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P. Köster: Kabinenpredigt Warum der Nationalelf die Zuschauer weglaufen

Fußballer der Nationalelf vor einer Tribüne mit Zuschauern
Beim Länderspiel-Klassiker Deutschland gegen England war das Stadion nicht ausverkauft - sind die Fans übersättigt?
© Bongarts/Getty Images
Zwei Spiele, zwei Siege. Die Länderspielwoche war erfolgreich für die DFB-Auswahl. Nur leider lässt das die Zuschauer inzwischen reichlich kalt. Selbst schuld, findet stern-Stimme Philipp Köster.

Auf dem Papier war es eine sehr erfolgreiche Woche für die Nationalmannschaft. Erst den alten Rivalen England mit 1:0 besiegt und Lukas Podolski ehrenvoll in die Frührente verabschiedet. Und dann auch noch bei eisigen Temperaturen Aserbaidschan in der WM-Qualifikation geschlagen, den Dortmunder Bankdrücker Andre Schürrle resozialisiert und die Tabellenführung in der WM-Qualifikationsgruppe gesichert – man muss keinen niederländischen Pass haben, um diese komfortable Situation schätzen zu wissen.

Philipp Köster: Kabinenpredigt

Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.

Trotzdem war die Stimmung im deutschen Lager nur bedingt heiter. Der Sieg gegen die Engländer – glücklich und letztlich unverdient. Das 4:1 in Baku – ein glanzloser Pflichtsieg nach merkwürdig fahriger Anfangsphase, in der die deutsche Mannschaft den spieltaktisch limitierten Gegner durch Fehlpässe und nachlässiges Deckungsverhalten aufgebaut hatte. Da bemühte Joachim Löw nicht zu Unrecht die alte Hausfrauenweisheit, nach der "nicht alles Gold" sei, was glänzt. Unbeabsichtigt hat Joachim Löw damit jedoch auch den allgemeinen Status Quo der Nationalelf beschrieben. Denn abseits der beherrschbaren sportlichen Probleme ist der Status der DFB-Auswahl als strahlende und glitzernde Lieblingsmannschaft der Deutschen inzwischen arg angekratzt.

Der Glanz der Nationalelf ist weg

Nur zwei der letzten acht Heimspiele waren ausverkauft. In Dortmund kamen am Mittwoch nur 60.000 Zuschauer, was nicht ganz so trist wirkte wie der ebenfalls bei weitem nicht ausverkaufte Borussia-Park in Mönchengladbach beim Abschiedsspiel von Bastian Schweinsteiger.  Und demnächst beim Quali-Kick gegen die Feierabendtruppe aus San Marino ist der Spannungsfaktor derart übersichtlich, dass man schon sehr fußballverrückt sein muss, um sich das in Nürnberg im Stadion anzuschauen - und nicht daheim gelangweilt mit Erdnüssen in der Hand auf dem Sofa.

Die Nationalmannschaft als heißester Scheiß – das war einmal. Was natürlich auch den DFB-Funktionären aufgefallen ist. Oliver Bierhoff hat am Wochenende der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ein Interview gegeben, in dem er vor der Übersättigung des Publikums warnt und die Situation des Fußballs mit den Jahren vor der großen Bankenkrise vergleicht. Warten auf den großen Knall, quasi.

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Warten auf den großen Knall

Das war nun ein richtig lustiges Interview. Denn natürlich hat Bierhoff vollkommen recht. Angesichts der allgemeinen Übersättigung und des alltäglichen Live-Fußballs bleiben die Anhänger inzwischen gerne mal zu Hause, wenn es entweder wie gegen England um nichts geht oder der Gegner voraussichtlich ordentlich verprügelt wird wie San Marino. Und mit jedem Spaßturnier mehr, jedem zusätzlich erfundenen Sponsoren-Cup, jeder neuen klebrigen Marketingmaßnahme steigt die Gefahr, dass es den Zuschauern zuviel wird und sie sich womöglich eine andere Freizeitbeschäftigung suchen.

Aber dass ausgerechnet Bierhoff nun das Klageweib gibt, ist schon heiter. Denn der Manager der Nationalelf war im letzten Jahrzehnt eine der treibenden Kräfte der wirtschaftlichen Optimierung. Die deutsche Nationalmannschaft ist im Jahre 2017 ein perfekt durchkommerzialisiertes Produkt, bis hin zum versponsorten Fanklub und zum selbst erfundenen Spitznamen gibt es so gut nichts, was nicht monetär verwertet wird. Länderspiele sind heute Klatschpappen-Events, überraschungsfrei inszeniert wie Musicals.

Bierhoff muss bei sich selbst anfangen

Wenn es Bierhoff also ernst meinen würde mit der Kritik, würde er bei sich und der Nationalmannschaft anfangen. Er könnte sich fragen, ob der offizielle Fanklub wirklich unbedingt Werbung für einen Brausehersteller machen muss. Ob die Tickets für Länderspiele nicht doch zu teuer sind, normale Eintrittskarten für den Kirmeskick gegen San Marino kosten 25 bis 80 Euro. Und ob es Sinn ergibt, der Nationalelf einen Spitznamen aufzudrücken, den niemand jenseits offiziellen Marketingkanäle ernsthaft benutzt, es sei denn mit spöttischem Unterton.

Stattdessen zieht der Fußball-Zirkus weiter. Und Bierhoff trommelt schon wieder für die nächsten Stationen. Dass die U21-EM und der herrlich egale Confed-Cup nahezu zeitgleich stattfinden? Nicht ideal, aber "eine Riesenchance für uns als deutschen Fußball" und natürlich wie überhaupt immer "eine große Auszeichnung".

In Bierhoffs Welt ist eben alles Gold, was glänzt.

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