Das Gerät sieht überaus harmlos aus, etwa wie ein Autoradio. Und es ist kinderleicht zu bedienen. "Zahl der Achsen?", fragt es. "Fünf", gibt Lukas Bundschuh ein. "Neue Tour?" Ok! "Jetzt ist er scharf", sagt Bundschuh. Es ist kurz nach 20 Uhr auf dem Hof der Frankfurter Spedition August König, und der 30-jährige Lkw-Fahrer macht den MAN-Lastzug startklar für seine allnächtliche Tour: Stückgut nach Stuttgart und Nürnberg, von dort geht es mit neuen Wechselpritschen zurück nach Frankfurt. Heute Nacht hat Bundschuh Bifi-Würste geladen, Taschenkalender für die Gewerkschaft Verdi, Lenkräder und Airbags für DaimlerBusse sowie Kartoffelchips aus Italien.
Die Nachtfahrten sind Routine für den gelernten Automechaniker. Neu dabei ist der Apparat der Firma Toll Collect. Jetzt schon zählt die so genannte On-Board-Unit (kurz: Obu) die Mautgebühr für den 410 PS starken Schwerlaster, die ab dem 1. Januar fällig wird. Es sind 71,39 Euro für jede von Bundschuhs allnächtlichen Touren - und das Allererstaunlichste dabei ist, so Bundschuhs Chef Michael König: "Es funktioniert!
Eine funktionierende deutsche Lkw-Maut - das klingt ungefähr so fantastisch wie eine Meldung vom Plus in Hans Eichels Kasse. Beim ersten Anlauf im vergangenen Jahr versank das Gebührensystem in der bisher wohl größten Technikpleite, die die Republik je erlebt hatte. Die Obus streikten, zählten gar nicht oder falsch. So war es auch mit den Geräten, die Bundschuhs Chef Michael König in seine zwei Lkws hatte einbauen lassen. Das entnervte ihn und Hunderttausende andere Lkw-Fahrer und Spediteure, brachte Spitzenbeamte und Toll-Collect-Manager um ihren Job, bescherte den Mutterfirmen Daimer-Chrysler und Telekom peinliche Schlagzeilen und riss ein neues 3,56-Milliarden-EuroLoch in den Etat des Finanzministers.
Jetzt gilt es als reine Formsache, dass das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) in der kommenden Woche die Betriebsgenehmigung erteilt und damit grünes Licht gibt für die Maut. So weit die gute Nachricht - doch es gibt auch eine schlechte. Die Obus mögen funktionieren, aber viel zu wenige von ihnen sind bisher installiert worden. 800.000 Obus hat Toll Collect produziert, vergangene Woche waren erst 218.000 Lastzüge damit ausgerüstet. Zum Jahresende werden es vielleicht 250.000 oder 300.000 sein - die Schätzungen von Spediteuren und Mautbetreibern gehen da auseinander. Auf jeden Fall deutlich weniger als die 500.000, die für den Mautstart ursprünglich geplant waren.
Besonders beunruhigend: Vor allem ausländische Fuhrunternehmer, jeden Tag zu Tausenden auf deutschen Autobahnen unterwegs, sind bisher kaum vorbereitet. Geradezu dramatisch ist der Rückstand der Franzosen. Ende November hatten sie ganze 474 Geräte installiert. Zwar ließen die französischen Spediteure 21.089 Schwerlaster anmelden. Doch für die meisten ihrer Lastzüge bestellten sie keine Obu, sondern nur eine Registrierkarte. Die Karte hilft dem, der sich im Internet oder an speziellen Terminals von Hand einbuchen will - was zeitaufwendig ist. Weil die deutschen Spediteursverbände auch andere ausländische Kollegen im Rückstand sehen, malen sie ein Schreckensszenario aus. Am 3. Januar, dem ersten Werktag im neuen Jahr, könnten Grenzübergänge und Raststätten im Mautstau versinken. "In den ersten Wochen kann das chaotisch werden", sagt Hubert Linssen von der International Road Transport Union (IRU) in Brüssel.
Der Engpass sind die Terminals. Zwar hat Toll Collect insgesamt 3600 Geräte an Tankstellen, Raststätten und Grenzübergängen aufstellen lassen, aber davon wiederum nur 50 in Frankreich. In Straßburg, direkt vor der Europabrücke, stehen derzeit lediglich zwei - und fünf weitere diesseits der Grenze in Kehl. "Wenn da nur sieben oder acht Lkws halten, dann ist der Übergang dicht", klagt Hermann Grewer, Chef des Spediteursverbands BGL (Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung).
Die als rebellisch geltenden französischen Trucker könnten zudem von selbst Randale machen, fürchtet Michael König in Frankfurt. "Die machen die Grenzen zu!", glaubt der Spediteur, "das ist denen zuzutrauen." Oder die EU-Kommission erhebt Einspruch, weil der freie Warenverkehr in Gefahr ist. Oder aber - das wäre eine klammheimliche Alternative - das Bundesamt für Güterverkehr weist seine 530 Kontrollfahrer an, die Ausländer nicht so scharf zu kontrollieren. "Dann gibt es zwei Klassen von Benutzern", sagt Grewer: die geduldeten Mautpreller und die ehrlichen Obu-Fahrer.
Die Angst vor einem Debakel ist so groß, dass sich Toll Collect und Spediteursverbände jetzt schon gegenseitig die Schuld geben: Die Fuhrunternehmer hätten zu lange mit der Obu-Bestellung gezögert, behauptet das Mautkonsortium. Das ist einerseits wahr; bisher gingen nur 344.000 Bestellungen ein. Andererseits ist es auch unwahr, denn die bestellten Geräte wurden von Toll Collect oft erst nach Wochen oder Monaten geliefert. Spediteur König hatte seine zwei Obus im Mai 2004 bestellt. Geliefert und eingebaut wurden sie erst im September. König hatte regelrecht Schwierigkeiten, seine Orders loszuwerden. Mal funktionierte das Fax bei Toll Collect nicht, mal ging eine E-Mail an die Firma schlicht verloren. "Wir hatten alle gehofft, in der umsatzschwachen Sommerzeit die Einbauten vornehmen zu können, nicht im Herbst, wo es endlich besseren Umsatz gibt", ärgert sich der Frankfurter. "Toll Collect ist nach wie vor ein Scheißladen."
Um Monate "verspätet" seien die Geräte auch in Frankreich angekommen, behauptet Françoise Antignac vom französischen Spediteursverband AFTRI. Und dann müsse der Fuhrunternehmer aus der Bretagne kilometerweit bis runter nach Nantes fahren, weil es nur dort eine Werkstatt gebe, die das Gerät einbauen könne. Das Problem steckt in der komplizierten Technik: Toll Collect muss jedes einzelne Gerät für den dafür bestimmten Lastwagen mit dessen Daten, etwa zur Schadstoffklasse, programmieren - und kam damit offenkundig oft nicht nach.
Ebenfalls noch ungeklärt ist, wie viele findige Brummi-Fahrer auf die Bundesstraßen ausweichen werden. Das gilt kaum für Transporteure wie König, die längere Strecken im Taktverkehr bedienen; für sie ist Zeit Geld. Wenn Bundschuh unentschuldigt mit mehr als 15 Minuten Verspätung ankommt, muss seine Firma 500 Euro Strafe zahlen. Auf Bundes- oder Landstraßen ausweichen? "Da braucht man ja ewig", stöhnt Bundschuh.
Aber "gerade auf Kurzstrecken" sei ein Ausweicheffekt "zu befürchten", sagt Thomas Hessling vom ADAC. Besonders gilt das dort, wo parallel zur Autobahn gut ausgebaute Straßen verlaufen. Der ADAC will darum im März und im September an sechs Stellen im Großraum München testen, ob Schwerlast-wagen auf Bundesstraßen ausweichen. Was, wenn dieser Effekt eintritt? Kein Problem, heißt es im Verkehrsministerium in Berlin. "Dann kann diese Straße auch bemautet werden."