Krieg in der Ukraine Cluster-Munition – so wirken Streubomben und darum sind sie geächtet

Das Bild zeigt Streumuntion für den Tormado.
Das Bild zeigt Streumuntion für den Tormado.
© Sven Kaestner / Picture Alliance
In der Ukraine wurde von Beginn an Streumunition eingesetzt. Doch Kiews Vorräte an Sowjetmunition gehen zur Neige. In den Depots der US-Army lagern dagegen große Mengen an Cluster-Granaten für Haubitzen. Doch diese veraltete Munition ist besonders tückisch.

Was bedeutet Cluster-Munition? Oder Streumunition – so der deutsche Begriff. Eines ist allen Waffen gemeinsam, die unter diesen Begriff fallen: Der Gefechtskopf detoniert nicht in einer einzigen Explosion, so wie man es von Bomben und Granaten kennt. Kurz vor dem Einschlag zerlegt er sich und setzt die eigentlichen Kampfmittel frei. Die Bombe oder die Rakete ist nur eine Art Sammelbehälter. In diesem Kanister befinden sich dann wiederum zahlreiche Mini-Bömbchen (Bomblets). Sie verteilen sich wie ein Fischernetz über dem Zielgebiet und detonieren dann voneinander entfernt.

Je nach Art der Munition können das kleinere oder größere Bomblets sein, und sie können smarter oder einfacher aufgebaut sein. Derartige Streumunition ist nicht neu, sie gibt es seit dem 17. Jahrhundert. Cluster-Munition im heutigen Sinne wurde erstmals im Zweiten Weltkrieg als Fliegerbombe eingesetzt. Verändert hat sich der Inhalt, der ausgestoßen wird. Der Kanister kann einfache Spreng-Bömbchen freisetzen, Minen oder auch intelligente Gefechtsköpfe, die sich gezielt auf Panzer und Fahrzeuge stürzen.

Wozu wird die Waffe eingesetzt?

Gegen viele Ziel ist die Vernichtungswirkung größer, wenn die Explosion nicht von einem Zentrum ausgeht, sondern verteilt wird. So wird eine größere Fläche erreicht. Grob gesagt, wird Clustermunition meist gegen Ziele auf der Oberfläche verwandt, gegen Bunker ist die Wirkung gering.

Grad- und Smerchwerfer

In der Ukraine wurde bereits einfache Cluster-Munition von Grad- und Smerchwerfern eingesetzt. Beides sind Salvengeschütze wie der Katuschja-Raketenwerfer aus dem Zweiten Weltkrieg, die sogenannte Stalinorgel. Eine Batterie dieser Waffen schickt in kurzer Zeit einen ganzen Schwarm von Raketen zum Ziel, darüber zerlegen sich dann die Dutzenden von Gefechtsköpfe in jeweils zahllose kleine Bomben. Gegen ungeschützte Stellungen sind diese Waffen besonders wirksam, auf freiem Feld zerstören sie alles, was sich in ihrem Vernichtungsradius befindet. Konvois und Ansammlungen von Fahrzeugen sind besonders gefährdet.

Neben der großen Fläche, die eine Salve abdeckt, gibt es weitere Eigenheiten. Die Explosionen erfolgen fast zeitgleich. Personen im Ziel können keine Deckung suchen, nachdem ein erster Einschlag sie gewarnt hat. Die Geschütze verschießen ihre tödliche Fracht sehr schnell und können dann sofort verlagern und so einem Gegenschlag des Gegners entkommen.

Minenlegen und Minenräumen

Seit Beginn der ukrainischen Offensive ist eine Variante der Kanistermunition in den Vordergrund getreten. Mit ihr können auch Panzerminen verlegt und geräumt werden. Spezielle Raketenwerfer verteilen die Minen über einem Gebiet, das so für den Gegner gesperrt wird. Gerade die schweren Panzermine sind dann nicht so tückisch verlegt, als wären sie von Pionieren ausgebracht. Sie liegen einfach auf dem Feld und lassen sich leichter räumen, das ist aber im Gefecht kaum möglich.

Auf diese Weise haben die Russen Felder, die die Ukrainer gerade beim Vormarsch geräumt haben, hinter den ukrainischen Truppen erneut aus der Ferne vermint. Auf diese Weise lassen sich Nachschubwege hinter den russischen Stellungen blockieren. Das gleiche funktioniert auch mit Anti-Personen-Minen. Da diese jedoch ungleich kleiner und leichter sind, werden hierfür keine speziellen Werfer benötigt.

Aus der Ferne lassen sich so auch Minenfelder räumen. Bildlich gesprochen: Eine Wolke von Bomblets geht über einen Acker nieder und bei der Explosion wird überall Druck ausgelöst. Dieser Druck wirkt wie die Dreschschlegel eines Minenräumers auf den Boden und löst so den Zünder der Minen aus. Der Vorteil der Methode: Das ganze Feld kann geräumt werden. Die eigenen Truppen müssen nicht im Gänsemarsch und in Schrittgeschwindigkeit dem Minenräumer folgen. Bei von Spezialisten angelegten Minengärten stoßen beide Methoden an ihre Grenzen. Etwa dann, wenn Minen mit anderen Auslösern untergemischt werden.

Was können die USA liefern?

Laut der eArmor-Website der US-Armee wird Kiew Clustermuntion erhalten, die aus 155-mm-Haubitzen abgefeuert wird. Haubitzen von diesem Kaliber hat Kiew bereits in großen Mengen bekommen.

Armee und Marine-Corps verfügen über sehr große Mengen an veralteten 155-mm-Artilleriegeschosse der Typen M483/M483A1 und M864. Jede Granate enthält 88 Bomblets. Als HE-Fragment-Bomblet erreicht ein kleiner Explosivkopf eine tödliche Zone von etwa 10 Quadratmetern, schon ein einzelner Kanister kann eine Fläche von bis zu 30.000 Quadratmetern abdecken.

Moderne Haubitzen können mehrere Granaten hintereinander verschießen, so dass sie gleichzeitig im Ziel einschlagen. Feuern dann vier Haubitzen jeweils vier Kanister, werden große Flächen auf einmal angegriffen. Die Wirkung stellt sich allerdings nur gegen ungeschützte Ziele auf freiem Feld ein.

Diese Kanister können auch mit Bomblets bestückt werden, die eine panzerbrechende Wirkung haben. Wegen des geringen Gewichtes zerstören sie einen Kampfpanzer nicht komplett, sondern beschädigen ihn oder machen ihn bewegungsunfähig.

Die Lieferung wäre für die USA einerseits praktisch, da man die älteren Bestände weggeben würde, die sonst entweder außer Dienst gestellt oder aufgearbeitet werden müssten. Rechtlich blockiert jedoch ein Gesetz den Export dieser Art von Cluster-Munition. Diese Beschränkung muss der US-Präsident eigens aufheben.

Warum ist diese Munition für Kiew so wichtig?

An sich ist Cluster-Munition für Haubitzen kein Gamechanger, sie wird auch keine größere Bedeutung haben als Präzisionsmunition, mit der Haubitzen gezielt einen Panzer vernichten können. Doch Kiew leidet an einem Mangel an Artilleriemunition, der durch die Lieferung gelindert wird. Die Cluster-Munition für Waffen, die aus der Sowjetzeit stammen, wird Kiew ausgehen.

Dazu kommen die Besonderheiten von Cluster-Munition. Sie ist auch dann wirksam, wenn sie "blind" gegen eine Zone eingesetzt wird, ohne dass das einzelne Ziel genau beobachtet wird. Mit der Flächenwirkung der Bomblets bekommt Kiew ein Gegengewicht zu den entsprechenden russischen Systemen.

Warum ist Cluster-Munition geächtet?

Cluster-Munition ist nicht völkerrechtlich verboten. Ähnlich wie bei Landminen gibt es internationale Anstrengungen, Cluster-Munition zu ächten. Über 100 Staaten – darunter auch Deutschland – haben bereits erklärt, auf diese Waffen verzichten zu wollen. Eine Ächtung ist kein Verbot. Der eigentliche Grund, Streumunition zu ächten, hat wenig mit ihrer eigentlichen Wirkung zu tun, sondern mit den Hinterlassenschaften. Die Bomblets werden billig in großer Menge hergestellt, sie explodieren nicht alle, sondern bleiben, wie Minen im Gelände liegen und können noch nach Jahren Zivilisten töten. Für die US-Artilleriemunition schwanken die Angaben über den Anteil dieser "Blindgänger" zwischen 3 und 14 Prozent. 

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