Was Übergewicht bedeutet, weiß Michel Montignac genau. Schon als kleiner Junge war der Franzose fettleibig, genau wie sein Vater. Doch es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis sich daran etwas änderte.
Auslöser war eine Beförderung: Montignac war damals als Manager international tätig, daher viel unterwegs, und das bedeutete, dass er oft auswärts aß. Innerhalb von nur drei Monaten nahm er sieben Kilo zu. Die wollte er wieder loswerden. Ein Arzt gab ihm ein paar entscheidende Hinweise, woraufhin er anfing, sich genauer mit Ernährung zu beschäftigen und einiges auszuprobieren. Am Ende hatte er 13 Kilogramm abgespeckt und eine neue Ernährungsform entwickelt: die sogenannte Montignac-Methode. Seine These: Dick wird man nicht, weil man zu viel, sondern falsch isst.
Sein erstes Buch mit dem verlockenden Titel "Essen gehen und dabei abnehmen" erschien 1993 in Deutschland und wurde ein großer Erfolg. Weitere Bücher folgten und machten neben der Montignac-Methode seinerzeit auch den Begriff "Glyx" bekannt, der in seinem Konzept eine zentrale Rolle spielt.
Das Prinzip
"Glyx" und "GI" sind Abkürzungen für den Begriff "glykämischer Index". Vereinfacht gesagt ist er ein Maß dafür, wie sehr ein Lebensmittel den Blutzucker ansteigen lässt. Denn beim Essen geschieht im Körper folgendes: Die Kohlenhydrate in der Nahrung werden in Glukose, eine Zuckerart, umgewandelt. Der Blutzuckerspiegel steigt an. Als Reaktion darauf schüttet die BauchspeicheldrüseInsulin aus, denn das Hormon wird benötigt, um den Zucker aus dem Blut in die Zellen zu bringen. Diese wiederum gewinnen aus dem Zucker Energie. Sind sie mit ausreichend Zucker versorgt, greifen die Zellen nicht mehr auf Fett zurück, welches ein weiterer Energielieferant ist. Das Fett wird dann eingelagert oder nicht weiter abgebaut.
Montignac meint, dass nicht die Kalorienmenge, sondern ein hoher Insulinspiegel die eigentliche Ursache für Übergewicht ist. Daher gelte es, mit der richtigen Auswahl den Kohlenhydratanteil in der Nahrung und damit den Insulinspiegel niedrig zu halten.
Für sein Konzept bewertet Montignac die Lebensmittel hinsichtlich ihres GI und unterteilt die Kohlenhydrate in "sehr gute", "gute" und "schlechte":
- Sehr gute Kohlenhydrate (GI bis 35):
Hierzu zählen Lebensmittel wie rohe Karotten, Milchprodukte, viele Gemüsesorten wie Tomaten, Zucchini, Zwiebeln, einige frische Obstsorten wie Äpfel, Birnen, Aprikosen, grüne Linsen und dunkle Schokolade (mit 70 Prozent Kakaoanteil). - Gute Kohlenhydrate (GI 35 bis 50):
Darunter fasst Montignac Lebensmittel wie Vollkornprodukte, frischen, ungezuckerten Fruchtsaft, Natur- und Basmatireis, Süßkartoffeln, frische Erbsen, rote Bohnen, Spaghetti (bissfest gekocht). - Schlechte Kohlenhydrate (GI höher als 50):
Dazu gehören Lebensmittel wie Kartoffeln, egal, wie sie zubereitet werden, modifizierte Stärke, weißer Reis, Chips, Weißbrot, Cornflakes, Popcorn, Milchreis, Zucker, gezuckerte Getreideflocken, gesüßte Getränke wie Limonade, Schokoriegel, Gebäck, Marmelade, Bananen.
Die sogenannten schlechten Kohlenhydrate, schreibt Montignac, sollte man rigoros verbannen, weil sie den Blutzucker rasant ansteigen lassen. Nahrungsmittel mit komplexen Kohlenhydraten hingegen sorgen für einen langsameren Anstieg des Blutzuckers, da der Körper Zeit und Energie braucht, um die langen Molekülketten aufzubrechen. Daher bleibt der Insulinspiegel niedrig, Fett kann abgebaut werden. Eiweißhaltige Lebensmittel wie zum Beispiel Fisch, Fleisch oder magere Milchprodukte sind erlaubt. Bei Sahne, Käse oder Wurst fordert Montignac jedoch Zurückhaltung, da diese sich negativ auf den Cholesterinspiegel auswirken würden.
Feinheiten
Die Montignac-Methode besteht aus zwei Phasen. In der ersten geht es um das schnelle Abnehmen, und die Auflagen sind streng. Verbannt werden alle schlechten Kohlenhydrate. Gute Kohlenhydrate mit einem GI zwischen 35 und 50 sollten nicht mit Fett kombiniert, Obst nur auf nüchternen Magen gegessen werden. Meiden sollten Sie außerdem starken Kaffee, jede Form von Alkohol und Stress beim Essen.
Hält man sich an Montignacs Menüpläne, sollen Fettpolster bald schmelzen. Wie lange diese erste Phase dauert, hänge vom Einzelnen ab, schreibt er - sie endet, wenn das Übergewicht abgebaut ist. Dann folgt Phase zwei, in der es darum geht, das Gewicht zu halten. Auch wenn hier gelegentliche Kuchen- oder Bratkartoffel-Ausrutscher erlaubt sind, sollten weiterhin hauptsächlich Lebensmittel mit niedrigem GI auf dem Speiseplan stehen. Da Montignac seine Methode als Dauerernährung empfiehlt, ist die zweite Phase zeitlich nicht begrenzt.
Wer mit Montignac abnehmen will, muss einige Regeln beachten, wenn er seine Mahlzeiten zusammenstellt. Fett darf nur mit Eiweiß kombiniert werden oder mit Kohlenhydraten, die einen sehr niedrigen GI haben, etwa Gemüse. Ein Vollkornbrot mit Butter oder Käse wäre demnach tabu, denn Vollkornbrot zählt zwar zu den guten Kohlenhydraten, aber dessen GI liegt über 35. Die Bauchspeicheldrüse schüttet dabei immer noch Insulin aus - zwar weniger als bei den schlechten Kohlenhydraten, aber immerhin noch so viel, dass das Fett in die Depots zu wandern droht. Beim Verzehr von sehr guten Kohlenhydraten hingegen bleibt der Insulinspiegel niedrig und der Körper scheidet das Nahrungsfett laut Montignac unverwertet wieder aus.
Sport spielt bei dieser Methode nur eine untergeordnete Rolle. Montignac bestreitet zwar nicht, dass Bewegung viele Vorteile hat. Um aber Gewicht abzubauen, sei Sport weniger geeignet, wenn sich nicht gleichzeitig die Ernährungsweise verändere.
Praxis-Check
Egal ob Frau oder Mann, dick oder dünn, das Prinzip des Konzepts ist immer gleich: Das Frühstück sollte reichhaltig sein, das Mittagessen normal und das Abendessen eher leicht. Am Morgen gibt es zum Beispiel Müsli ohne Zucker, Vollkornknäckebrot mit zuckerfreiem Fruchtaufstrich oder Magerquark, dazu einen Kaffee mit fettarmer Milch. Zur Mittagszeit rät Montignac, Fett und Eiweiß mit guten Kohlenhydraten zu kombinieren, zum Beispiel einen großen Salat mit Olivenöldressing mit einem gegrillten Rindersteak. Am Abend bietet sich eine Gemüsesuppe oder ein Teller Spaghetti mit Tomatensauce an. Auch ein kleines Glas Rotwein ist erlaubt - Bier aber nicht, weil dessen GI zu hoch ist. Überhaupt ist der GI entscheidend, Portionsgrößen schreibt Montignac nicht vor. Gemüse etwa ist in beliebiger Menge erlaubt, so lange es sich nicht um Kartoffeln handelt.
Kostpläne und Listen helfen bei der Zusammenstellung der Speisen. In der Praxis erweist sich das als recht aufwändig, außerdem bleibt viel Spielraum: Rühreier am Morgen, Bratwurst zum Mittag und Ratatouille mit Spiegelei am Abend sind zwar theoretisch erlaubt, aber auch kalorienreich, was das Abnehmen erschweren dürfte. Montignacs Menüvorschläge hingegen enthalten viel Gemüse und moderate Mengen an Fett.
Schwieriger wird die Auswahl im Restaurant. Zwar verspricht Montignac einfaches Abnehmen - eben auch, wenn man essen geht. Doch die Verbotsliste ist lang: Pizza, alle Nudelgerichte außer Spaghetti mit Tomatensauce, weißer Reis, angedickte Saucen, Bier und alles mit Zucker, also Desserts, Cocktails, Limonade. Somit ist der Genuss in einem Restaurant eingeschränkt. Sonderbestellungen lassen sich kaum vermeiden.
Wissenschaftliche Einschätzung
Montignac zufolge entsteht Übergewicht nur dann, wenn zu viele Lebensmittel mit hohem GI gegessen werden. Die Theorie, dass zu viele Kalorien dick machen, bestreitet er. Schaut man sich aber seine Rezepte hinsichtlich ihrer Energiemenge etwas genauer an, stellt man fest, dass damit nur rund 1400 Kalorien pro Tag zusammenkommen. Somit scheint es eben doch die energiereduzierte Kost zu sein, die beim Abnehmen hilft, und nicht der GI.
Außerdem ist der GI inzwischen veraltet, die Einteilung Montignacs somit ungenau. Problematisch am GI war etwa, dass er nichts darüber aussagte, wie viele Kohlenhydrate in einer Portion eines bestimmten Lebensmittels stecken. So kam es zu teilweise fragwürdigen Schlussfolgerungen. Gekochte Karotten etwa bewertet Montignac schlecht, obwohl Möhren durchaus gesund sind. Zwar enthalten sie pro 100 Gramm rund 4 Gramm Kohlenhydrate. Doch damit der Blutzuckerspiegel tatsächlich in die Höhe schießt, müsste man schon eine unverhältnismäßig große Portion davon essen. Inzwischen spricht man daher eher von der sogenannten glykämischen Ladung oder glykämischen Last (GL) - ein bereinigter Wert, der die Portionsgröße mit einbezieht.
Essen nach der Montignac-Methode bedeutet, nicht nur die richtigen Kohlenhydrate nach dem Prinzip des Glykämischen Index auszuwählen sondern auch, reichlich Eiweiß zu essen. Im Durchschnitt macht Eiweiß etwa 21 Prozent der täglichen aufgenommenen Nahrung aus. Das ist mehr, als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn derzeit empfiehlt, da es gesundheitliche Bedenken gibt. Zu viel Eiweiß kann die Nieren belasten, da der Körper nur begrenzt Abbauprodukte von Eiweiß ausscheiden kann. Zudem riskieren Menschen, die zu viel Protein essen, ihren Körper mit Harnstoff und Harnsäure zu überlasten. "Insgesamt kann diese Diät aufgrund der unausgewogenen Nährstoffrelation nicht empfohlen werden. Bei unter 1.000 Kilokalorien am Tag ist zudem die ausreichende Versorgung mit zahlreichen Vitaminen, Ballaststoffen und einigen Mineralstoffen fraglich", sagt Antje Gahl von der DGE.
Fazit
Die Montignac-Methode ist kompliziert, zeitaufwändig und wissenschaftlich umstritten. Zwar ist es sinnvoll, Kohlenhydrate zu unterscheiden und etwa Weißmehlprodukte und Zucker zu meiden. Will man sich aber ausgewogen ernähren, sollte nicht allein der GI oder GL im Zentrum stehen. Vielmehr kommt es darauf an, wie die Nahrung zusammengestellt wird. Wichtig ist, darauf zu achten, viele Ballaststoffe und reichlich Obst und Gemüse zu sich zu nehmen und den Fettkonsum moderat zu halten.
Auch Ernährungswissenschaftlerin Ursel Wahrburg beurteilt die Montignac-Methode kritisch: "Die Theorie rund um den GI ist wissenschaftlich so nicht erwiesen", sagt sie. Montignac entwickle teilweise abstruse Regeln, die beim Abnehmen keine Rolle spielen würden. "Hält man sich aber an seine Pläne, kommt letztlich doch eine halbwegs vernünftige, kalorienreduzierte Mischkost dabei heraus." Tatsächlich landen auf dem Teller dann viel Gemüse und Obst, Vollkornlebensmittel, fettarme Milchprodukte und mageres Fleisch. Somit sei letztendlich nicht der niedrige GI der Grund für schmelzende Pfunde, sondern die reduzierte Kalorienmenge.