Die Hoffnungen, dass 2021 ein entspannteres Jahr sein möge als das vorherige, war bei vielen Menschen groß. Doch dass sich die Probleme und Konflikte der Welt nicht nach einem Mitternachtswalzer lösen, wurde nach nur sechs Tagen deutlich. Am Mittwoch, als Joe Biden vom Kongress als 46. Präsident der Vereinigten Staaten bestätigt werden sollte - im Grunde eine reine Formalie - stürmte ein Mob von Trump-Anhängern das Kapitol.
Die Menge überrannte die Sicherheitsbarrieren vor dem Kapitol und drang in das Gebäude ein. Die Kongresssitzung wurde unterbrochen, Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein. Die Trump-Anhänger schossen Erinnerungsfotos und durchsuchten die Räume. Im Büro von Nancy Pelosi, der Präsidentin des Repräsentantenhauses, hinterließ einer der Anhänger sogar eine Botschaft: "We will not back down", wir werden nicht nachgeben.
Dies sei ein "beispielloser Angriff auf die Demokratie", erklärte Joe Biden, der Trump aufforderte, vor die Kameras zu treten und die "Belagerung" zu beenden. Trump rief seine Anhänger erneuerte jedoch die Wahlbetrugsvorwürfe und tadelte die Eindringlinge nicht.
"Remember this day forever" - mit diesen provokanten Worten schloss US-Präsident Donald Trump sein Statement, kurz bevor der Kurznachrichtendienst Twitter den Tweet löschte und den Account des amtierenden US-Präsidenten für zwölf Stunden sperrte. Auch Facebook, Instagram und Snapchat sperrten Donald Trump aus.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Soziale Netzwerke in der Kritik
Die Erstürmung des Capitol Hill am Mittwoch kann als das Ergebnis der seit Wochen gebetsmühlenartig von Trump vorgetragenen, fälschlichen Behauptungen der gestohlenen Wahl gesehen werden. Organisiert wurde der Marsch über soziale Medien. Auf Parler, für viele Anhänger der Alt-Right-Bewegung die Plattform der Wahl, wurden detaillierte Anleitungen gepostet, wie man die polizeilichen Maßnahmen umgehen könne und welche Werkzeuge man bei sich tragen müsse, um die Türen aufzubrechen. Im Gebäude angekommen posteten Trump-Anhänger feierliche Fotos von sich selbst und ermutigten so andere, sich ihnen anzuschließen.
Die Betreiber der sozialen Netzwerke stehen nun ebenfalls im Zentrum der Kritik. Denn sie waren es, die beinahe vier Jahre lang, also Trumps gesamte Amtszeit, sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, gegen die Posts von Trump und andere, ähnlich toxische Inhalte vorzugehen. Donie O' Sullivan, Reporter beim Nachrichtensender CNN, erklärte, die Ereignisse vom Mittwoch seien "der Schaden von Verschwörungstheorien, der Schaden von Lügen, das direkte Ergebnis von Facebooks, Twitters und Youtubes Untätigkeit".
Twitter blieb zu lange neutral
Denn die Nutzung und der Missbrauch von Twitter durch den Präsidenten, um anderen Nationen mit einem Atomkrieg zu drohen und legitime Wahlen zu untergraben, gehören bereits seit seinem ersten US-Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2016 zur Medienlandschaft. Doch statt Trump den Stecker zu ziehen, wie es Kritiker immer wieder forderten, unterstützte Twitter jahrelang den Präsidenten und setzte ihn sogar auf die Liste der vorgeschlagenen Nutzer. Selbst dann noch, als er fälschliche Wahlbehauptungen und rassistische Lügen verbreitete. Er konnte sich Dinge erlauben, für die andere Nutzer längst von der Plattform geflogen wären.
Auch Facebook agierte jahrelang nur halbherzig. Im Sommer, als die Proteste in Folge der Black-Lives-Matter-Bewegung lauter wurden und namhafte Werbekunden mit Boykotts drohten, intensivierte das Unternehmen schließlich die Bemühungen, Hass-Botschaften einzudämmen. Doch die Probleme waren Facebook längst über den Kopf gewachsen. In Pro-Trump-Gruppen wird seit Wochen offen zum Widerstand aufgerufen - ein Zeichen dafür, wie überfordert die Netzwerke sind. Zwar schlossen die Betreiber die Gruppen und Kanäle der QAnons und Proud Boys, doch diese zogen einfach auf die nächsten Plattformen, in denen sie offen zur Gewalt aufrufen.

Unternehmen reagierten zu zaghaft
Twitter und Facebook sahen sich zu lange als neutrale Instanz. "Es gibt gute Argumente für private Unternehmen, gewählte Amtsträger nicht zum Schweigen zu bringen", sagte Alex Stamos, ehemaliger Chief Security Officer bei Facebook gegenüber dem US-Portal "The Verge". "Aber all diese Argumente basieren auf dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. Twitter und Facebook müssen ihn ausschalten. Es gibt sonst keine legitimen Möglichkeiten mehr und die Kennzeichnung wird es nicht tun."
Wie schwer sich die Unternehmen tun, die Reichweite von Trump zu begrenzen, wurde am Mittwoch wieder einmal deutlich. Das Video, indem Trump dem marodierenden Mob zurief, dass er sie liebe und sie "etwas ganz Besonderes" seien, kennzeichnete Twitter zunächst als umstritten und verhinderte, dass es geliked oder retweeted werden konnte. Allerdings konnte man die Videobotschaft immer noch über die Zitat-Funktion weiterverbreiten. Die Unternehmen machten erst dann ernst, und entfernten den Clip, als ein Mann mit Büffelfell und nackter Brust im Herzen der amerikanischen Demokratie posierte.
Plattformen ermöglichen Aufstieg der Autoritären
"Es gibt einen Grund, warum Autoritäre auf sozialen Medien gedeihen", schreibt die US-Professorin Emily Bell auf Twitter. "Ihr Aufstieg in Demokratien, von Indien bis zu den USA, geht nicht nur *mit* den sozialen Medien einher, sondern wird durch Plattformen ermöglicht, die speziell für charismatische Populisten entwickelt wurden.
Und sie benennt auch das Problem: "Aber es gibt, soweit ich weiß, keine plattformübergreifende Initiative, was man gegen Autoritäre tun kann. Stattdessen haben wir vage Begriffe wie 'Bekämpfung von Fehlinformationen', 'Integritätsprojekte' und viel mehr Schutzmaßnahmen *für* Macht - statt Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch von Macht."
Wird das Silicon Valley reguliert?
Mit der Ernennung von Joe Biden zum 46. US-Präsidenten erwarten viele Marktbeobachter, dass die namhaften Tech-Konzerne stärkere Regulierungen erwartet. Die Tech-Giganten befinden sich seit mehr als einem Jahr im Visier Washingtons. Untersucht werden etwa ein möglicher Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung und die Bedingungen, denen sich andere Unternehmen auf ihren Plattformen beugen müssen.
Nach dem Wahl in Georgia ist nun auch klar, dass der Senat von den Demokraten beherrscht wird. Gut möglich, dass der laxe Umgang in der Vergangenheit und die Ereignisse des Capitol Hill für die Tech-Giganten nun zum Bumerang werden könnten.
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