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P. Köster: Kabinenpredigt Selbstgefällig und undiszipliniert: RB Leipzigs hausgemachter Absturz

Ratlos am Spielfeldrand: Domenico Tedesco breitet die Arme im Spiel gegen Eintracht Frankfurt aus
Ratlos am Spielfeldrand: Domenico Tedesco breitet die Arme während des Spiels gegen Eintracht Frankfurt aus
© Arne Dedert / DPA
Im Mai feierte RB Leipzig den DFB-Pokalsieg und wollte nun richtig durchstarten. Stattdessen schleicht ein verzagtes und träges Team über den Platz. Das könnte Trainer Domenico Tedesco sein Amt kosten. Sagt stern-Stimme Philipp Köster.

Es ist erst ein paar Monate her, da wähnte sich RB Leipzig am Ziel. Der Gewinn des DFB-Pokals, also der erste wichtige Titel, schien den Reißbrett-Klub aus Leipzig endgültig in die Liga der fußballerischen Schwergewichte zu katapultieren. Dass Spieler Kevin Kampl provozierend eine Dose der namensgebenden Brause in den Pokal kippte, war sinnbildlich für die eingebildete Machtübernahme und das bisweilen unangenehm ausfransende Selbstbewusstsein der Truppe.

Im September 2022 ist von der Attitüde eines Topklubs nichts mehr übrig. Nach einem mauen Saisonstart und einer epischen 0:4-Klatsche bei Eintracht Frankfurt wütete Coach Domenico Tedesco: "Wir waren grottenschlecht – Katastrophe!“ Die Mannschaft war schon in der ersten Hälfte so fahrig und undiszipliniert aufgetreten, dass der Trainer in der Pause den halben Kabinentrakt zusammengebrüllt hatte, mit dem Erfolg, dass sich nach Wiederanpfiff genauso miserabel weitermachte. Was Tedesco dazu brachte, einen Erklärungsklassiker hervorzukramen, der sonst erst kurz vor Saisonende bemüht wird: "Wenn man drei Systeme spielt und es ändert sich nichts, dann liegt es an der Mentalität."

Entlarvende Analyse

Tedesco war in diesem Augenblick wohl nicht klar, welch entlarvende Analyse, welchen Bruch im Selbstverständnis des Klubs er da gerade angestellt hatte. Denn seit sich der österreichische Red-Bull-Konzern 2007 entschloss, zur Absatzsteigerung und Imagepflege ein Team im deutschen Fußball durchstarten zu lassen, war Mentalität stets ein Schlüsselbegriff der Weiterentwicklung. Attackieren, unter Druck setzen, den Erfolg erzwingen, das waren Leitmotive insbesondere des langjährigen Strategen Ralf Rangnick. Wer nicht mitmachte, wer nicht seine Aufgabe erfüllte, wer nicht um sein Leben rannte, war oft schneller weg, als er gucken konnte.

RB Leipzig im Spätsommer 2022 ist hingegen ein träges und zumindest in Frankfurt selbstgefälliges und undiszipliniertes Team, das sich in allen Mannschaftsteilen den grundlegenden Elementen des Erfolges verweigerte. Kaum ein Zweikampf, der mit Leidenschaft und Aggressivität bestritten wurde. Und kein sichtliches Bemühen, sich auf dem Platz als Mannschaft zu präsentieren. Während in der Abwehr ein Stockfehler den nächsten jagte, entwickelte das Mittelfeld über neunzig Minuten keinerlei Ideen, die beiden hochgelobten Stürmer in Szene zu setzen. Kein Wunder also, dass Christopher Nkunku und Timo Werner sich im Fortgang des Spiels immer ratloser anblickten. Zusammengefasst von Mittelfeldspieler Emil Forsberg: "Es war einfach zu schlecht."

Man muss keine Psychologie-Kurse an der Sporthochschule belegt haben, um zu erkennen, dass sich das Team zu seinen Ungunsten verändert hat. Es ist ja bereits das fünfte Spiel, in dem RB seine einstigen Primärtugenden vermissen lässt – und von Spieltag zu Spieltag mäandern die Analysen von Coach Tedesco mehr in Richtung Resignation. Die Abrechnung nach dem Frankfurt-Spiel warf dann auch die Frage auf, wessen Aufgabe es wohl ist, die Mannschaft mit Feuer und Leidenschaft ins Spiel zu schicken?

Die Champions-League-Spiele entscheiden über Tedescos Zukunft bei RB Leipzig

Diese Frage stellen sich natürlich auch längst die Führungsgremien. Ein suboptimaler Saisonstart in der Liga mag zu ertragen sein, hingegen frühzeitig in der Champions League die Segel zu streichen, ist intolerabel. Dort, auf der europäischen Bühne, sollte die Mannschaft nämlich den vielbeschworenen nächsten Schritt gehen. Insofern entscheiden die Auftritte am Dienstag daheim gegen Schachtar Donezk und, wenn überhaupt noch, die weiteren Partien in der Königsklasse über Tedescos Schicksal.

Verschärfend zur prekären Lage kommt hinzu, dass mit Marco Rose der ideale Wunschkandidat verfügbar und bereits in Leipzig wohnhaft ist. Ihm trauen nicht wenige zu, dem saturiert wirkenden Team neue Leidenschaft einzuhauchen. Aber noch ist es nicht so weit. "Wir müssen schauen, dass wir das schnell geregelt bekommen." Das ist anzuraten. Sonst wird Klubboss Oliver Mintzlaff das geregelt bekommen müssen. 

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