Schon seit mehreren Jahren spielt Microsofts einstiges Kern-Geschäft Windows in den Reden des Microsoft-Chefs Satya Nadella kaum noch eine Rolle. Sein Herzensthema ist längst der Cloud-Dienst Azure, wie er gerade auf einer Rede in Washington erneut bekräftigte. Er will ihn zum "Welt-Computer" ausbauen. Die Technologie dahinter nennt sich "Intelligent Edge" - und sie hat tatsächlich das Potenzial, die Technik-Welt zu verändern.
Denn die Zukunft gehört nicht den Geräten in unserer Tasche sondern ihrem Zusammenspiel mit der intelligenten Cloud, so Nadella. Lange Zeit mussten unsere Rechner ihre Berechnungen entweder selbst erledigen, oder sie waren auf die Leistung der Cloud angewiesen. Die Intelligent Edge bricht diesen Gegensatz auf - und öffnet so unzählige neue Möglichkeiten.
Ständiges Zusammenspiel
Aus Cloud und Gerät wird ein Zusammenspiel. Die smarten Geräte - Edge genannt - arbeiten im Alltag vor sich hin und sammeln dabei Daten. Die werden dann an die Cloud geschickt und dort von künstlicher Intelligenz weiterverarbeitet. Die dabei entstandenen Verbesserungen der KI werden dann wieder auf die Edge übertragen, die dadurch noch smarter vor Ort agieren kann. So verbessert sich das System ständig selbst.
Verdeutlichen lässt sich das etwa am Beispiel des autonomen Fahrens. Die selbstfahrenden Autos bekommen aus der Cloud die Algorithmen, die ihnen das selbstständige Reagieren auf ihre Umgebung ermöglichen. Die Berechnungen müssen im Auto selbst passieren. Immer erst auf eine Reaktion der Cloud zu warten, wäre im schnellen Verkehr viel zu gefährlich, von Ausfällen des Internets einmal ganz abgesehen. Dank des stetigen Datenstroms in die Cloud werden die Berechnungen in der Edge trotzdem stetig verbessert.
Die Geräte selbst treten dabei in den Hintergrund. Während Microsoft früher auf allen Windows laufen lassen wollte, spielt das Betriebssystem heute kaum noch eine Rolle. Wie sehr das zutrifft, zeigte der Konzern letzte Woche, als er sein erstes Smartphone mit Android präsentierte.
Der Höhepunkt kommt erst noch
Und die große Revolution steht ohnehin noch bevor. 50 Milliarden Geräte würden bis 2030 mit dem Internet verbunden sein, schwärmte Nadella. "Das ist überwältigend. Gerade gibt es eine Milliarde Windows-Geräte oder einige Milliarden Smartphones. 50 Milliarden Geräte ist dann ein ganz anderer Maßstab."
Die Entwicklung wird gigantische Folgen haben, ist sich der Microsoft-Chef sicher. "Wenn man so ein gigantisches Gewebe aus Computern hat, entsteht dadurch ein ganz neues Kapital aus Daten und KI. Es wird keine einzige Anwendung, keine einzige Erfahrung geben, die man nicht auf Basis von KI baut."
Microsoft ist mit diesem Ansatz natürlich nicht alleine. Auch die anderen großen Player setzen auf die smarte Kombination aus Cloud und Endgerät. So verbessern etwa Google und Apple ihre Smartphone-Kameras, indem sie ihr stetig verbesserte KI-Unterstützung zur Berechnung spendieren. Auch die immer besser funktionierende Gesichtserkennung beruht darauf. Anders als die Konkurrenten macht Microsoft Edge-Computing und Azure aber immer mehr zu seinem Hauptgeschäft. Und schreckt dabei auch nicht vor einigen umstrittenen Einsätzen seiner Dienste zurück.
Das Militär als Kunde
Nadella präsentierte seine Vision natürlich nicht zufällig in Washington. Er bewarb dort auf dem Microsoft Government Leaders Summit die Dienste seines Konzerns für Politik und Militär. "Wir wollen Partner der Regierungen werden. Nicht, um sie von unserer Technologie abhängig zu machen. Sondern um aus ihnen unabhängige Nutzer und Ersteller von Technologien zu machen, die mit uns zusammenarbeiten."
Bereits letztes Jahr hatte sich Microsoft klar dazu bekannt, trotz Protesten der eigenen Mitarbeiter das US-Militär weiter mit seinen Technologien ausrüsten zu wollen. So bewarb sich der Konzern - genauso wie Amazon - um einen Großauftrag, der die Software des US-Militärs komplett überholen und auf Cloud-Basis bringen soll. Welcher Konzern den Auftrag erhält, ist noch offen. Im Sommer schloss Microsoft einen weiteren Milliarden-Deal ab, um die Büros des Pentagon mit seinen Office-Programmen auszustatten.
Kritiker sehen die Kombination aus Edge-Computing und Militär als durchaus gefährlich an. So könnten Drohnen in Zukunft auf Basis ihrer KI-Algorithmen selbst die Entscheidung zum Angriff treffen. Google hatte sich wegen solcher Befürchtungen in seiner Belegschaft entschieden, die Zielerkennung von Drohnen nicht weiter zu unterstützen.
Nadella scheint diese Gefahr durchaus bewusst zu sein. In seiner Rede sprach er auch von der Verantwortung, die KI mit sich bringt. "Wir glauben an verantwortliche KI. Man muss auch die schweren Fragen stellen, nicht nur was ein Computer tun kann - sondern auch, was er tun sollte." Die Antwort nannte er nicht.