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EU gegen Google Brüssel sagt dem Giganten den Kampf an

Es ist ein Statement mit Wucht. EU-Kommissarin Margrethe Vestager wirft dem Suchmaschinengiganten offiziell Marktmissbrauch vor. Triumphgeheul der Europäer wäre völlig verfehlt.
Von Florian Güßgen

Es ist mehr als ein Paukenschlag. Es ist ein Knall, der weit zu hören ist, auch im Silicon Valley an der kalifornischen Küste. Die EU-Kommission wirft dem Suchmaschinengiganten Google offiziell Marktmissbrauch vor. Der US-Konzern soll seine vorherrschende Stellung bei der Suche in Europa dazu missbraucht haben, seinen Preisvergleichsdienst Google-Shopping zu bevorzugen. Googles Kunden sollen nicht die wichtigsten, die besten Ergebnisse gezeigt bekommen haben, sondern die, die Googles Geschäftsinteressen am besten entsprechen.

Google hat jetzt zehn Wochen Zeit auf die „Mitteilung der Beschwerdepunkte“, wie es gewunden heißt, zu reagieren. Ein Vergleich ist immer noch drin, eine saftige Buße aber auch. „Alle Wege sind offen“, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Mittwoch in Brüssel. Gleichzeitig sollen ihre Beamte andere Vorwürfe gegen Google weiter verfolgen. Und Vestager eröffnet eine Untersuchung, ob Google seine Position beim Einsatz des mobilen Betriebssystems Android missbraucht, etwa gegenüber den Herstellern von Tablets und Smartphones. Der Konzern wird hart angepackt. In einer ersten Reaktion veröffentlichte Google zunächst zwei Blog Posts, die hier zu finden sind, Die Position der Kommissarin und Hintergrundinfos der Kommission gibt es hier.

Etappensieg der Google-Gegner

Die Entscheidung der EU-Kommission ist zunächst ein Etappensieg der Google-Skeptiker und der Google-Gegner. Denn sie bedeutet eine klare Kehrtwende. Vestagers Vorgänger, der Spanier Joaquin Almunia, hatte sich nach zähen Untersuchungen und wiederholten Verbesserungsvorschlägen mit Google im vergangenen Jahr partout auf einen Vergleich einigen wollen. In letzter Minute wurde er ausgebremst, auch von kommissionsinternen Kritikern, darunter dem deutschen Kommissar Günther Oettinger. Vestager ist seit vergangenem November im Amt. Sie hat das Verfahren neu aufgerollt – und jetzt anders entschieden, zumindest vorläufig. Das ist bemerkenswert, die Dänin sorgt mit ihrer ersten großen Entscheidung sofort für Furore. Und sie geht nun auch einen Schritt, den die US-Kartellrechtsbehörde FTC Anfang 2013 noch gescheut hatte: Google offiziell anzuprangern. Zu den Beschwerdeführern in Brüssel gehört auch der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Dort ist Gruner und Jahr Mitglied, der Verlag, zu dem auch stern.de gehört.

Die Entscheidung ist ein politisches Signal. Die EU-Kommission demonstriert, dass sie gewillt ist, sich im Ringen darum, was im digitalen Zeitalter geht und was nicht, einzumischen, mitzuspielen. Zu wandelbar, zu schnell, mitunter auch zu kompliziert seien diese digitalen Märkte, heißt es immer wieder, mit Wettbewerbsrecht schwer zu fassen, und auch nicht mit den trägen rechtlichen Verfahren, bis hin zum Europäischen Gerichtshof.

Hier hat Vestager nun klar gemacht, dass sie bereit ist, die komplizierte Materie anzupacken – und auch lange Rechtsstreitigkeiten riskiert. Die digitale Wirklichkeit ist so ein Stück mehr in der Brüsseler Politik angekommen. Das Internet war zwar nie ein rechtsfreier Raum. Aber erst langsam beginnt eine Phase, in der sich die Gesetze der digitalen Wirklichkeit anpassen, in der um die angemessene Verrechtlichung gestritten wird. Vestagers Schritt ist da ein klares Bekenntnis, dass auch der Koloss Kommission den Mumm hat, sich wendig genug wähnt, sich auf den Streit einzulassen. Trotz aller Wut, die sich nun in Washington und im Silicon Valley Bahn brechen wird. Das ist schon mal nicht schlecht.

Quasitotalitärer Anspruch der neuen Ölbarone?

Triumphgeheul der Europäer allerdings wäre völlig verfehlt. Klar, man kann in diese Entscheidung jetzt viel reininterpretieren. Google hat sich in den vergangenen Jahren in Europa und gerade in Deutschland zum Symbol für einen vermeintlich ruch- und zügellosen Techkapitalismus made in Silicon Valley entwickelt, mitunter zum Sinnbild eines vermeintlich quasitotalitären Anspruchs der digitalen Ölbarone, zur Projektionsfläche von gesammelten Ängste und Befürchtungen. Und die Entscheidung Vestagers lässt sich wunderbar auslegen als das erste sichtbare Aufbegehren der Europäer. Aber diese Sichtweise, ist daneben, auch wenn sie es den Europäern so einfach macht und so wunderbar antiamerikanische Sentiments bedient. Vestager wies in der Pressekonferenz am Mittwoch darauf hin, dass es auch viele US-Firmen sind, die sich bei der EU-Kommission über Google beschwert haben. Und es ist auch ein kluger Schachzug, dass sie heute sofort nach Washington zu einer Konferenz hochrangiger Wettbewerbsspezialisten fliegt. Sie macht sich dort angreifbar – und sie wird angegriffen werden.

Das Kernproblem der Europäer kann auch eine verfehlte Verteufelung Googles kaum überdecken. Klar muss es Schranken für Google, Facebook, Uber & Co geben. Aber tatsächlich haben europäische Firmen es in den vergangenen Jahren nicht geschafft haben, auch nur annähernd so kreativ, so innovativ zu sein wie diese US-FirmenÜber Jahre laboriert die EU an Konzepten für den digitalen Binnenmarkt, schreibt Papier um Papier, und beim Googeln finden sich zig Sonntagsreden über die ganz eigene europäische Innovationskraft. Nur, so richtig gezündet hat die bislang noch nicht. Im Mai will Digitalkommissar Oettinger nun seinen Plan vorstellen, Europa voranzubringen. Als Maßstab für die digitale Potenz der Europäer ist das vielleicht entscheidender als der Knall, den Margrethe Vestager heute erzeugt hat.

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