Krise in der Autobranche Alle wollen Opel retten

Wegen der Krise seiner Konzernmutter General Motors fürchtet Opel um seine Existenz - und ruft den Staat um Hilfe. Die Politik lässt sich nicht lange bitten: Ein Wettlauf der Retter hat begonnen. Wenn der Staat allerdings Opel hilft, könnte eine Flut von Forderungen über die Politik hineinbrechen.

Peer Steinbrück grummelt. Mit finsterer Miene sitzt der Finanzminister in seinem Sessel und nippt an seinem Weinglas. Er ist sichtbar müde. Für Steinbrück, der gerade aus Deutschland geflogen gekommen ist, ist es kurz nach fünf in der Früh. Hier in Washington, im noblen Hay Hotel, ist es gerade mal neun Uhr Abends. Jetlag, langer Tag, wenig Schlaf - und jetzt großer Ärger. "Ich finde es bedauerlich, dass die sondierenden Gespräche bereits in die Öffentlichkeit gelangt sind", schimpft Steinbrück. "Es wäre besser, man würde die zuständigen Leute erst mal in Ruhe arbeiten lassen." Eigentlich war der Finanzminister in die USA gekommen, um gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel und den wichtigsten Beratern für die deutschen Interessen beim Weltfinanzgipfel zu kämpfen. Er wollte über die Zukunft des Internationalen Währungsfonds diskutieren, über Freihandel und Regulierung und über die neue Rolle der Schwellenländer. Nun hat ein Thema plötzlich alles überlagert: die Krise und Rettung der Adam Opel GmbH in Rüsselsheim.

Opel ruft Staat um Hilfe

Die Kanzlerin und ihr Finanzminister hatten Deutschland gerade verlassen, da kam heraus, was eigentlich vertraulich bleiben sollte: Opel, die Tochter des wankenden US-Automobilgiganten General Motors (GM), ruft den Staat um Hilfe. Das Management bittet Bund und Länder um eine Bürgschaft - die notwendig würde, sollte GM tatsächlich pleitegehen. Seit Tagen wird offenbar hinter den Kulissen ausgelotet, was die Politik tun kann, um Opel die Existenz zu sichern. Kaum war am Freitag der Hilferuf offiziell, standen die Retter auch schon Schlange: vornweg die Ministerpräsidenten, in deren Ländern Opel Standorte hat. Besonders energisch gab sich Roland Koch, der sich seit einigen Tagen wieder im Wahlkampf befindet: Der geschäftsführende Ministerpräsident schlug gleich einen großen "Autoschirm" für Opel und die hessische Zuliefererindustrie vor.

In Rheinland-Pfalz war Landeschef Kurt Beck ebenfalls am Retten und Rechnen. Er werde "alles tun, um die deutschen Standorte zu sichern". Und: "Wir gehen mal von einer Größenordnung von 1 Mrd. aus, die verbürgt werden müsste." Sein Kollege in Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, gab sogar eine "Überlebensgarantie" ab. "Wir lassen Opel nicht untergehen." Im gleichen Atemzug forderte er, andere Autohersteller mit längerfristigen Maßnahmen zu unterstützen.

Politik wartete mit Vorschlägen auf

Auch die CSU wartete mit Vorschlägen auf: Alexander Dobrindt, wirtschaftspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, forderte Solidarität unter den Herstellern: "In der Krise haben die deutschen Autobauer die Verpflichtung, sich gegenseitig im Sinne der deutschen Arbeitsplätze zu unterstützen", sagte Dobrindt. "Man kann nicht riskieren, dass ein großer deutscher Autobauer pleitegeht." Gleichzeitig schäumte die Wut auf General Motors - und überhaupt Amerika - über: Der FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn beschimpfte die Konzernmutter als "miese Heuschrecke", die durch Missmanagement allein in Hessen 50.000 Arbeitsplätze inklusive Zulieferer bedrohe.

Opel-Helfer überbieten sich mit Ideen

Und so überschlugen und überboten sich die Opel-Helfer am Wochenende mit Ideen, Initiativen und Offerten. Frei nach einem Spruch aus den 80er-Jahren: Jeder Popel rettet Opel. Es dauerte nicht lange, bis das Thema auch in Washington brannte. Am Samstagmorgen trat Angela Merkel vor die Presse und machte Opel zur Chefsache.

Am Montagnachmittag will sie die Führung des Autobauers treffen. Nur wenige Stunden später veranstaltet Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein Gegentreffen mit den Betriebsräten der deutschen Autobauer - bevor am Dienstag Steinbrück mit Wirtschaftsminister Michael Glos und den Ländern über die Hilfen für Opel berät.

Das Land erwartet eine Woche voller Gipfel. Der Aktionismus kommt nicht von ungefähr: Opel beschäftigt in Deutschland etwa 25.700 Menschen, hinzu kommen Tausende Arbeitsplätze von Zulieferern. Opel ist, allen Krisen und Imageproblemen der Vergangenheit zum Trotz, eine Traditionsmarke, die eng mit dem Land verwoben ist. In Bochum etwa, der früheren Bergbaustadt, hat das Werk nach dem Zechensterben in den 60er-Jahren Tausenden von Bergleuten neue Arbeit gegeben - und damit zum bescheidenen Wohlstand der Region beigetragen.

Zauberlehrling-Dilemma

Der Standort musste seine Belegschaft in den vergangenen Jahren bereits kräftig reduzieren: Von einst 23.000 Beschäftigten arbeiten heute noch 5000 in dem 1962 eröffneten Werk. Bei einer Schließung stünde die Region erneut vor dem Niedergang. Nicht viel anders ist die Lage in Rüsselsheim. Das Risiko, das von Opel ausgeht, ist zwar nicht systemisch - aber ausgesprochen symbolisch.

Hinzu kommt ein Zauberlehrling-Dilemma: Wenn der Staat Opel hilft, könnte eine Flut von Forderungen über die Politik hineinbrechen. Allein die Lage der Automobilindustrie ist dramatisch. Erst am Freitag hat der Automobilverband Acea neue Absatzzahlen gemeldet. Demnach ist die Zahl der Pkw-Neuzulassungen in Europa im Oktober um 14,5 Prozent eingebrochen. Am schlimmsten entwickelte sich der spanische Markt mit einem Minus von 40 Prozent, in Großbritannien waren es 23 Prozent - in Deutschland 8,2 Prozent. Während Hersteller wie Volkswagen mit einem Minus von 6,4 Prozent und BMW (minus 8,1 Prozent) noch glimpflich davonkamen, traf es Opel besonders schlimm: Im Oktober brachen im Vergleich zum Vorjahr die Absatzzahlen um ein Viertel ein, nur Volvo war mit knapp einem Drittel schlechter dran. Das Problem aber, das die Causa Opel besonders macht, ist GM: Mehr als 2 Mrd. $ verbrennt die US-Mutter Monat für Monat, seit Anfang 2005 sind es 40 Mrd. $. Die Reserven reichen noch wenige Monate - weshalb GM selbst in Washington um Rettung bittet.

Gelder dürfen nicht nach Amerika fließen

Eine Hilfe ausschließlich für Opel gestaltet sich also ausgesprochen schwierig. "Die Politik muss sicherstellen, dass die Gelder nicht nach Amerika abfließen können", fordert Klaus Franz, Chef des Betriebsrats. Selbst für den Fall, dass GM in die Insolvenz rutsche, müsse das Geld in Deutschland gesichert sein. Leichter gesagt als getan. Der Autohersteller Opel, der seit 1929 zu General Motors gehört, ist eng mit der Konzernmutter verflochten. Es gibt gemeinsame Plattformen, Opel entwickelt für die USA - und bekommt Plattformen von anderen GM-Töchtern.

Alle Finanzen laufen über einen großen Topf in Detroit. Seit Monaten kursieren nun Vorwürfe, GM würde Verluste aus den USA nach Europa abschieben. "Wir werden keinen Cent generieren, damit GM weiterhin Cash verbrennt", wetterte Betriebsratschef Franz vergangene Woche. In Europa verbuchte GM im vergangenen Quartal einen operativen Verlust von 974 Mio. Euro - Detroit hat seine Europamanager deshalb zu einem Sparkurs in Höhe von 750 Mio. Euro verdonnert.

Wie Opel innerhalb des Europa-Verbunds dasteht, ist noch schwieriger zu sagen. Nur eines scheint in diesen Tagen unterzugehen: Die Konzernmutter, die für viele als Wurzel allen Übels gilt, hat in den 90er-Jahren Opel in einer tiefen Krise auch beigestanden. Es gab Zeiten, da flossen aus Detroit viele Milliarden nach Deutschland - wo Opel mit Image- und Qualitätsproblemen, falschen Modellreihen und Verlusten ums Überleben kämpfte. Damals brachen Marktanteile weg, Tausende Arbeitsplätze wurden abgebaut. Hinzu kam die Affäre um den Abgang des Managers José Ignacio López zu VW. López wurde vorgeworfen, interne Unterlagen an den Konkurrenten weitergegeben zu haben. Inzwischen hat Opel sich erholt. Die Qualität wurde erhöht, ebenso die Produktivität der Werke. Mit Modellen wie dem neuen Opel Astra hat der Hersteller Marktanteile gewonnen - wie stark die Rüsselsheimer aber tatsächlich sind, ist schwer zu sagen.

"Amerikaner verstehen nichts vom deutschen Markt"

An Selbstbewusstsein mangelt es in den Werken trotz Krise nicht: "Erst reden uns die Amis ständig rein - und jetzt das!", schimpft ein leitender Mitarbeiter aus dem Bochumer Werk. Hier wird vor allem der Einfluss des Mutterkonzerns auf die Modellpolitik früherer Jahre kritisiert. "Die Amerikaner verstehen nichts vom deutschen Markt", sagt der Opelaner. "Die sollen uns einfach mal machen lassen." Es gab Zeiten, da wurden solche Sätze in Richtung Politik geschleudert. Lange scheint's her. Es ist nicht die Stunde für Ordnungspolitik und Prinzipien. Es ist die Stunde der Retter. Und Opel wird nicht ihre letzte Mission sein.

FTD