Ein Blick in die Sagenwelt genügt: Hoch in die Lüfte wollte der junge Ikarus steigen, zu neuen Ufern, zu höchsten Zielen. Dieser Wunsch, sich abzuheben von dem Normalen und das Außergewöhnliche zu schaffen, treibt die Menschen bis heute an. Ikarus stürzte ab, zu nah an der Sonne, zu nah am Erfolg – Ikarus wächserne Flügel hielten der Sonnenkraft nicht stand. Am vergangenen Wochenende verbrannten sich die Stars des FC Bayern München die Flügel – ihr Höhenflug wurde jäh gestoppt.
Ein bitteres 0:1 beim Hamburger SV, nur noch Platz vier in der Tabelle – die Bayern wurden auf Normalmaß zurechtgestutzt und stehen vor dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund schon gehörig unter Druck. Dabei ist es noch gar nicht lange her, als die Bayern als nahezu unschlagbar galten. Nach dem zugegebenermaßen überzeugenden 5:1-Triumph im DFB-Pokal beim VfB Stuttgart schien der Meistertitel nur noch lästiges Begleitprogramm zu sein. Aus dem Mündern von Trainer Jürgen Klinsmann, Manager Uli Hoeneß und Spielern wie Philipp Lahm schallte es im Chor: Wir sind nur schwer zu stoppen.
Die Konkurrenz schläft nicht
Die aktuelle Woche aber hat die Bayern auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. Die Münchner wissen: Weitere Punktverluste kann man sich nicht erlauben, zu stark und vor allem zu konstant spielt in diesem Jahr die Konkurrenz aus Hoffenheim, Hamburg und Berlin. Den Bayern bläst der Sturm mitten ins Gesicht, sie sind der Hauptrivale, Spiel für Spiel, Woche für Woche.
Gerade in den hohen Ansprüchen und der vermeintlichen Selbstüberschätzung liegt bei den Bayern die Gefahr begraben. Das wissen auch die Beteiligten. "Wir sind das Spiel in Hamburg zu locker angegangen", gibt der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge offen zu. Eine Aussage, die verwundert. Reicht den Bayern schon ein Spiel, um die Bodenhaftung zu verlieren? Offenbar, sonst hätte Klinsmann Mitte der Woche wohl nicht noch einmal eindringlich an die Disziplin seiner Truppe appelliert. Eine saubere Kabine und mehr Pünktlichkeit hatte er eingefordert – und das bei millionenschweren Superstars!
Ribéry, Ribéry, immer wieder Ribéry
Nehmen wir das Beispiel Franck Ribéry. In Stuttgart genial, in Hamburg katastrophal. Die Bayern haben sich von ihrem kleinen Pfiffikus abhängig gemacht. Hat er Lust, ist alles gut. Läuft es bei ihm nicht, stottert die Bayern-Maschine. Siehe Hamburg-Pleite. Man hat den Eindruck, die Bundesliga ist Ribéry ein Klotz am Bein. Er will hoch hinaus, der Alltag scheint ihm manchmal lästig.
Das nächste Problem steht im Bayern-Tor. Man wollte Michael Rensing Zeit geben, den langen unsäglichen Schatten seines Vorgängers Kahn los zu werden. Es funktioniert nicht richtig. Trotz so mancher Erklärungsversuche: Das Gegentor in Hamburg geht auf seine Kappe. Der Druck auf ihn wächst, einige schlaue Experten fordern bereits einen Ersatz für Rensing. Eine Diskussion, die Rensing noch schwächer macht und auch die gesamte Defensive zittern lässt. Die vielen Gegentreffer sprechen eine deutliche Sprache.
Wer kommt, wer geht?
Dann sind da noch die vielen Diskussionen außerhalb des Platzes. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Personalpolitik des Abonnement-Meisters nicht öffentlich breit getreten wird. Warum durfte das vermeintliche Supertalent Toni Kroos nach Leverkusen? Kommt Timoschtschuk im Juni oder Juli und was macht er denn bis dahin, der arme Kerl? Ist van Bommel bereits weg? Und überhaupt: Wo sind die neuen Stars, ein Baumjohann, ein Donovan – das kann ja wohl nicht alles sein!
Die Bayern reiben sich auf. Zwischen höchstem Anspruch, knallharter nationaler und internationaler Konkurrenz und Medien-Rummelplatz verlieren sie des Öfteren die gerade Linie zum größtmöglichen Erfolg. Das weiß auch Klinsmann und macht auf strengen Mahner.
Jetzt gilt's!
Das muss er auch – denn auf seine Bayern warten die Wochen der Entscheidung. Wie sagte doch der Manager mit ernstem Blick: "Jetzt wird es heiß, jetzt bekommen wir die anderen in den nächsten vier, sechs Wochen nicht von der Pelle." Hoeneß hat Recht. Schließlich nimmt noch im Februar mit den Spielen gegen Sporting Lissabon die heiß begehrte Champions League wieder Fahrt auf. Ein Wettbewerb, der jede Menge Kraft kostet. Kraft, die in den entscheidenden Spielen der Bundesliga fehlen könnte.
Eines ist auf Fälle klar: Gegen Borussia Dortmund müssen drei Punkte her. Es ist nicht davon auszugehen, dass Hoffenheim (in Gladbach), die Hertha (in Bielefeld) oder der HSV (in Karlsruhe) patzen werden, zu leicht erscheinen deren Aufgaben am Wochenende. Rummenigge kennt die schwierige Situation der Bayern. "Wir sind nicht so arrogant zu sagen: 'Wir werden mit acht oder zehn Punkten Vorsprung Deutscher Meister':" Kaum vorstellbar – in der Tat.