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Abruptes Ende einer Forschungsmission "Ich bangte um jeden Weiterflug": Tierärztin schildert ihre Corona-Flucht aus dem Dschungel

Tierärztin Hannah Emde
Tierärztin und Artenschützerin Hannah Emde: "Ich hatte kaum Zeit, mich von meinem Zuhause im Regenwald zu verabschieden"
© Privat
Hannah Emde ist Tierärztin und Artenschützerin. Die 27-Jährige hat die letzten Wochen an einem Forschungsprojekt auf Borneo gearbeitet. Die Coronavirus-Pandemie zwang sie nun zu einer überhasteten Abreise, wie sie im stern-Interview erzählt.

Hannah Emde ist Tierärztin und Gründerin des Artenschutz-Vereins "Nepada Wildlife". In den vergangenen Wochen hat die 27-Jährige an einem Forschungsprojekt zum Schutz seltener Raubtiere auf der Insel Borneo mitgearbeitet. Die Urwaldinsel im malaiischen Archipel in Südostasien ist in den letzten Jahrzehnten verwandelt worden: Regenwald wurde abgeholzt und wich riesigen Palmöl-Plantagen. Für viele Wildtiere wirken die Plantagen wie eine Barriere, zerschneiden ihre Lebensräume, ihr Nahrungsangebot wird knapp. Große Arten wie Orang-Utans, Waldelefanten oder Nebelparder sind extrem von der Habitat-Fragmentierung betroffen.

Doch vor wenigen Tagen musste die Hamburgerin ihre Mission abrupt abbrechen, als die weltweite Coronavirus-Krise auch Borneo erreicht hatte. Emde glaubte zunächst, auf der Insel noch relativ sicher zu sein. Doch dann änderte sich die Lage binnen weniger Stunden. Im stern-Interview berichtet Emde vom Kontakt mit der deutschen Botschaft, vom Bangen um jeden Weiterflug – und warum wir uns in Deutschland nicht so viele Sorgen ums Klopapier machen sollten.

Liebe Hannah, worin genau bestand die Arbeit deines Projekts in Borneo?

Mit unseren Forschungsergebnissen suchen wir nach Lösungsansätzen, in denen Mensch, Tier und Wirtschaft möglichst konfliktlos nebeneinander leben können. Ziel ist es auch, gefährliche Krankheitserreger zu identifizieren, die zwischen Wildtieren, Nutztieren und Menschen übertragen werden können. Wozu ein enger Kontakt zwischen Wildtier und Mensch führen kann, erfahren wir ja gerade alle am eigenen Leib.

Allerdings. Wie hast du in Borneo eigentlich von der Coronavirus-Pandemie erfahren?

Ich bin Ende Januar losgeflogen, da war das Virus zwar schon bekannt, aber das Augenmerk lag hauptsächlich auf China. Keiner rechnete zu der Zeit mit weiteren Einschränkungen und ich hätte es nie für möglich gehalten, dass mir mein deutscher Reisepass mal Schwierigkeiten bereiten würde. Er war bisher immer ein großes Privileg, das ich als selbstverständlich erachtet habe.

Wie war die Lage in Malaysia allgemein?

Dort herrschte bis vor kurzem noch wenig Bewusstsein für die Pandemie. Nur die fehlenden chinesischen Touristen fielen auf. Da ich auf einer kleinen Forschungsstation mitten im Dschungel lebte und nur wenig Menschenkontakt hatte, war Corona kein großes Thema. Wir hatten eher mit Malaria-Mücken und Dengue-Fieber zu kämpfen.

Wann hat sich das geändert?

Innerhalb der letzten sieben Tage spitzte sich die Situation zu. Ich erfuhr von den drastischen Maßnahmen in Italien und verfolgte die geplanten Schulschließungen in ganz Deutschland. Die stündlichen Eilmeldungen im Liveticker verunsicherten mich. Trotzdem blieb der Gedanke in meinem Kopf, dass ich hier im Dschungel eh am sichersten sei.

Und das war ein Trugschluss?

Es änderte sich innerhalb der folgenden 24 Stunden: Malaysia verzeichnete exponentiell viele Fälle und sogar auf der vermeintlich abgeschotteten Insel Borneo gingen die Fallzahlen nach oben. Das Land wurde unruhig.

Du musstest deine Mission schließlich im Rahmen der Rückholaktion der Bundesregierung vorzeitig abbrechen und wurdest nach Hause geflogen. Wie ist das abgelaufen?

Ich hatte mich vor meiner Abreise auf die Krisenvorsorgeliste der deutschen Botschaft in Kuala Lumpur eingetragen. Diese Liste und das Internet auf dem Handy waren in den letzten drei Tagen mein großes Glück. Per E-Mail kontaktierte die Botschaft alle deutschen Staatsangehörigen über die Maßnahmen der malaysischen Regierung zur Bekämpfung der weiteren Verbreitung von Covid-19. Gleichzeitig beschlich mich auch die Angst, dass die Flüge nach Deutschland gestrichen, internationale Flughäfen geschlossen und ich nicht mehr nach Hause kommen würde.

Du wolltest also nur noch schnell weg?

Die schlimmste Vorstellung war nicht, mitten im wunderschönen Dschungel von Borneo festzusitzen. Aber was, wenn ich, wie zwei meiner Kollegen, mit Malaria infiziert werde und dringende ärztliche Hilfe benötige? Wie reaktionsfähig ist dann das schon jetzt überlastete Gesundheitssystem in Malaysia? Bleibt die Versorgungslage im Dschungel gewährleistet? Darf ich als Ausländerin überhaupt hierbleiben?

Ziemlich viele Fragen ...

... auf die mir der freundliche Mitarbeiter in der Botschaft zwar auch keine Antworten geben konnte, doch er riet mir dringend zur Abreise. Als ich dann auch noch erfuhr, dass der kleine Flughafen vor Ort schließen würde, musste ich eine Entscheidung treffen: Mitten in der Nacht buchte ich über eine Not-Hotline meine Flüge um und packte Hals über Kopf meinen Rucksack. Das mulmige Gefühl und die Ungewissheit, ob ich es bis nach Hause schaffen würde, reisten jedoch mit mir, bis das Taxi in meine Straße in Hamburg einbog und ich übermüdet in Gummistiefeln und mit Wanderrucksack meine Haustür aufschloss.

Wie schätzt du die Lage in Borneo mit ein bisschen Abstand ein?

Ich kann nicht für die ganze Insel sprechen, aber in dem kleinen malaysischen Bundesstaat Sabah wurde die Lage zu Beginn definitiv unterschätzt. Es wurden keine spürbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen, jedes Wochenende kamen zahlreiche Besucher in den Nationalpark – und mit dem Händewaschen nehmen es die Einheimischen eh nicht so genau. Das Einzige, das sich im Projekt schnell bemerkbar machte, war, dass die Atemschutzmasken für unsere Wildtier-Narkosen und der Alkohol zum Desinfizieren knapp wurden. Doch als die ersten Corona-Fälle vor Ort in den Medien erschienen, wurden auch die Einheimischen unruhig. Die Panik-Käufe begannen und man sah immer mehr Menschen mit – wenig sinnvollen – OP-Masken auf den Straßen. Ich erfuhr von Reiseeinschränkungen in andere asiatische Länder, nach Europa und in die USA.

Hat dich das beunruhigt?

Zunächst nicht wirklich. Aber das änderte sich innerhalb von 24 Stunden: Die malaysische Regierung verkündete einen "Lockdown", Einheimische durften das Land nicht mehr verlassen, Ausländer nicht mehr einreisen, öffentliche Einrichtungen, Schulen und Geschäftsräume wurden geschlossen und alle öffentlichen Versammlungen verboten. Die Krankenhäuser in der Nähe des Nationalparks waren binnen weniger Tage überfüllt und der Tourismus, auf den das Land extrem angewiesen ist, kam vollkommen zum Erliegen.

Du bist gerade zurück. Wie geht es dir?

Ich hänge noch etwas zwischen den Welten. Ich habe sechs Wochen mitten im Dschungel gelebt und bin jetzt plötzlich wieder in der Großstadt Hamburg. Ich hatte kaum Zeit, mich von meinem Zuhause im Regenwald zu verabschieden, saß in leeren Flugzeugen, an überfüllten internationalen Flughäfen, passierte die Fieberkontrollen und bangte um jeden Weiterflug. Ich habe noch immer größere Angst vor einer Malaria-Infektion als vor Covid-19, aber ich gehöre auch nicht zur Risikogruppe.

Wie ist dein erster Eindruck von Deutschland im Ausnahmezustand?

Ich habe keinerlei Verständnis für die Menschen, die die Vorsichtsmaßnahmen zurzeit nicht ernst nehmen und sich extra unter Menschen begeben. #staythefuckhome trifft es da ganz gut. Und was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, sind die Hamsterkäufe der Menschen. Ich habe mich in den letzten sechs Wochen von Reis, Haferflocken und Crackern ernährt und bin noch völlig überwältigt von der Auswahl an Lebensmitteln in einem deutschen Supermarkt. Wir haben nun wirklich keine Versorgungsnot hier, und wir sollten auch nicht selbstverschuldet eine hervorrufen. In Asien zum Beispiel benutzt man überhaupt kein Klopapier, sondern Bidets oder feuchte Waschlappen, und man überlebt trotzdem – also keep cool! Ich werde jetzt erstmal viel schlafen, mich über jede heiße Dusche freuen und eine Tafel Schokolade genießen.

Musst du persönlich jetzt irgendwelche Vorkehrungen treffen?

Ich stelle mich jetzt erstmal selbst unter Quarantäne. Auch wenn ich auf dem 24-stündigen Flug durchgehend meine N-95-Atemmaske getragen habe, mir immer wieder die Hände desinfiziert habe und im Dschungel wohl kaum mit dem Virus in Kontakt gekommen bin, möchte ich niemanden in meinem Umfeld gefährden. So gerne ich meine Freunde nach der langen Abwesenheit wiedersehen würde, wird jetzt erstmal telefoniert.

Welches Gefühl überwiegt: Bist du erleichtert, dass du es in der eskalierenden Lage gerade noch rechtzeitig zurück nach Deutschland "geschafft" hast? Oder enttäuscht, dass du vorzeitig heimkehren musstest?

Es ist ein Mix aus beidem. Ich bin absolut erleichtert und einfach nur froh, dass ich es noch rechtzeitig geschafft habe. Viele Freunde sitzen an internationalen Flughäfen oder eben im Reiseland fest und wissen noch nicht, wann es wie weitergeht. Außerdem verfolge ich die lokalen Nachrichten in Sabah, das alltägliche Leben dort ist extrem eingeschränkt. Unsere Forschunsgarbeiten hätten wir so nicht weiterführen können. Aber mir fehlen der Regenwald, die Gibbongesänge am Morgen und die Zikaden am Abend schon sehr.

Wirst du irgendwann nach Borneo zurückkehren?

Ich muss mich jetzt erst einmal sortieren und schauen, welche internationalen Projekte nun gut digital weitergeführt werden können. Wir entwickeln für unseren Artenschutzverein Nepada Wildlife gerade Bildungsmaterialien für Schüler zum Thema Artenvielfalt, Regenwald und Nachhaltigkeit – da kann viel im digitalen Raum stattfinden. Auch wenn ich nicht mehr alle gewünschten Materialien und Bilder aus Borneo mitbringen konnte, werden wir sicherlich etwas Tolles erschaffen. Ich werde definitiv auf die Urwaldinsel zurückkehren, nur wann das sein wird, ist noch ungewiss.

Mehr über Hannahs Artenschutz-Verein "Nepada Wildlife" erfährst du hier.

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