit, es geht auch um Hierarchie.

"Individualinteressen sind zweitrangig"

Dass Ballack in der nächsten Woche beim Topspiel gegen Borussia Dortmund auflaufen wird, ist dagegen unwahrscheinlich. Angesichts der fehlerfreien und guten Vorstellung der beiden "Sechser" gibt es für den Bayer-Coach auch keinen Grund, die sattelfeste Zentrale umzubauen. Leverkusen-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser konstatierte nach dem Stuttgart-Spiel ohne Rücksicht auf den ehemaligen Superstar: "Individualinteressen sind zweitrangig. Der Sieg ist entscheidend."

Wer weiß: Vielleicht folgt bis zum Ende der Transferperiode Ende August noch ein Paukenschlag, und Ballack entscheidet sich doch noch für einen Wechsel. Wer an der Außenlinie in Stuttgart seinen Blick verfolgte, als er sich mit gelben Leibchen warmlief, konnte deutlich sehen: Dieser Mann, der stets den Kämpfer gegeben und sich sein Reservistendasein schönredete, kann seinen Absturz so langsam auch nicht mehr verdrängen. Es wäre ihm zu wünschen, dass er zumindest dieses Mal rechtzeitig von selbst die Reißleine zieht.

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