Das Leuchten ist matter geworden, da helfen auch die Scheinwerfer oben auf der Bühne nicht. Müde sieht er aus, im Wortsinn: angegriffen. Früher hat er mit diesem Leuchten viele in seinen Bann gezogen: Mitarbeiter, Gegner, auch Journalisten. Evelyn Roll schrieb in der "Süddeutschen Zeitung", dass "dieses Leuchten offenbar und erstaunlicherweise von innen kommt, dass da einer vor lauter Überzeugung und Leidenschaft seine Aura zum Strahlen bringen kann". So zwingend, dass man nach einer Weile selbst hinausgehen und alle Bedenkenträger überzeugen will, "endlich anzufangen, wirklich etwas zu tun" gegen die Arbeitslosigkeit.
Das war vor zwei Jahren. Da machten die Republik und ihr Kanzler für einen Sommer Peter Hartz zu ihrem Heilsbringer. Da brachte er mit seinem Leuchten und viel taktischem Geschick eine überaus inhomogene Kommission aus Gewerkschaftern und Arbeitgeberfunktionären und Unternehmensberatern und Politikern und Wissenschaftlern dazu, tatsächlich eine "Radikal-Kur gegen Arbeitslosigkeit" ("Spiegel") zu verabschieden - einstimmig. Es war sein Verdienst, und das Gremium trug seinen Namen: Hartz-Kommission. Präsentiert wurde deren Ergebnis im Französischen Dom zu Berlin vor 500 Gästen, ein Hochamt.
Nun, zwei Jahre und den üblichen Streit später, heißen vier Gesetze nach ihm, obwohl er sie nicht geschrieben hat und nur sehr bedingt zu ihnen steht: Hartz I bis Hartz IV. Montags schreien sich die Demonstranten draußen im Land heiser: "Nieder mit Hartz IV - das Volk sind wir", und sein Name, ausgerechnet, ist zum Symbol geworden für Abbruch und Kälte und Ungerechtigkeit. "Bild" schreibt, wenn der Name Hartz falle, "spitzen die Hunde die Ohren, fangen die Großmütter an zu weinen, und die Kinder verstecken sich mit ihren Sparschweinchen unter der Bettdecke".
Er sitzt auf der Bühne bei Volkswagen in Wolfsburg, und weil der Kampf ja immer weitergeht, muss er schon wieder schlimme Dinge sagen: dass die Personalkosten bei VW bis 2011 um 30 Prozent fallen müssten, weil anders die 176.544 Arbeitsplätze des Konzerns in Deutschland nicht zu halten seien. Die Kameras starren ihn an, und die Journalisten starren ihn an und fragen sich, wie es ihm wohl geht mit alldem. Wenn sie ihn danach fragen, hebt er müde die Hand, und sein Pressesprecher geht dazwischen: Man habe heute eingeladen, um über die Tarifpolitik bei VW zu sprechen, alles andere müsse draußen bleiben.
Später dann, im kleinen Kreis, sagt er dann doch, dass dies ihm alles sehr an die Nieren gehe, aber da werden seine Berater gleich wieder nervös, und zitieren darf man das ohnehin alles nicht. Er knetet seine Hände und fragt, was ihm viel wichtiger zu sein scheint: ob man seinen Sieben-Punkte-Plan zur Rettung der VW-Jobs plausibel finde, ob alles gut verständlich war? Er brauche jetzt Mitstreiter, man müsse das rüberbringen, es ist seine alte Mission: Industriearbeitsplätze wettbewerbsfähig zu halten im Hochlohnland Deutschland. Und da ist es dann auch wieder: ein bisschen vom alten Leuchten.
Wer ist dieser Peter Hartz? Für viele Demonstranten ist die Antwort klar: ein Kapitalist. Und zwar einer, der sich jetzt seine Gesetze selbst schreiben darf, damit die Großkonzerne noch mehr Profit machen können, so weit sind wir schon gekommen. Sie fragen höhnisch: Wann kommt Schrempp I bis III, Rogowski IV und V? Tatsächlich ist Peter Hartz Vorstandsmitglied beim größten Autokonzern Europas, er dürfte anderthalb bis zwei Millionen Euro im Jahr verdienen. Als Arbeitsdirektor hat er dafür zu sorgen, dass die Werktätigen effizient und gewinnbringend Autos bauen. Ein Ausbeuter also, dem der deutsche Sozialstaat in die Hände gefallen ist? So einfach ist es nicht.
Peter Hartz kam 1993 zu Volkswagen. VW-Chef Ferdinand Piëch holte ihn aus der saarländischen Stahlindustrie nach Wolfsburg, das Unternehmen steckte in einer schlimmen Krise, 30 000 Menschen waren zu viel an Bord. Ganze Stadtteile von Wolfsburg hätte Hartz entvölkern müssen, doch er sagte zu Piëch, dass er für Massenentlassungen nicht der richtige Mann sei. Piëch antwortete: "Dann machen Sie etwas anderes, wenn Ihnen etwas anderes einfällt." Also stampfte der VW-Neuling binnen weniger Wochen gemeinsam mit der IG Metall die Vier-Tage-Woche aus dem Boden: Alle mussten auf 20 Prozent ihrer Arbeitszeit und 15 Prozent des Lohns verzichten, und kein einziger der 100.000 VW-Werker verlor seinen Job. "Man muss die Menschen lieben, dann fällt es leichter, Lösungen zu finden", sagte Peter Hartz, und es klang noch nicht einmal schmalzig. Komplizierte Arbeitszeitmodelle wurde ersonnen, damit die kostbaren Maschinen weiterhin ohne Unterbrechung laufen konnten, und auch für das Unternehmen rechnete sich der Deal: Die Personalkosten fielen auf einen Schlag um eine Milliarde Euro, ein teurer Sozialplan musste nicht finanziert werden. Es war der Beginn von Volkswagens Wiederaufstieg. Seit 2003 rollt der Touran vom Band - nicht, was nahe gelegen hätte, im billigen Bratislava, sondern im Wolfsburger Stammwerk. Gebaut wird der Minivan von 3500 neuen Mitarbeitern, wichtigste Bedingung ihrer Anstellung war: Sie mussten arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sein, ihr früherer Beruf war egal. Dafür verdienen sie weniger, als es der üppig bemessene VW-Haustarifvertrag vorsieht, und auch sonst ist vieles anders: So ist die Schicht nicht dann zu Ende, wenn die Uhr es will, sondern wenn die vereinbarte Zahl an Autos fertig ist. Das Konzept stammte von Peter Hartz. Er wollte beweisen, dass es geht: mitten in einer strukturschwachen Region klassische Industriejobs für Arbeitslose zu schaffen. Es geht: Der Touran ist eines der erfolgreichsten Modelle des Unternehmens, und profitabel ist er auch. In den Jahren dazwischen erfand Hartz allerlei "Flexibilitätkaskaden", "Stafettenmodelle", "Zeitwertpapiere" und machte Volkswagen in der Arbeitsorganisation zu einem der innovativsten Unternehmen des Landes. Das Prinzip ist immer dasselbe: die teure Ware Menschenarbeit so effizient einzusetzen, dass sich dieser Einsatz auch in Deutschland lohnt.
Hartz ist unbequem, er rechnet den Deutschen gern vor, dass viele von ihnen nur noch zehn Prozent ihrer Lebenszeit tatsächlich arbeiten (die Rechnung stimmt) und diese Arbeit deshalb so ertragreich wie möglich sein müsse. Er ist eine Zumutung für seine Arbeiter wie für seine Manager-Kollegen. Den einen verlangt er ein hohes Maß an Flexibilität und immer öfter auch echten Verzicht ab. Den anderen hält er vor, "fantasielos" sei, wer einfach nur Leute entlasse. Als vor ein paar Jahren der "Shareholder Value" (kurz gesagt der Gewinn der Aktienbesitzer) zur Religion in den Vorstandsetagen wurde, setzte er den "Workholder Value" dagegen - den Wert der Arbeitnehmer.
Der Einkommensmillionär Peter Hartz ist bis heute Mitglied in IG Metall und SPD. Er ist ein Wortakrobat, manchmal blendet er auch mit schönen Worten. Seine "atmende Fabrik" klingt luftig und hell, doch in ihr müssen sich Arbeitszeiten und Arbeitsrhythmen konsequent dem Diktat der Nachfrage unterwerfen. "Co-Investment" nennt es Hartz, wenn es den Belegschaften künftig erlaubt sein soll, im brutalen konzerninternen Wettbewerb um Fertigungen unbezahlte Mehrarbeit anbieten zu dürfen. Robustere Naturen würden das Erpressung nennen oder Lohnraub. Hartz ist ungeduldig, zuweilen unduldsam, wenn nicht alle sofort seinen Gedanken folgen mögen, und sein Denken wirkt manchmal mechanistisch: Vor zwei Jahren listete er exakt auf, wie viele Jobs die 13 "Module" seines Konzepts jeweils bringen würden. "Das haben wir durchrechnen lassen." Kühler Logik folgte sein Plan, nach dem Arbeitslose sich künftig in speziellen Leiharbeitsfirmen (Personal-Service-Agenturen) 30 Prozent unter Tarif verdingen sollten, weil sie anders keine Chance haben würden. Die Gewerkschaften durchkreuzten das Konzept - und die PSA wurden zum Flop.
Man muss seine Logik nicht mögen, aber sie folgt immer demselben Ziel. Hans-Jürgen Uhl, lange Jahre Geschäftsführer des VW-Konzernbetriebsrats und somit in normalen Unternehmen der geborene Gegenspieler des Personalvorstands, sagt über ihn: "Er ist besessen, wenn es darum geht, Modelle zu entwickeln, die Arbeitsplätze schaffen oder zumindest sichern."
Er hat einen langen Weg hinter sich. Hartz stammt aus dem saarländischen Niederwürzbach - ein stilles Tal, man war bescheiden, katholisch, standhaft in der SPD und arbeitete hart. 1941 wurde Peter geboren. Sein Vater war in Kriegsgefangenschaft, dann Drahtzieher in einer Stahlhütte, er wurde krank und musste fortan als Hilfsarbeiter klarkommen. Karge Jahre. Für die drei Söhne Kurt, Rudi und Peter war das Gymnasium nicht drin. Sie machten nach der Volks- beziehungsweise Realschule (Peter) eine Lehre und gingen arbeiten. Aus allen dreien ("Hartz IV gibt's hier nicht", witzelt ein alter Niederwürzbacher) wurde was: Kurt erst Vorsitzender des Fußballvereins, mit 29 Bürgermeister, dann Bevollmächtigter der IG Metall und Landtagsabgeordneter der SPD. Rudi arbeitete sich vom Glasergesellen zum studierten Betriebswirt und Eigentümer einer Metallbaufirma hoch und führte nebenbei den TV Niederwürzbach in die Handballbundesliga. Peter brachte es zum VW-Vorstand, Heiland, Buhmann. Doch er erzählt, dass seine Mutter bei jedem Besuch Söhne und Enkel als Erstes fragte: "Bub, hast du Arbeit?" Er habe nicht vergessen, dass die Angst um den Job das Lebensgefühl vieler Menschen bestimmt.
Peter war wohl ein eher stiller Junge (wenngleich er einmal vom Kirchturm gepinkelt haben soll, weshalb er sein Ehrenamt als Messdiener verlor). Heute trägt das Dach des Gotteshauses eine Solaranlage - gesponsert von VW. Er machte eine kaufmännische Lehre, arbeitete in einer Armaturenfabrik, heiratete, bekam einen Sohn, besuchte das Abendgymnasium und in Abendkursen die Fachhochschule, bis er Betriebswirt war. Und als er es bis zum Arbeitsdirektor in der Stahlindustrie gebracht hatte, musste er, so hat er es einmal erzählt, in der großen Stahlkrise der 80er Jahre 2500 Arbeiter entlassen. Die Betroffenen versammelten sich im Fußballstadion, aus den Lautsprechern dröhnte immer wieder das "Lied vom Tod". Seither ist Peter Hartz auf der Suche nach Rezepten gegen die Arbeitslosigkeit.
Er entwickelte dabei erhebliches Sendungsbewusstsein, schrieb mehrere Bücher zum Thema. Eine der großen Stärken des Peter Hartz ist es, dass er jedem das Gefühl gibt, genau auf ihn komme es an. Auf großer Bühne wirkt er bisweilen fahrig - im kleinen Rahmen ist er verbindlich, freundlich, zugewandt.
"Er kann hervorragend die Leute mitnehmen, weil er beharrlich und absolut verlässlich ist", sagt Betriebsrat Uhl. "Und wenn man sich in einem Unternehmen einig ist, dann kann man auch etwas gemeinsam durchziehen." Als Geschäftsleitung und Betriebsrat das TouranModell aushandelten, wurde zwar hart gestritten - doch der eigentliche Graben verlief zwischen den IG-Metallern bei VW und den Betriebsräten der großen Autokonzerne im Süden, denen es ums Prinzip und nicht um Jobs in Wolfsburg ging. Dort war man entschlossen, das Experiment zu wagen.
Und weil all das bei Volkswagen so gut funktionierte, war Volkswagen diesem Peter Hartz bald nicht mehr genug. 1998 schenkte er der Stadt Wolfsburg zu deren 60. Geburtstag das Versprechen, die Arbeitslosigkeit binnen fünf Jahren zu halbieren. Aus dem Konzept "Autovision" wurde, zum Beispiel, das Unternehmen "Wolfsburg AG", eine gemeinsame Gründung von Stadt und VW. Die Wob AG fördert Existenzgründungen, die Ansiedlung von Zulieferern aus der Autobranche und betreibt eine eigene Personal-Service-Agentur, die Arbeitnehmer an Unternehmen ausleiht.
Mehr als 7000 neue Jobs soll die Wob AG geschaffen haben. "Wir haben heute den höchsten Beschäftigungsstand seit Bestehen der Stadt", sagt Oberbürgermeister Rolf Schnellecke. 1997 lag die Arbeitslosigkeit bei 16,4 Prozent, vergangenes Jahr waren es noch 7,9 Prozent. Die Halbierung ist geglückt. "Hartz versteht es, die Leute zu packen und zu begeistern. Ohne die Begeisterung und den Glauben an die Sache kann so ein Projekt nicht funktionieren", schwärmt Schnellecke. Er ist übrigens von der CDU.
Weil das in Wolfsburg so gut funktionierte, war Hartz Wolfsburg bald nicht mehr genug. Der Kanzler kannte ihn aus alten Hannoveraner Zeiten, als er noch niedersächsischer Ministerpräsident war, saß er im Aufsichtsrat von VW. Als Schröder ihn bat, ein Konzept für den Arbeitsmarkt (und einen Knaller für den Wahlkampf) zu entwerfen, stürzte Hartz sich wieder mit Eifer und Ideen (viele davon in Wolfsburg getestet) in die Kommissionsarbeit. Und wieder gelang es ihm, alle mitzunehmen. Manches Kommissionsmitglied wird sich noch heute wundern, dass es unterschrieb, wogegen es ein Leben lang gekämpft hatte. Doch dann war der Zauber plötzlich verflogen. Denn dann geriet "der große Wurf" (Schröder) in die Mühlen der Dissens-Demokratie und in die Mühlen der Bürokratie. Vom "Schulterschluss bei VW" spricht Betriebsrat Uhl, vom "Schulterschluss in Wolfsburg" Oberbürgermeister Schnellecke. Aber einen Schulterschluss zwischen Friedrich Merz und Frank Bsirske, zwischen Ottmar Schreiner und Michael Rogowski? Den wird es nie geben. Es ist ja auch nicht alles, was einer Kommission vernünftig erscheint, von allen politisch gewollt. Und es ist etwas anderes, ein kühnes Konzept zu formulieren, als die halbe Sozial- und Arbeitsmarktgesetzgebung umzuschreiben.
Und plötzlich wirkte auch Peter Hartz mit seiner Leidenschaft und seinem Glauben an die Vernunft ein bisschen wunderlich. Beim stern-Interview vor knapp zwei Jahren rief er: "Stellen Sie sich mal vor, alle Medien würden sich entscheiden, den Plan konstruktiv zu unterstützen, und alle anderen Gruppen ließen sich anstecken!" Bis zum 1. Januar darauf, forderte er, müssten alle "6,1 Millionen Profis der Nation" (Manager, Politiker, Geistliche, Journalisten und solche Leute) von seinem Konzept überzeugt sein, und man dachte bei sich: Junge, bist du naiv. Und im nächsten Moment dachte man, dass auch dieser Gedanke schon wieder zynisch sei. Würde sein Plan "eins zu eins umgesetzt" und würden alle mitziehen, ließe sich die Zahl der Arbeitslosen bis zum 30. Juni 2005 um zwei Millionen senken, versprach Peter Hartz. Es zogen nicht alle mit, und der Plan wurde nicht eins zu eins umgesetzt, und die Arbeitslosigkeit ist so hoch als wie zuvor.
Was bleibt, sind viele gute Ideen, ein paar notwendige Gesetzesänderungen und der Umstand, dass der Name des guten Menschen von Niederwürzbach zum Symbol für Sozialabbau wurde. Wer ihn kennt, weiß, wie sehr ihn das schmerzen muss. Denn wer ihn kennt, weiß, dass der Pferdefreund und Kunstliebhaber Peter Hartz "kein dickes Fell hat" (Schnellecke). Einiges, was die Menschen an "Hartz IV" erbost, ist zudem eher "Schröder 2010", denn es war in dieser Schärfe in dem Konzept des Saarländers nicht vorgesehen. Und es ist ja nicht allein der Hass der Montagsdemonstranten. Bislang bekam der Arbeitsdirektor Hartz warmen Applaus in den Betriebsversammlungen von VW, was durchaus nicht selbstverständlich ist in einem Industriekonzern. Doch nun stehen bei Volkswagen die härtesten Tarifverhandlungen seit Jahren an. Denn die Arbeitskosten sind dort um elf Prozent höher als bei der nationalen Konkurrenz - was auch an Peter Hartz liegt, wie seine Kritiker sticheln. Der, so sagt er es zumindest, will nun um die Jobs der VW-Werker kämpfen. Aber die wollen sich wehren gegen Lohnverzicht, Mehrarbeit, den endgültigen Abschied von den fetten Zeiten des Wolfsburger Autokombinats. "Wird Zeit, dass der in Rente geht. Manchmal würde ich ihm auch gerne ein Ei an den Kopf schmeißen", sagt ein VW-Arbeiter beim Bier auf dem Stadtfest. Das werden noch bittere Wochen für Peter Hartz, den Mann, der die Deutschen von der Arbeitslosigkeit befreien wollte.