Kohlgerichte auch im Frühling noch zu servieren, dafür sprechen Vernunft, Mundgefühl und selbst Geschmack. Bedenken wir: Ergibt es Sinn, Kindern und Jugendlichen bei ihren „Fridays for Future“-Demos freundlich zuzunicken und sie anschließend mit Biosalaten und Gemüsen aus Spanien und Sizilien zu füttern? Die Ware kommt auf Wolken grauer Lkw-Abgase in unsere Küchen, und der lullende Gedanke, dass an dem einen kleinen Salat die Welt wohl nicht verglühe bei all den Teufeleien, die wir sonst bezeugen – dieser Gedanke ist falsch. Nicht nur kommt das Zeug vom Mittelmeer mit einem riesigen CO2-Fußabdruck daher, sondern meist auch noch in Plastik.
Es ist also sinnvoll, sich auf Salate und Gemüse aus Quellen zu besinnen, welche die Vitamine vor unserer Tür liefern. Aus frischem Kohl von den eigenen Feldern lassen sich Gerichte zaubern, die die Küche nicht nach Kaisers Zeiten riechen lassen und auch nicht nach Abgas schmecken. Und dann ist da noch die herrliche Resilienz des Kohls, die Widerstandskraft der Zellstrukturen, die ich beim Beißen so schätze, doch dazu später …
Aus Kohlköpfen wird knackiger Salat
Beginnen wir mit Rotkohl, aus dem ich unabhängig von jeder Jahreszeit köstliche Salate machen kann – wie auch aus seinen Vettern Spitz- und Weißkohl. Sie alle sind knurpselig im Biss, fallen – kaum im Lotterbett mit der Vinaigrette – nicht matt in sich zusammen und ertragen strukturell das Einarbeiten von Bestandteilen, die zwar nicht die Natur dort vorgesehen hat, die wohl aber die Kultur erlaubt.
Nun ist roher Kohl aber nichts, was man wie einen Apfel essen könnte. Die Zellstruktur muss zunächst aufgebrochen werden. Das erledigen Salz und Essig unter vorheriger Zuhilfenahme des Messers und der Hände. Es ist erstaunlich, welche Gewalt simples Salz auf pflanzliche Zellen hat, die es mit der Kraft der Osmose durchdringt, wobei sie ihnen Saft entzieht und sie dadurch geschmeidig macht.
Ich beginne, indem ich 1 kleinen Rotkohl zunächst viertele und dann entstrunke, hierauf die Blätter vereinzele und aus ihnen die groben Rippen schneide. Das tu ich, weil ich kein Wildschwein bin und somit über kein Gebrech verfüge, mit dem ich diese Grobigkeiten zermalmen könnte.
Von den Blättern lege ich immer ein paar übereinander, die ich nun mit einem scharfen großen Messer chiffoniere, vulgo in feinste Streifen schneide. Die salze ich leicht und knete sie für einige Minuten mit meinen Händen; dann stelle ich sie weg und lasse das Salz seine Wirkung tun.
Die Zwischenzeit nutze ich zur Präparation von Rosinen. Ich setze eine Handvoll knapp mit Wein bedeckt in einer Kasserolle auf (ich nehme gern ein Potpourri verschiedener Sorten und Farben, was hübsch aussieht und differenzierter schmeckt). Ich gebe 1 EL Balsam-Essig (besser noch Nar Eksisi) dazu, nehme die Kasserolle gleich nachdem Aufkochen vom Herd und lasse die Rosinen in der Flüssigkeit ausquellen.
Nach 30 Minuten ist mein Kohl geschmeidig, und ich würze ihn mit etwas Baharat, Apfelessig und gegebenenfalls noch etwas Salz, etwas von der Einweichflüssigkeit der Rosinen sowie mit Pflanzenöl und Olivenöl, so halbe-halbe. Baharat ist eine Mischung aus Paprika, Kreuzkümmel, Koriander, Pfeffer, Pfefferminze, Nelken, Muskatnuss, Kardamom, Zimt und Kümmel, die man im Supermarkt kaufen kann.
Die abgetropften Rosinen füge ich zum Kohl, raffele auch 1 schönen ungeschälten Apfel (Boskop) zu, hebe um, lege 1 mit dem Messer geschälte und danach geachtelte Orange darauf, hacke frische Minze, streu sie drüber, freue mich und hau rein.
Ein Bett aus Spitzkohl-Chiffonade
Unlängst schaute mich beim Einkauf ein kleiner Spitzkohl mit großen Augen an und bat mich um Erbarmen. Ich stellte ihn mir gedanklich im Zusammenspiel mit Speck, Barsch, Kartoffeln, Zitronenzeste und saurer Sahne vor und kaufte entsprechend ein.
Mit Bacon fing ich an, dessen Streifen ich nebeneinander auf Backpapier im Ofen bei 150 Grad 20 Minuten briet, bis sie braun und knusprig waren. Derweil chiffonierte ich den Spitzkohl, hier aber ohne die Blattrippensektion – Spitzkohl ist ganz zart.
Ich nahm den Bacon aus dem Ofen und legte ihn beiseite, freute mich über das verbliebene Speckfett auf dem Backpapier, verteilte die Kohlstreifen darauf und schob sie für 10 Minuten in den Ofen. Das reicht, um sie grün anlaufen und geschmeidig werden zu lassen und sich mit dem Speckfett näher einzulassen.
Ich schälte 4 festkochende Linda-Kartoffeln, halbierte und kochte sie für 20 Minuten in Salzwasser; abgekühlt schnitt ich sie in 0,5 cm dicke Scheiben.
Ich legte eine Auflaufform mit einem 2 cm dicken Bett von Kohlstreifen aus, drückte die Kartoffelscheiben in Zweierreihe und Abstände lassend hinein und füllte sie mit-Streifen von Barschfilet, entsprechend der Stärke der Kartoffeln zugeschnitten. Ich salzte, zerbröselte den Bacon mit den Fingern und streute die Stücke darüber.
Ich verrührte 1 Töpfchen feste saure Sahne mit so viel flüssiger-Schlagsahne, dass das finale Gemisch dickflüssig war, gab den Abrieb von 1 Zitrone dazu, würzte die Sahne mit Salz, Pfeffer, frischem Schnittlauch und dito Dill, goss dies über meine Anordnung und schob sie bei 180 Grad für 30 Minuten in den Ofen. Beim Verzehr lobte mich Madame.
Man muss Kohl nicht totkochen. Ich liebe seine leichte Bissfestigkeit nach nur knapper Garzeit. Der Umstand, dass ich zart mit ihm verfahre, lohnt er mir ferner durch Wohlgeschmack und olfaktorische Ziemlichkeit – er weiß sich bei Tisch ganz einfach zu benehmen und pupt nicht so rum (gilt gleichermaßen für gebackenen wie gekneteten Kohl). Madame sagte nach dem ersten Teller: „Ich nehme noch mal nach.“ Wenn das nichts heißt.
