In den letzten Jahren war die Sache meist klar, wenn es darum ging, welche Mannschaft Welt- oder Europameister wird: Spanien lautete die Antwort, und keiner der echten oder selbst ernannten Experten riskierte mit dieser Prognose größeren Widerspruch.
Dieses Jahr ist es mit der Vorhersage schwierig. Spanien ist längst nach Hause geflogen. Und unter den Top Acht, die noch im Rennen sind, sticht kein eindeutiger Favorit heraus. Es gibt noch kein Team, dass in jedem Spiel restlos überzeugt hat. Wer hat also die besten Chancen? Der stern hat sich angeschaut, was für und was gegen einen möglichen Titelgewinn der einzelnen Mannschaften spricht.
1. Brasilien
Pro: Brasilien ist Brasilien. Die WM im eigenen Land setzt bei jedem Gastgeber Kräfte frei, erst recht bei einer Mannschaft voller Stars. Mit Neymar haben die Hausherren zudem einen Spieler, der heraussticht und seine Mannschaft und das Publikum mitreißen kann. Chile war der stärkste aller möglichen Achtelfinal-Gegner. Brasilien hatte seine Probleme - hat die Chilenen phasenweise aber auch deutlich dominiert.
Contra:
Gleichzeitig haben gerade einmal ein paar Zentimeter gefehlt und Brasilien wäre ausgeschieden. Stürmer Mauricio Penilla knallte den Ball in der 120. Minute an die Querlatte statt ins Tor. Das Spiel offenbarte wie schon zuvor die Partie gegen Mexiko die unübersehbaren Schwächen der Gastgeber - vor allem im Mittelfeld. Dort gibt es kaum Passstafetten.
Fazit:
Brasilien hat große Chancen auf den Titel. Der Heim-Faktor und der unbedingte Wille sprechen für das Team. Bislang hat es alle Aufgaben gemeistert - wenn auch nicht immer restlos überzeugend. Doch ein Team muss sich während der WM steigern können. Brasilien hat gegen bärenstarke Chilenen bereits gezeigt, dass es das kann. Alle anderen müssen das erst beweisen. Weltmeister-Wahrscheinlichkeit: 25 Prozent.
2. Niederlande
Pro: Louis van Gaal ist ein Taktikfuchs. So flexibel wie die Niederländer ist wohl kein Team. Egal ob 3-5-2, 4-4-2 oder das klassisch niederländische 4-3-3: Die Holländer können je nach Spielstand und Lage umstellen - und dem Spiel die entscheidende Wendung geben. Gegen Mexiko klappte das bereits hervorragend. Die Mannschaft strotzt zudem vor Selbstvertrauen. Arjen Robben geht vorweg und signalisiert: Wir können Weltmeister werden.
Contra:
Die Abwehr ist das Sorgenkind der Niederländer. Mexikos Giovanni Dos Santos durfte im Achtelfinale ungehindert aus 20 Metern zur Führung einschießen. Die Mexikaner hatten vor allem in der ersten Halbzeit noch weitere Chancen. Die Topteams werden dort effektiver sein.
Fazit:
Die Niederländer sind vielleicht noch besser und flexibler als 2010. Gegen Costa Rica winkt mit großer Wahrscheinlichkeit das Halbfinale. Arjen Robben ist in der Form seines Lebens. Wahrscheinlichkeit: 20 Prozent.
3. Deutschland
Pro: Deutschland ist das WM-Team, das am längsten nicht verloren hat. Seit 15 Spielen ist Löws Elf ungeschlagen. Bei der vergangenen Weltmeisterschaft gewannen die Spanier, die damals ebenfalls mit der besten Pflichtspiel-Bilanz in die K.o-Phase gingen. Das bedeutet: Selbst wenn die Deutschen nicht immer den Erwartungen entsprochen haben - man muss sie auch erst einmal schlagen. Zudem hat die Mannschaft die wohl beste Bank der verbliebenen WM-Teilnehmer.
Contra:
Das Spiel gegen Algerien war ein Graus. Ex-Weltmeister Andreas Brehme bemängelte, das Team spiele mit zu wenig Selbstvertrauen. 1990 sei das anders gewesen. Um Weltmeister zu werden, muss man mit Überzeugung auftreten - und das die anderen Mannschaften auch spüren lassen. Das fehlt Özil und Co. noch.
Fazit:
Deutschland hat gute Chancen auf den WM-Titel. Das Problem: Frankreich ist genauso stark wie die DFB-Elf. Es wird ein enges Spiel. Und in einem möglichen Halbfinale könnte Topfavorit Brasilien lauern. Wahrscheinlichkeit: 15 Prozent.
4. Frankreich
Pro: Frankreich spielt als Team - es gibt in der Mannschaft keine Differenzen wie 2010. Didier Deschamps fordert taktische Disziplin ein, Frankreich ist die stärkste Kontermannschaft der verbliebenen Viertelfinalisten. Benzema ist zudem in überragender Form.
Contra:
Frankreich hatte wie Kolumbien noch keinen echten Prüfstein. Gegen Ecuador tat sich die "Equipe Tricolore" schwer. Aber auch nur, weil sie das Spiel machen musste. In allen anderen Matches lauerte Deschamps' Team auf Konter. Das funktionierte gegen Honduras und auch gegen an dem Tag schwache Schweizer. Funktioniert es auch gegen Deutschland oder Brasilien?
Fazit:
Die Franzosen haben sich gefunden. Sie sind die derzeit womöglich beste Konter-Nationalmannschaft der Welt. Das verschafft ihnen Vorteile. Alle anderen Topfavoriten setzen mehr auf Ballbesitz. Wahrscheinlichkeit: 15 Prozent.
5. Argentinien
Pro: Messi. Messi. Und noch mal Messi. Das sind schon mal drei Gründe, warum Argentinien den Titel holt. Viermal ist die "Albiceleste" in Brasilien angetreten, in allen vier Spielen hat Messi entweder einen Treffer erzielt oder den entscheidenden Pass gegeben. Die WM findet zudem in Südamerika statt, was der Statistik zufolge für einen Titelträger vom gleichen Kontinent spricht.
Contra:
Messi! In Argentinien macht das Wort von der "Messidependencia" - Messi-Abhängigkeit - die Runde. Gegen die Schweiz bewahrte erst Messis Geniestreich kurz vor Ende der Verlängerung vor dem Elfmeterschießen. In der Gruppe stand Argentinien gegen den Iran kurz vor einer Blamage, ehe es wieder Messi richten musste. Auf Dauer kann das nicht gut gehen.
Fazit:
Messi ist brilliant. Aber Argentiniens Messi-Abhängigkeit wiederum riskant. Ein schlechter Tag reicht, und das Team fliegt raus. Weltmeister-Wahrscheinlichkeit: 15 Prozent.
6. Kolumbien
Pro: Kolumbien war bislang die einzige Mannschaft, die in jedem Spiel überzeugt hat. James Rodriguez ist zudem der große Shooting-Star dieser WM. Die Kolumbianer überzeugen als Team, sie spielen ähnlich wie die Chilenen aggressiv gegen den Mann.
Contra:
Bislang haben die Kolumbianer noch gegen kein Top-Team gespielt. Brasilien ist nicht so leicht auszurechnen wie Uruguay. Ob die Spieler von José Pekerman taktisch und körperlich auch gegen Neymar und Co. dagegenhalten können, bleibt abzuwarten.
Fazit:
Kolumbien ist wie Belgien Geheimfavorit. Doch sie müssen erst beweisen, dass sie gegen große Mannschaften gewinnen können. Brasilien hat das schon hinter sich. Weltmeister-Wahrscheinlichkeit: 5 Prozent.
7. Belgien
Pro: Die Belgier galten schon vor dem Turnier als Geheimfavorit. Seit Amtsantritt hat Trainer Marc Wilmots noch kein Spiel verloren. Eine Serie, die auch in Brasilien nicht gerissen ist. Die Auftritte von Van Buyten und Co. sind extrem effektiv. Der Trainer bemüht sich, die knappen Resultate als Strategie zu überhöhen. Nach dem Motto: Ein gutes Pferd springt nicht höher als es muss.
Contra:
Im Spiel gegen die USA hätte beinahe ein Mann allein den Belgiern alle Titelträume geraubt: Torhüter Tim Howard, der Origi, Hazard und de Bruyne ein ums anderer Mal zur Verzweiflung trieb. Da offenbart sich die mangelnde Kaltschnäuzigkeit im Abschluss. Gegen einen defensiven Gegner tut sich Belgien schwer.
Fazit:
Belgien bleibt der Geheimfavorit. Meist steht ein Überrschungsteam in den Halbfinals. Das könnte Belgien sein. Für das Finale dürfte es allerdings nicht reichen. Weltmeister-Wahrscheinlichkeit: 5 Prozent.
8. Costa Rica
Pro: Costa Ricas Messi ist der Torwart. "Kaylor Navas ist unser Zeus" feierte die Presse den Keeper nach dem Elfmeterschießen gegen Griechenland. Gemeinsam mit Manuel Neuer und dem ausgeschiedenen Mexikaner Guillermo Ochoa ist Navas der auffälligste Schlussmann bei dieser WM. Seine Vorderleute unterstützen ihn durch ihr schnörkelloses Spiel. Zudem sind sie sehr effizient, machen aus wenigen Chancen ihre Tore. Das hat für Italien, England und Uruguay gereicht. Warum nicht für mehr?!
Contra:
Ein Torwart allein reicht nicht. Es kommen jetzt drei weitere Mannschaften vom Kaliber Italien und Urugay. Eine davon wird die "Ticos" aus dem Turnier kegeln, weil Navas letztlich nicht alle Unhaltbaren aus dem Winkel fischen kann.
Fazit:
Costa Rica ist und bleibt der größte Außenseiter. Wir legen uns fest. Das Team wird kein Weltmeister. Wahrscheinlichkeit: 0 Prozent.