Dem radikalen Sanierungskurs des weltgrößten Autoherstellers General Motors (GM) fallen bei der deutschen Tochter Opel in den nächsten beiden Jahren 9500 Stellen zum Opfer. Beim Rüsselsheimer Traditionsunternehmen wird damit bis 2006 fast jeder dritte Arbeitsplatz gestrichen. "Es ist der schärfste Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte", sagte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates, Klaus Franz.
Die drohenden Massenentlassungen konnten allerdings verhindert werden: Für eine "sozialverträgliche" Gestaltung habe man GM eine Milliarde Dollar (rund 750 Millionen Euro) "aus den Rippen geschnitten", sagte Franz auf einer Betriebsversammlung in Rüsselsheim. Nur unter dieser Voraussetzung konnten die Betriebsräte nach Franz’ Worten zustimmen. "Unter den schlechten Lösungen - und Arbeitsplatzabbau ist immer eine schlechte Lösung - ist dies die beste Erreichbare", sagte der Betriebsratsvorsitzende des Bochumer Opel-Werks, Dietmar Hahn. Der Stellenabbau betrifft neben Rüsselsheim auch Bochum und Kaiserslautern. Opel Eisenach bleibt von den Maßnahmen verschont, teilte die Adam Opel AG mit.
Beschäftigungsgesellschaften oder Abfindungen als erstes Sicherheitsnetz
Personalvorstand Norbert Küpper nannte auf der Betriebsversammlung zwar eine geringere Zahl von 9500 Stellen betroffenen Stellen. Die Zahl könne sich aber erhöhen, falls mehr Beschäftigte freiwillig eine Abfindung in Anspruch nehmen würden. Von den 9500 Betroffenen entfielen 5000 auf Rüsselsheim, 3600 auf Standort Bochum, 400 auf Kaiserslautern sowie 500 auf Powertrain, das GM-Joint-Venture mit Fiat.
6500 Arbeitnehmer sollen in Beschäftigungsgesellschaften wechseln oder eine Abfindung erhalten. Bis Ende Januar müssen sie sich entscheiden, ob sie das Angebot annehmen. Rund 3000 sollen in Altersteilzeit gehen (ab Jahrgang 1946 und älter) oder in ausgelagerte Unternehmensteile wechseln. "Wir machen Opel damit fit für die Zukunft", sagte Opel-Vorstandschef Hans Demant.
Zweiter Schritt: Die Standortsicherung
Der erreichte Kompromiss ist nur der erste Schritt bei der Sanierung des Autobauers. "In der zweiten Phase werden nun Verhandlungen zur Standortsicherung, zur künftigen Modellvergabe und zu übertariflichen Leistungen geführt", erklärte Opel-Chef Demant. Der Betriebsrat fordert eine Zukunftssicherung für die Standorte Bochum, Rüsselsheim und Kaiserslautern über das Jahr 2010 hinaus. Offen ist, an welchem Standort die neue Mittelklasse (Opel Vectra und Saab 9-3) gebaut wird. Die Verhandlungen könnten sich bis zum zweiten Quartal 2005 hinziehen.
Arbeitsmarkt-Experte: "Halbherzige Lösung"
Als eine gute Lösung für die 10.000 betroffenen Beschäftigten des Autokonzerns Opel bezeichnete Arbeitsmarkt-Experte Herbert Buscher die Übernahme der Mitarbeiter in Beschäftigungsgesellschaften. Gleichzeitig sei dies jedoch aus arbeitsmarktpolitischer Sicht eine halbherzige Lösung, "denn faktisch sind diese Leute arbeitslos", sagte Buscher vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) im "ZDF-Mittagsmagazin".
Die Arbeitslosigkeit sei im Prinzip nur aufgeschoben für 12 oder 24 Monate. "Wenn es bis dahin nicht gelingt, die Personen aus den Beschäftigungs- oder Transfergesellschaften wieder in Arbeit zu vermitteln, gehen sie in die reguläre Arbeitslosigkeit." Dass Opel mit diesen Maßnahmen und den klaren Zielen für das Europa-Geschäft langfristig aus dem Schneider sei, könne man nicht garantieren. Das hänge davon ab, wie die Produktpalette des Werks aussehe, ob sie auf dem Markt Abnehmer finde. "Wenn das mit attraktiven Produkten gelingt, dann könnte Opel wieder in die Gewinnzone kommen und wieder expandieren." Insofern könnten die Transfergesellschaften auch eine Chance darstellen, "aber normalerweise sind die Vermittlungsquoten sehr gering", sagte Buscher.
Die Belegschaft in Rüsselsheim reagierte gefasst auf die Bekanntgabe der Zahlen. Viele Beschäftigte zeigten sich erleichtert, dass jetzt Fakten auf dem Tisch liegen. Nach Angaben des Personalvorstandes wird Opel 2005 und 2006 trotz des Sparprogramms nicht die schwarzen Zahlen erreichen. Der Autobauer ist seit fünf Jahren in der Verlustzone und wird auch 2004 einen dreistelligen Millionenverlust verbuchen.
"Oben" wird auch eingespart
Auch die Zahl der Manager wird um 15 Prozent reduziert, kündigte Demant in der Mitarbeiterzeitung "Opel-Post" an. Bei der Altersteilzeit lägen dem Unternehmen bereits 2500 unterzeichnete Verträge vor. Bei einer Betriebszugehörigkeit von 30 Jahren könne die Abfindung 200.000 Euro ausmachen.
Neben den Personalmaßnahmen sollen auch Unternehmensteile ausgelagert oder Partnerschaften gegründete werden. "Gespräche mit potenziellen Partnern wurden bereits aufgenomme", erklärte Opel. Dies könnten Firmen aus der Komponentenfertigung oder Lagerhaltung sein.
Ein europäisches "Monitoring" soll die Umsetzung begleiten
"Wesentlicher Punkt der Vereinbarung ist die erklärte Absicht beider Vertragspartner, betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen zu vermeiden. Weiterhin soll die auf nationaler Ebene zu verhandelnde Umsetzung des Restrukturierungsprogramms durch ein europäisches Monitoring, das heißt eine Überprüfung der Umsetzung, begleitet werden." Die Vertragsparteien einigten sich den Angaben zufolge ebenfalls darauf, nicht nur einseitig durch Kosteneinsparungen, sondern auch auf der Einnahmenseite über verstärkte Marketing- und Verkaufsaktivitäten in Europa den Erfolg im europäischen Wettbewerb zu suchen.
Restrukturierung durch Kriterien-Katalog
"Unser gemeinsames Ziel ist es, die Restrukturierung sozialverträglich zu gestalten und für die Zukunft faire Bedingungen für die Vergabe von Produktionskapazitäten in Europa zu erreichen", erklärte Franz, der auch Vorsitzender des Europäischen GM-Arbeitnehmerforums ist. Für zukünftige Auslastungen der Werke und als Antwort auf die Strategie des Standortwettbewerbs von General Motors Europa sei ein erster Kriterienkatalog vereinbart worden. Dieser umfasse die Punkte Verkaufs-, Marketingstrategie und Nachfrage, Produktionsstrategie, finanzielles Investment, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und mögliche Personalabbaukosten.
Opel in Deutschland
Opel beschäftigt rund 33.000 Mitarbeiter in Deutschland. Der Konzern verfügt über vier Standorte. Bochum ist das größte Opel-Werk, das jüngste steht in Eisenach. General Motors unterhält in ganz Europa insgesamt elf Werke.
Der Mutter-Konzern General Motors hatte Mitte Oktober seine Absicht bekannt gegeben, dass er bei seinen europäischen Töchtern Opel, Saab und Vauxhall innerhalb von zwei Jahren bis zu 12.000 streichen wolle, davon allein in Deutschland 10.0000. Damit will der Konzern nach eigenen Angaben die jährlichen Fixkosten um rund 500 Millionen Euro senken.
Die Pläne hatten für Aufruhr an den deutschen Opel-Standorten gesorgt. In Bochum legten die Beschäftigten ihre Arbeit nieder worauf die Produktion in anderen europäischen Werken zum Erliegen kam. IG-Metall-Chef Jürgen Peters hatte der Opel-Führung damals mit Streik gedroht und warnte sie davor, "die Konfrontation weiter zu betreiben" und die Vorgaben des amerikanischen Mutterkonzerns General Motors durchzusetzen.