Verfassungsschutzbericht "No-Go-Areas darf es nicht geben"

Laut dem jüngsten Verfassungsschutzbericht ist die Zahl der rechten Staftaten in Deutschland 2005 um 27 Prozent gestiegen. Im Hinblick auf die No-Go-Area-Debatte bezeichnete Innenminister Schäuble diese Zahl als "sehr Besorgnis erregend".

Die Zahl politisch motivierter Straftaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 2005 hervor, den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Montag gemeinsam mit Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm in Berlin vorstellte. Als "sehr Besorgnis erregend" bezeichnete Schäuble die Zunahme der politisch rechts motivierten Straftaten um 27 Prozent auf 15 360 Fälle. Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten sei um 23 Prozent gestiegen. Die Grünen werteten den Bericht als Beweis dafür, dass es in Deutschland eine sich verfestigende und wachsende rechtsextremistische Szene gebe. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, Volker Beck, forderte die Politiker auf, ihren Kampf gegen den Rechtsextremismus zu verstärken. Dieser dürfe nicht länger von der "tagespolitischen Konjunktur" abhängig gemacht werden, sagte Beck der Nachrichtenagentur AP.

"No-Go-Areas"

Der Begriff "No-Go-Area", der jetzt in die Debatte um fremdenfeindliche Regionen in Ostdeutschland eingebracht wurde, ist militärischen Ursprungs. Er soll in den 1970er Jahren während des Bürgerkriegs in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, entstanden sein. Weil die Soldaten der weißen Minderheitsregierung das gesamte Land nicht schützen konnten, konzentrierte sich die Armee auf Schlüsselstandorte. In den übrigen Gebieten konnte die öffentliche Ordnung nicht sichergestellt werden. Diese "No-Go-Areas" sollte die weiße Bevölkerung meiden.

In der Folgezeit wurde der Begriff ausgedehnt und bezeichnete nun auch gefährliche Stadtteile. Betroffen waren Slums oder andere Problemviertel von Metropolen wie New York, Johannesburg oder Rio de Janeiro, in denen Gewalttaten an der Tagesordnung standen oder stehen. In einigen dieser Zonen steht die Polizei der extrem hohen Kriminalität machtlos gegenüber. Auch Bürgerkriegsgebiete wie die somalische Hauptstadt Mogadischu oder Teile des Iraks sind nur unter Lebensgefahr zu betreten und somit "No-Go-Areas".

Aktuell wird über deutsche "No-Go-Areas" diskutiert. Vor allem in Ostdeutschland kommt es immer wieder zu rechtsextremistischen Gewalttaten. Deshalb riet der frühere Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye Ausländern, diesen "No-Go-Areas" fern zu bleiben. Kritiker warnen jedoch einerseits vor der übertriebenen Darstellung generell und andererseits davor, dass Neonazis damit ihr Ziel der "national befreiten Zone" erreicht hätten.

Debatte über Gewalttaten

Der Verfassungsschutzbericht befeuert die Debatte über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im ganzen Land - vor allem aber in den ostdeutschen Bundesländern. Nachdem in den vergangenen Wochen einzelne, offenbar rassistisch motivierte Straftaten Aufmerksamkeit erregt hatten, ist eine Diskussion über Ursachen und Handhabung rechtsextremer Gewalttaten entbrannt. Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye hatte in der vergangenen Woche überdies einen Aufschrei provoziert, als er Ausländer davor warnte, in bestimmte Regionen Brandenburgs zu reisen.

"No-Go-Areas darf es nicht geben"

Schäuble versprach am Montag ein entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremisten in allen Teilen Deutschlands. Man nehme die jüngsten Gewalttaten außerordentlich ernst, sagte er. Er sei mit den Länderinnenministern im Gespräch, wie - auch mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft - die Polizeipräsenz erhöht werden könne. "No-Go-Areas darf es nicht geben", sagte Schäuble. "Es gibt keine Zonen in der Bundesrepublik Deutschland, in denen das Gewaltmonopol des Staates nicht gilt." Die Sicherheitsbehörden seien entschlossen, das durchzusetzen. "Deswegen können sich alle Menschen in unserem Land sicher fühlen." Niemand sollte die Probleme kleinreden, zugleich sollte aber auch niemand der Polizei etwas unterstellen.

Beck attackiert Schäuble und Beckstein

Oppositionspolitiker Beck dagegen griff Schäuble an. Verharmlosende Äußerungen über rechte Gewalt, wie sie auch von Politikern immer wieder zu hören seien, dürfe es nicht geben, sagte er. Dazu zählten auch Sätze wie der von Schäuble, dass auch blonde und blauäugige Menschen in Deutschland Opfer von Gewalttaten würden, oder der Spruch des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU), wonach ein Türke in München im Zweifelsfall sicherer als in Ankara oder Istanbul lebe. Mit einer solch "zynischen Logik" spiele man Rechtsextremisten in die Hände, sagte Beck.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auch Zahl der Straftaten Linker steigt

Schäuble sagte, eine Ursache der Entwicklung könnte die Zunahme von Demonstrationen rechter Gruppen sein, auf die es wiederum Gegendemonstrationen gewaltbereiter linker Gruppen gebe. So hätten auch Straf- und Gewalttaten Linksextremer deutlich zugenommen. Die Zahl linksmotivierter Straftaten hat dem Bericht zufolge im Jahr 2005 bei 2305 Fällen gelegen - gegenüber 1440 Fällen im Jahr 2004. Darunter wurden 896 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund erfasst. 2004 waren es 521 gewesen.

Schäuble warnte am Montag auch vor einer unverminderten Bedrohung Deutschlands durch islamistische Extremisten und Terroristen. "Auch Deutschland ist im Zielspektrum islamistischer Terroristen", sagte er. Für Entwarnung gebe es keinen Anlass. Die Zahl aktiver islamistischer Gruppen sei gegenüber 2004 von 24 auf 28 gestiegen, die Mitgliederzahl habe leicht um 300 auf 32 100 zugenommen.

AP · DPA
AP/DPA