Ein neuer Diät-Trend hat die USA fest im Griff. Und er klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Kein Sport, kein besonderer Fokus auf gesunde Ernährung, nur eine kleine Spritze und schon nimmt man ab. Was steckt hinter dem Hype um das Medikament "Ozempic"?
Nicht nur Promis wie Elon Musk preisen Ozempic wie eine Diät-Revolution. Auf Tiktok dokumentieren tausende User ihre Abnehmerfolge, nachdem sie das Mittel genommen haben. Ausgeliefert wird es in kleinen Spritzen, die einmal in der Woche in Oberarm oder Unterbauch injiziert werden. Die Anwendung gibt Aufschluss darüber, für welchen Bereich das Medikament ursprünglich entwickelt wurde. Ozempic ist in den USA und Europa als Diabetes-Medikament zugelassen. Entscheidend für die Wirkung ist der Inhaltsstoff Semaglutid.
Abnehmen ohne Diät und Sport? Der Hype um "Ozempic"
"Semaglutid kann helfen, den Blutzucker zu senken", erklärt Professor Harald Schneider im Gespräch mit dem stern. Schneider ist Internist, Endokrinologe, Diabetologe und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).
Der Vorteil sei, dass diese Medikamente bei Menschen wirken, die einen zu hohen Blutzuckerspiegel haben, aber in der Regel nicht zu einer gefährlichen Unterzuckerung führen wie bei manchen anderen Präparaten, so der Mediziner.
Doch dass Ozempic nun als Diät-Mittel genutzt wird, liegt vor allem an den Nebenwirkungen. Denn im Gegensatz zu anderen Diabetes-Medikamenten wirkt sich der Inhaltsstoff nicht nur auf den Blutzuckerspiegel aus, wie Schneider erklärt: "Semaglutid wirkt an der Bauchspeicheldrüse, wo die Hormone Insulin und Glukon freigesetzt werden. Zudem aber auch im Magen, indem es die Magenentleerung verzögert. Das kann dazu führen, dass wir länger satt sind. Und auch im Gehirn, indem es das Hungergefühl senkt und das Sättigungsgefühl steigert."
Als diese Nebenwirkungen auffielen, führte der Hersteller eine Studie mit Menschen durch, die von Adipositas, also von schwerem Übergewicht, betroffen waren, aber nicht an Diabetes litten. Die Probanden nahmen durchschnittlich 15 Prozent ihres Körpergewichtes ab. Der Hype um das Medikament war geboren. Der Pharma-Hersteller brachte deshalb ein weiteres Medikament heraus, speziell für die Behandlung von Adopositas: Wegovy.
Viele sähen Ozempic und das höher dosierte Wegovy als Durchbruch in der Behandlung von Adipositas, so Schneider. "Ich sehe diese Entwicklung auch erst einmal positiv. Ich habe viele Patienten, bei denen ich mir denke, es wäre gut, wenn es eine wirkungsvolle Medikamentenbehandlung gebe."
"Bei normalgewichtigen Menschen kann die Einnahme gefährlich werden"
Doch um ihre Gesundheit geht es vielen in erster Linie nicht, wenn sie sich Ozempic spritzen. Oft nutzen es offenbar Normalgewichtige, um abzunehmen. Und genau das macht den Trend gefährlich – auf mehreren Ebenen.
"Bei normalgewichtigen Menschen kann die Einnahme gefährlich werden. Man weiß bei ihnen nicht, ob das Medikament vielleicht stärker wirkt und dann vielleicht auch stärkere Nebenwirkungen auftreten. Bei einer 50 Kilo-Frau, die sich das spritzt, haben wir eine andere Konzentration des Mittels in den Zellen als bei einem 150 Kilo-Mann", erklärt Schneider.
Grundsätzlich sei das Problem, dass diese Mittel nicht für Menschen mit Normalgewicht konzipiert und dementsprechend auch nicht getestet worden seien, so Schneider. Wie der britische "Guardian" berichtet, leiden einige der Menschen, die Ozempic als "Lifestyle-Medikament" genommen haben, tatsächlich unter starken Nebenwirkungen. Eine 53-jährige Frau, die Ozempic nahm, um abzunehmen, obwohl sie nicht übergewichtig war, berichtet von starken Nebenwirkungen, nachdem sie das Mittel gespritzt hatte. Sie leide unter ständiger Müdigkeit, Schwindel und einer erhöhten Herzfrequenz.
Ähnliches beschreibt auch Schneider: "Die Nebenwirkungen reichen von Übelkeit über spezifische Bauchschmerzen, Völlegefühl bis Erbrechen. Das sind Beschwerden, die nicht selten auftreten, aber häufig einen gewissen Gewöhnungseffekt haben. Das heißt, dass sie vor allem zu Beginn der Therapie auftreten und der Körper sich daran gewöhnt, sodass viele Menschen auf lange Sicht kaum noch Beschwerden haben."
Eine Spritze, die satt macht und Essen ekelhaft werden lässt
Hinzu kämen noch gefährlichere Nebenwirkungen, die theoretisch auftreten könnten, so der Mediziner. Unter anderem chronische Bauchspeicheldrüsenentzündungen und das Entstehen von Gallensteinen. Zudem gebe es eine seltene Form von Schilddrüsenkrebs, die bisher zwar nicht bei Menschen, aber bei Tieren in der Entwicklungsphase des Mittels aufgetreten sei.
Viele Experten sehen zudem die Wirkung des Medikaments im Gehirn als große Gefahr. Betroffene berichten davon, dass ihr Körper nach der Injektion von Ozempic physisch gegen Nahrung rebellierte. Sie fanden Essen im Allgemeinen abstoßend, schon der Gedanke daran habe bei manchen Übelkeit, Krämpfe und Unwohlsein ausgelöst. Das berichten Betroffene in Online-Foren. Ihr Verhältnis zum Essen habe sich grundlegend geändert. Einige schrieben sogar "Ich hasse Essen".
Eine Spritze, die vermeintlich satt macht, Essen ekelhaft werden lässt und gleichzeitig den Blutzuckerspiegel reguliert: Der "Guardian" spricht bereits von einer "Essstörung in einer Spritze".
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Melone mit Mandelcrumble und Chai
To do: 2–3 Melonenspalten entkernen, Fruchtfleisch (etwa 200 g) von der Schale schneiden und in mundgerechte Stücke teilen. Mit 1 Portion Prep-Mandelcrumble (etwa 45 g) bestreuen. Dazu einen Chai oder einen Latte macchiato (mit 125 ml Milch) genießen.
Schneider würde diesen Ausdruck nicht unterschreiben, wie er sagt: "Es hängt davon ab, wer dieses Medikament verwendet. Ein Adipositas-Patient, der wirklich schon alles versucht hat und mit konservativen Maßnahmen nicht weitergekommen ist, würde wirklich profitieren. Bei Menschen, die bereits eine Essstörung haben, wird es gefährlich. Etwa bei Menschen mit einer Anorexie oder Bulimie. Ein solches Medikament könnte diese Störung noch verstärken."
Hype um Ozempic löst Lieferengpässe für Diabetiker und Adipositas-Patienten aus
Doch allen Risiken zum Trotz: Insbesondere in den USA ist das Abnehmen mit Ozempic ein großer Hype – auch wenn diejenigen, die es als "Lifestyle-Medikament" nehmen, dafür tief in die Tasche greifen müssen. Zwischen 900 und 1300 Dollar kostet eine Monatsration – also vier Spritzen. Und der Hype sorgt für ein weiteres Problem: durch den freien Verkauf in den USA kommt es zu Lieferengpässen für Diabetiker und Adipositas-Patienten, also jene, die das Medikament wirklich brauchen.
Im Frühjahr meldete der Hersteller von Ozempic und Wegovy, der dänische Pharmariese Novo Nordisk, dass er Schwierigkeiten habe, mit der sprunghaft gestiegenen Nachfrage Schritt zu halten. Ärzte in den USA und Australien wurden dazu angehalten, Ozempic vorrangig an Diabetes-Patienten herauszugeben und nicht an Menschen, die es "off-Label" benutzen wollen, um abzunehmen.
Auch Schneider sieht sich indirekt von den Lieferengpässen betroffen: "Bei Wegovy sieht man bereits Lieferengpässe. Das Medikament ist seit Anfang des Jahres in Europa zugelassen. Aber es hat in den USA so einen Run ausgelöst, dass der Hersteller bei der Versorgung des US-Marktes überhaupt nicht hinterherkommt und es deswegen in anderen Teilen der Welt nicht verkauft. Viele meiner Patienten mit einer Adipositas würden davon profitieren, ich kann es ihnen aber nicht verschreiben, weil es nicht verfügbar ist."
Als "Lifestyle-Medikament" und um schnelle Abnehmerfolge zu erzielen, sieht der Endokrinologe Ozempic oder Wegovy ohnehin als nicht geeignet: "Es ist nicht so, dass man ganz schnell ganz viel abnimmt. Es wird eher ein Prozess in Gang gesetzt, der länger anhält. Meistens erreicht man den maximalen Effekt nach einem Jahr oder sogar noch später."
Schneider warnt vor Jojo-Effekt
Hinzu käme, dass ein solches Mittel kein Garant für langfristigen Erfolg sei: "Das ist ein Medikament, das währt, solange man es einnimmt. Ähnlich wie bei einem Blutdruck-Medikament", so Schneider. Setzt man es ab, riskiert man, wie bei anderen strengen Diäten einen Jojo-Effekt. "Das Hunger-Gefühl kommt wieder, diese ganzen veränderten Regulationsmechanismen werden wieder beendet, der Körper wird wieder dagegen reagieren und das Gewicht wird wieder ansteigen. Das heißt, in der Regel wäre es dann ein Dauermedikament."
Allgemein ersetzt also auch ein solches Mittel kein langfristiges Abnehm-Programm. "Es wäre es absolut falsch, ein solches Medikament ganz ohne die Änderung des Lebensstils zu verabreichen. Die Studien, die der Hersteller durchgeführt hat, waren immer eingebettet in ein Gesamtkonzept, das ärztliche und ernährungstherapeutische Begleitung und Sport beinhaltete. Nur so soll dieses Medikament gegeben werden", erklärt Schneider.
Das wird in Deutschland vermutlich auch der Fall sein. Anders als in den USA, sind Ozempic und Wegovy in Europa nur als verschreibungspflichtige Medikamente zugelassen. Einen freien Markt wird es hierzulande also nicht geben.
Quellen: "The Guardian", Mitteilung FDA Lieferengpässe Wegovy, Studie Abnahme Ozempic, Tiktok, Tweet Elon Musk