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Ortsbesuch Geboren im Osten, den Blick nach Westen: So will Huawei die Welt erobern

In Huaweis Heimat China ist der Konzern schon jetzt Marktführer
In Huaweis Heimat China ist der Konzern schon jetzt Marktführer
© Malte Mansholt / stern.de
Huawei ist in aller Munde, noch dieses Jahr könnte der Konzern Samsung vom Smartphone-Thron stoßen. Doch was treibt Huawei an? Wir haben das Unternehmen in seiner Heimat Shenzhen besucht - und einen gewaltigen Spagat zwischen Osten und Westen gefunden.

Lautlos gleitet die Schweizer Bergbahn über die Schienen, quer durch ein chinesisches Phantasieland. Die Fahrt beginnt zwischen Pariser Prachtbauten, vorbei an den verschlafenen Gassen Freiburgs, passiert dann Burgund und Oxford. Auf einem Hügel prangt das Heidelberger Schloss. Doch hinter den Balkontüren Veronas wartet nicht Julia auf ihren Romeo. Die aufwendig und mit edelsten Materialien nachgebauten Mauern von zwölf europäischen Städten verbergen Büros und Forschungsanlagen. 

Der Campus des chinesischen Technikkonzerns Huawei sei als Hommage an die Weisheit der Europäer zu verstehen, an Jahrhunderte voller Erfolge und ihr Scheitern, so das Unternehmen. Dabei ist das Verhältnis mit dem Westen derzeit alles andere als unkompliziert. Spionage-Befürchtungen der USA überschatten den Ausbau des 5G-Netzes in Europa. Andererseits hat Huawei ein großes Ziel: Samsung als größten Smartphone-Hersteller der Welt abzulösen. 

Hinter des Fassaden der Heidelberger Altstadt verbergen sich Huaweis Forschungsanlagen und Büros
Hinter des Fassaden der Heidelberger Altstadt verbergen sich Huaweis Forschungsanlagen und Büros
© Malte Mansholt / stern.de

Neonflut und grüne Gärten

Ausgangspunkt dieser Revolution ist Shenzhen. Hier hat Huawei sein Hauptquartier. Soweit das Auge reicht schrauben sich die Hochhäuser mit 40 Stockwerken und mehr in den Himmel. 200 Meter hohe Fassaden hinaufrollende LED-Werbung taucht Chinas Technik-Metropole in Neonlicht. Geschätzt 23 Millionen Einwohner strömen durch die Straßen dieser futuristischen Stadt, auf den Elektronik-Märkten lassen sich in Flohmarkt-Atmosphäre Platinen und Mikrochips gleich säckeweise kaufen. Die Stadt ist Chinas digitales Wirtschaftswunder. Und Huawei ist mittendrin.

Die  üppigen Grünanlagen von Huaweis altem Hauptquartier stehen im direkten Kontrast zum quirligen Treiben der Hochhaus-Metropole. Flache, schicke Gebäude mit schlichten Fassaden erstrecken sich über mehrere Blocks, umgeben von akkurat gepflegten Wiesen, Bäumen und Blumenbeeten. Manche Teile der Anlage erinnern an Wellness-Hotels, andere würden auch als Uni-Campus in Europa oder dem Silicon Valley durchgehen. Wären da nicht die Maybachs, die am Straßenrand parken.

Huaweis Campus könnte auch in Europa liegen
Huaweis Campus könnte auch in Europa liegen
© Malte Mansholt / stern.de

Geboren im Osten, der Blick nach Westen

Der Spagat zwischen westlichem Einfluss und chinesischen Wurzeln zieht sich durch das ganze Unternehmen. Viele der offenen Großraumbüros könnten mit ihren Pflanzen, den Plakaten und den Figürchen neben dem Bildschirm auch aus westlichen Firmenkomplexen stammen. Nur die Feldbetten dazwischen lassen erahnen, dass hier bis zum Umfallen geackert wird. In den Kantinen der einfachen Angestellten schlafen Mitarbeiter auf den Plastikbänken. Dort, wo die Chefs im Restaurant-Ambiente speisen, liegt niemand. Hier sorgt eine Damengruppe mit traditionellen chinesischen Saiteninstrumenten zwischen Marmorsäulen für die passende Atmosphäre. Auf dem Campus stehen der chinesische Foodcourt und die hauseigene KFC-Filiale direkt nebeneinander.

In Deutschland startete Huawei als klassischer China-Ramsch. 2011 verkaufte der Discounter Lidl hierzulande das erste Smartphone. Diese Wurzeln hat das Unternehmen innerhalb weniger Jahre weit hinter sich gelassen. Huawei hat sich zu einem der führenden Hersteller von Premium-Smartphones hochgearbeitet.  Und schaute dabei stets nach Westen. "In China gab es für uns keine Vorbilder", erklärt Richard Yu, als Chef für das Konsumenten-Geschäft auch für Smartphones zuständig. "Samsung und Apple führten den Sektor an. Wir mussten erst lernen, gute Qualität bei Software, Bedienung und Hardware zu entwickeln. Wie baut man eine Kamera und so weiter."  Dafür investiert der Konzern viel: 80.000 der 180.000 weltweiten Huawei-Angestellten arbeiten in Forschung und Entwicklung.

+++ Hier finden Sie das vollständige Interview mit Richard Yu +++

In einem unscheinbaren Komplex wird etwa die Zukunft des Akkus entwickelt. Weil Durchbrüche bei der Laufzeit auf sich warten lassen, konzentriert sich Huawei auf besonders schnelle Ladetechniken. Dabei kommt es vor allem darauf an, die entstehende Hitze wieder abzuführen, erklärt ein Techniker. In weißen Kitteln tüfteln, messen und diskutieren zwischen brummenden Maschinen, mysteriösen Glaskästen und blinkenden Messgeräten Huaweis Forscher die richtige Umsetzung. Ein Ergebnis der Arbeit ist etwa eine kleine Platine, die auf Knopfdruck mittels Strom Prozessoren erhitzen, aber auch abkühlen kann. So liefern die Chips immer die beste Leistung.

Huawei Mate X Foldable Smartphone
Smartphones wie das Huawei Mate X setzen Apple unter Zugzwang
© Andrej Sokolow/ / Picture Alliance

Gegen den Trend

Seit Jahren holt Huawei gnadenlos auf. Alleine 2018 legte das Unternehmen knapp 20 Prozent beim Umsatz zu. Der wichtigste Wachstumstreiber sind Smartphones, bei denen Huawei im letzten Jahr 34,5 Prozent wachsen konnte – während der Markt im Schnitt um 5 Prozent nach unten ging. Spitzenreiter Samsung verkaufte aufs Jahr gerechnet mit knapp 300 Millionen Smartphones zwar fast 1,5 mal so viele wie Huawei, der Abstand ist im letzten Quartal aber auf nur noch gut 10 Millionen verkaufte Geräte geschrumpft. Mit etwas Glück könnten die Chinesen noch dieses Jahr den Sprung an die Spitze schaffen.  

Vor allem bei den für Smartphones so wichtigen Kameras ist Huawei dem Markt oft einen Schritt voraus ist. Gerade hat der Konzern beim P30 Pro (Hier bei uns im Test) als erster eine Knipse vorgestellt, die dank eines im Smartphone liegenden Periskop-Systems völlig neue Bilder ermöglicht. Das System aus fünf hintereinander platzierten Linsen, die dann per Spiegeln das Bild an den Sensor weitergeben, erlaubt verlustfreie Fotos mit 10-fachem Zoom, der Digitalzoom holt Objekte mit bis zu 50-facher Vergrößerung heran. So etwas haben Apple und Samsung nicht im Angebot. Auch beim jüngsten Trend, den faltbaren Smartphones, hat Huawei mit dem Mate X eines der vielversprechendsten Modelle vorgestellt. 

Roboter im Terrarium

Hergestellt werden die Smartphones auf einem 120 Meter langem Fertigungsband. Hier entwickelt sich eine leere Platine langsam zum Smartphone, das am Ende verkaufsbereit verschweißt in einem schlichten, braunen Karton gestapelt wird. Unterwegs wird sie mit Transistoren und Mikrochips gespickt, die sich die Maschinen von einer Art Filmrolle ziehen. Es ist ein bisschen, wie den Stadien einer Kaulquappe auf dem Weg zum Frosch zuzusehen. Erst mit der Zugabe des Displays auf halbem Weg wird langsam ein Smartphone erkennbar. 

Dutzende weiße Kästen brummen leise vor sich hin. Wie bei Terrarien kann man dem Treiben im Inneren durch Glasscheiben zuschauen. Roboterarme greifen dort im stetigen Rhythmus Einzelteile und platzieren Sie vorsichtig auf den durchlaufenden Platinen. Plötzlich unterbricht eine Kinderstimme die monotone Geräuschkulisse. Auf Chinesisch schimpft ein kniehoher Roboter, der Tablets von einer Fertigungsline zur nächsten fahren will – offenbar steht jemand im Weg. Erst als Platz gemacht wird, setzt er musikdudelnd seinen Weg fort.

An den Fließbändern arbeiten nur wenige Menschen
An den Fließbändern arbeiten nur wenige Menschen
© Wang Zhao / AFP

Improvisierende Helden

Menschen sieht man hier kaum. Die meisten der 17 Fließband-Arbeiter stehen am Ende der langen Reihe weißer Kästen. Sie prüfen die Qualität und die Funktionen der fertigen Geräte. In einer schalldichten Kabine sitzt ein einsamer Prüfer und setzt den ganzen Tag Testanrufe ab. Am Ende des Tages verlassen 2400 Smartphones jede der gut zehn Produktionslinien. Acht bis zehn Stunden geht das so pro Schicht, erklärt eine Mitarbeiterin, mit zwei Schichten würde man die Maschinen 24 Stunden am Tag in Betrieb halten. Da fehlen dann aber einige Stunden? Solche Fragen werden nicht beantwortet.

An den Wänden hängen Bilder von deutlich herausgeputzten Mitarbeitern, den Helden der Fabrik. Jeder von ihnen hat sich eine clevere Lösung für ein kleines Problem einfallen lassen. An einer Stelle des Bandes mussten die Geräte etwa zwei Meter bis zur nächsten Station zurücklegen. Nun rutschen sie in einem Schlitten ein improvisiert aussehendes Rollband herunter. Über eine angeknotete Schnur zieht der Schlitten dabei einen anderen wieder die leichte Steigung nach oben. Auch zwischen Hightech-Robotern reicht manchmal ein Stück Bindfaden – und Einfallsreichtum.

In Shenzhen testet Huawei bereits seine 5G-Sendemasten. 
In Shenzhen testet Huawei bereits seine 5G-Sendemasten. 
© Malte Mansholt / stern.de

Die Herkunft als Problem

In Europa und den USA muss Huawei gerade erleben, dass das chinesische Erbe zum Problem wird. Der Konzern sei viel zu nah am chinesischen Staat, so der Vorwurf. Gründer Ren Zhengfei war vor Huawei in der Volksarmee, sein Unternehmen könnte im Auftrag der chinesischen Regierung Daten weitergeben und das Netz sabotieren, befürchtet die US-Regierung.  Das gefährdet wichtige Geschäfte: Huawei war von allen deutschen Providern für den 5G-Ausbau als Zulieferer eingeplant. Wegen der Spionage-Befürchtungen wird die Beteiligung bei Telekom und Telefónica derzeit neu geprüft. 

Viel schmerzhafter dürfte aber sein, dass Huawei in den USA keinen Fuß auf den Boden bekommt. Dort werden immer noch 90 Prozent der Smartphones bei Providern verkauft, keiner von ihnen arbeitet mit Huawei zusammen. Ein Deal mit dem wichtigen Anbieter AT&T platzte letztes Jahr kurzfristig. "Das wurde von der US-Regierung verboten. Sie haben das Geschäft verhindert", ist sich Richard Yu sicher. Die fehlenden Verkäufe in den USA dürften der größte Bremsklotz für Huaweis Überholmanöver auf dem Smartphone-Markt sein.

Huaweis Hacker

Die Vorwürfe zu entkräften, ist für Huawei schwierig. "Man kann nicht beweisen, dass es etwas nicht gibt", erklärt Joe Kelly, Vizepräsident der Unternehmenskommunikation im Gespräch. In Büros in Siebziger-Jahre-Gelb versucht es eine Gruppe von Mitarbeitern trotzdem. Zwischen einem Urwald aus Zimmerpflanzen attackieren die Mitarbeiter Huaweis Smartphones. Das Hackerteam des Konzerns klopft sämtliche Produkte des Konzerns konstant nach Sicherheitslücken ab. Werden welche gefunden, wird ihre Gefährlichkeit bewertet, dann werden sie zur Lösung an die zuständigen Abteilungen weitergegeben. 

Die Sicherheitsabteilung ist dabei unabhängig vom Hauptkonzern. Manche Teile des Komplexes sind sogar für Huawei-Mitarbeiter gesperrt. Sicherheits-Leiter John Suffolk berichtet direkt an den Chef, er kann bei krassen Lücken auch den Verkauf von Produkten stoppen. Bisher war das nach Angaben des Konzerns noch nicht nötig. Man kann eben nicht beweisen, dass es etwas nicht gibt.

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