Es ist eine irritierende Szene, eine zum Fremdschämen: Am vergangenen Sonntag ruft der US-Comedian Dave Chapelle bei einer großen Show in San Francisco Elon Musk auf die Bühne – den Star-Unternehmer, Chef des Autobauers Tesla und neuen Besitzer von Twitter. Es sind 18.000 Menschen im Saal, und der Moderator rechnet offenbar mit einem euphorischen Empfang: „Macht ein bisschen Krach für den reichsten Mann der Welt!“ Musk breitet, Huldigung erwartend, in Heldenpose die Arme aus.
Doch dann geschieht etwas, womit offenbar weder er noch Chapelle gerechnet haben: Die Mehrheit der Besucher im Saal beginnt, laut zu buhen und zu pfeifen. Und zwar nicht nur zu Beginn, sondern bei jedem Versuch Musks, das Wort zu ergreifen. Der Moderator versucht, die peinliche Situation mit ein paar groben Witzen zu überspielen, aber irgendwann ist nichts mehr zu retten. Der Tesla-Chef wirkt hilflos angesichts des Pfeifkonzerts, beim Betrachter kommt Mitleid auf.
Elon Musk – ein Mann, der immer auch davon gelebt hat, eine gewaltige Fan-Gemeinde zu haben, als Genie behandelt zu werden, Bewunderung zu bekommen, ist an einem sehr gefährlichen Punkt angekommen. Seit er den Kurznachrichtendienst Twitter zu seinem neuesten Spielzeug gemacht hat, blättert der Lack ab von diesem Säulenheiligen des Unternehmertums.
Musks Start bei Twitter war mindestens erratisch
Musks unternehmerischer Start bei Twitter ist mit erratisch nur unzureichend beschrieben. Massenentlassungen in allen Abteilungen, die dann teils wieder zurückgenommen werden. Der Versuch, den blauen Haken, mit dem bis dato Accounts von Prominenten verifiziert wurden, zu Geld zu machen – auch dies ein Schritt, der zunächst wieder rückgängig gemacht wurde, nachdem Tausende von Scharlatanen sich falsche Identitäten hatten bestätigen lassen. Die Wiedereröffnung des seit dem Kapitol-Sturm gesperrten Twitter-Accounts von Donald Trump – der sich nun allerdings weigert, dort aktiv zu werden. Die Aussage, Twitter stehe möglicherweise vor der Insolvenz.
Das alles ließe sich noch unter für Musk typischem Spontan-Management abhaken; auch bei Tesla hat es immer wieder Phasen gegeben, in denen der Unternehmer wirkte, als habe er sich komplett übernommen, nur um dann doch erfolgreich zu sein. Hinzu kommt nun allerdings ein merkwürdiger inhaltlicher Drall, der große Teile der Fan-Gemeinde ratlos zurücklässt. Nur ein paar Beispiele aus der Timeline Musks, der offenbar eine Menge Zeit zum Twittern hat: Er tauschte Nettigkeiten mit dem russischen Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew, der zu den größten Scharfmachern im Krieg gegen die Ukraine und den Westen gehört. Er legte, bis dato nicht mit Kenntnissen der Region aufgefallen, der Ukraine nahe, sich den Forderungen des russischen Aggressors zu beugen. Er bezeichnete die US-Demokraten als eine Partei „der Teilung und des Hasses“. Und zuletzt forderte Musk in einem seltsamen Tweet dazu auf, den US-Virologen und Covid-Experten Anthony Fauci vor Gericht zu stellen – warum auch immer.
Der Star-Unternehmer wirkt in diesen öffentlichen Äußerungen inzwischen wie ein in Verschwörungstheorien versinkender Wirrkopf, ein ehemaliger guter Bekannter, den man nicht mehr wirklich ernst nehmen kann und dessen Tweets man irgendwann einfach abschaltet. Selbst der Beifall in ultrakonservativen Kreisen und rechten Zirkeln hält sich eher in Grenzen – so ganz scheint man Musks Metamorphose vom Liebling des eher liberalen Silicon Valley zum trumpistischen Internet-Troll selbst dort nicht zu trauen.
Natürlich kann das alles immer noch unternehmerische Strategie sein, der Versuch vielleicht, die große Gemeinde der Trump-Jünger, Covid-Skeptiker und Russland-Fans anzuzapfen. Sollte das so sein, ging dieser Schuss allerdings bisher nach hinten los.
Teslas Börsenwert hat sich halbiert
Für jemanden, der Börsen bewegen kann, ist das keine reine Imagefrage, es geht um aberwitzige Geldsummen. Anfang April verkündete Musk die mit 44 Mrd. Dollar sündhaft teure Übernahme von Twitter, seitdem hat sich die Marktkapitalisierung seines Flaggschiffs Tesla halbiert. Nicht alles an diesem Absturz hängt mit Twitter zusammen, Tech-Werte haben allgemein ein Problem in diesem schwierigen Jahr. Aber nur wenige trifft es so hart und unbarmherzig wie den erfolgsverwöhnten Musk. Mehrere große Werbeagenturen und Anzeigenkunden von Twitter haben ihre Zusammenarbeit mit dem Netzwerk erst einmal auf Eis gelegt.
Hinzu kommt, dass ein Image als rechter Troll auch Musks Möglichkeiten einschränken dürfte, Regierungsaufträge an Land zu ziehen – ein Geschäft, das für den Unternehmer mit seinem Raumfahrt-Konzern SpaceX und anderen Firmen eine wichtige Rolle spielt. Wie kaum ein zweiter hat Musk vom staatlich geförderten Trend zur Elektromobilität profitiert, den die Regierung von Joe Biden nun noch mit weiteren Subventionen anheizen will. Und diese Regierung ist mindestens noch zwei Jahre lang im Amt.
Es bleibt die Frage, was Musk eigentlich bewegt, diesen oft genialen, manchmal verrückten aber in der Vergangenheit immer auch ideenoffenen Mann. Fehlt hier ein Korrektiv, ein Aufsichtsrat, der ihn einhegen könnte oder auch einfach nur ein guter Freund, der ihn beiseite nimmt und fragt, was eigentlich los ist?
Vielleicht am genauesten auf den Punkt brachte es die amerikanische Publizistin Julia Ioffe: „Denkt nur, wie viel Therapie man sich mit 44 Mrd. Dollar hätte kaufen können“, schrieb Ioffe. Veröffentlicht wurde der Satz auf Twitter.