Als wir um sechs Uhr Peking, den 14-Millionen-Moloch, verlassen, ahnt niemand, dass der erste Tag unserer Rallye ein Tag der Pannen werden wird. "12 000 Kilometer bis Berlin", ruft Peter Schaumburg, der die Tour organisiert hat. Vor einer Viertelstunde hat er noch nach seinem Pass gesucht. Hektik bei allen. Die letzten Tage vor dem Aufbruch waren anstrengend gewesen. Bis nach Mitternacht haben wir gepackt. Jeder von uns hat einen harten Job, keiner einen Acht-Stunden-Tag, manchmal sah es so aus, als könnten wir nicht weg: Peter ist Chefkoch im Pekinger Kempinski-Hotel, der Boss von achtzig Leuten. Richard George, der Engländer, hat ein Unternehmen und unser Mechaniker Shang repariert in Peking die Oldtimer-Motorräder von hunderten Ausländern. Rene Egle arbeitete im Shangi-La Hotel in Jakarta. Sein Chef hat angekündigt, ihn rauszuschmeißen, wenn er bis zum 4. Juli nicht zurück ist. In nur vier Wochen soll er den weiten Weg durch den Norden Chinas und durch ganz Russland nach Deutschland schaffen.
Abschied im Motorrad-Spalier
Zum Abschied stehen am Parkplatz des Kempinski Hotels zwanzig Chang Jiangs, chinesische Seitenwagen-Motoräder, mit ihren Besitzern für uns Spalier. Die Maschinen sind ein Nachbau der Dreißiger Jahre BMW R 71, unter den Ausländern aus Europa und Amerika, die in Chinas Hauptstadt arbeiten, sind die Maschinen Kult.
Frohen Mutes schlängeln wir uns durch den Morgenverkehr. Als ich 1999 anfing, für den stern in Peking zu arbeiten, gab es 500.000 Autos in der Stadt, heute sind es zwei Millionen. Nirgendwo in der Welt wächst der Automobilmarkt schneller als in China.
Ruheloses Peking
Peking ist eine Stadt, die niemals schläft. Aber in einem anderen Sinn als London oder New York. Für die ewige Bewegung, die nicht endende Betriebsamkeit, die nervöse Rastlosigkeit sorgen in Chinas Hauptstadt weder hippe Künstler, noch schräge Discjockeys und junge Partygänger, sondern - Bauarbeiter. Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche malochen zehntausende Wanderarbeiter, um das Peking der Olympischen Spiele 2008 zu errichten. Der Lärm der Bagger, Betonmischer und Raupen hört niemals auf.
Am Weg der Luxus-Ghettos
Wir lachen über den Tankwart, der aufgeregt auf Rene zuläuft, mit den Händen fuchtelt und schreit: ”Nein, nein. Kein Video“. Dann erklärt er, dass seine Tankstelle sonst in die Luft fliegen könne. Mmmh. An der Ausfallstraße in Richtung Norden weisen große Schilder auf die Wohnsiedlungen der Neureichen und der ausländischen Managerfamilien hin: Hauptstadtparadies, Pekings Riviera, Grüner Garten heißen die Luxus-Ghettos. Ein Haus kostet hier 8.000 Euro Miete, im Monat. Das Durchschnittseinkommen der armen Landbevölkerung, die immer noch rund 800 Millionen Menschen ausmacht, liegt bei 200 Euro - im Jahr. Wenn es eine neue Revolution geben wird, werden die Villenvororte zu den ersten Zielen der Aufständischen gehören, denke ich. Im Gini-Index, der die Unterschiede zwischen Arm und Reich misst, ist China inzwischen auf Platz 104 abgerutscht. Es liegt zwei Plätze hinter Kirgistan, aber immerhin einen vor Simbabwe.
Tagesziel: die Sommerresidenz der Kaiser
227 Kilometer Chengde, steht auf einem blauen Schild. Die alte Sommerresidenz der Kaiser ist unser Tagesziel. Wir haben Zeit, denken wir, und machen einen Abstecher in die Berge und an die Große Mauer, stoppen bei Britta. Die junge Chinesin verdankt ihren deutschen Namen Peter Schaumburg und Rene Egle aus unserem Team. Weil sich Ausländer meist keine chinesischen Namen merken können, haben junge Chinesen oft westliche Zweitnamen. Manche, die ganz modern sein wollen, bestehen darauf, fortan nur noch Jodi, Peter oder Nancy genannt zu werden.
Forellen an der Großen Mauer
Britta hat ein Restaurant in der Nähe eines verfallenen, malerischen Stückes der Großen Mauer. Wir bestellen sechs Forellen, schießen Fotos mit den Bannern unserer Hauptsponsoren, der russischen Software-Firma Antor und den Türen-und Zagenbauern von Westalit. Die Bauern aus Huang Hua Cun, dem Dorf der Gelben Blume, reißen die Augen weit auf, als sie unsere kleine Motorradkolonne sehen.
Plopp, Ventil verstopft
Gegen ein Uhr wollen wir die restlichen 150 Kilometer bis Chengde in Angriff nehmen. Ricks Motorrad stottert erbärmlich. Die Benzinzufuhr stockt, die Ventile sind verstopft mit Farbe, die sich aus dem Inneren des Tanks löst. Unser Fotograf, Gerd George, selbst seit zwanzig Jahren Motorradfahrer, schlägt vor, am besten gleich den ganzen Tank auszubauen. Shang, der Mechaniker leert den Tank, sucht dann Kieselsteine um ihn von innen zu säubern und Farbreste loszulösen. Wir sind acht Stunden unterwegs und erst hundert Kilometer weg von Peking. Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, werden wir erst an Weihnachten in Berlin ankommen.
Passage an einem Unglücksort
Um vier geht es weiter, endlich. Wir tuckern vorbei an schroffen Berglandschaften. Wir passieren eine Stelle, an der ich im vergangenen November einen gefährlichen Unfall hatte. Der Fahrer des stern-Büros hatte bei Schnee und Eis die Kontrolle über unseren Jeep verloren, einen Minibus gerammt und in den Abgrund gestoßen. Wir selbst hingen halb über dem Steilhang, nur das Gewicht des Motors verhinderte, dass auch wir abstürzten. Wie durch ein Wunder war nur ein Insasse des Busses leicht verletzt.
Wir selbst kamen mit dem Schrecken davon. Durch das Schneegestöber trugen meine Frau und ich unsere beiden Kinder Max, 2, und Moritz, 4, ins nächste Dorf. Keiner dort hatte ein Auto, überall war es bitterkalt, im einzigen Geschäft suchten wir Schutz vor Wind und Schnee. Die Besitzer gaben uns Tee und Zucker. Zum Abschied kaufte ich Kekse und fünf Flaschen Hirseschnaps für die Bauern, die uns geholfen hatte. Die Freude war unbeschreiblich. Auch bei den Geschäftsinhabern. Wir hatten für 40 Yuan eingekauft, das sind rund vier Euro. Hundertfünfzig Kilometer von Peking ist das ein Haufen Geld.
Ankunft in der Dunkelheit
Bei Anbruch der Dunkelheit erreichen wir Chengde. Wir haben 320 Kilometer hinter uns gebracht. Immerhin. Die berühmten Paläste und Tempel allerdings sind um sieben Uhr abends für Besucher schon geschlossen. Wir werden sie uns morgen anschauen.