Angriff auf Israel Wie die deutsche Kulturszene immer wieder über den Israel-Palästina-Konflikt stolpert

Im vergangenen Jahr sorgte ein antisemitisches Kunstwert des indonesischen Künstlerkollektivs ruangrupa auf der documenta fifteen für Kritik. Im Oktober 2022 protestierten Menschen vor dem Eingang der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) dagegen, dass die ruangrupa-Mitglieder Iswanto Hartono und Reza Afisina eine Gastprofessur erhalten - und hielten Transparente sowie eine Israelflagge und ein Bild des ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion hoch.
Im vergangenen Jahr sorgte ein antisemitisches Kunstwert des indonesischen Künstlerkollektivs ruangrupa auf der documenta fifteen für Kritik. Im Oktober 2022 protestierten Menschen vor dem Eingang der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) dagegen, dass die ruangrupa-Mitglieder Iswanto Hartono und Reza Afisina eine Gastprofessur erhalten - und hielten Transparente sowie eine Israelflagge und ein Bild des ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion hoch.
© Georg Wendt / DPA
Einladen, ausladen, entschuldigen, boykottieren: Künstlerinnen und Medienschaffende streiten darüber, wo angesichts des Hamas-Terrors Taktlosigkeit aufhört – und Antisemitismus anfängt. Auch gerade wieder.

Die US-Künstlerin Patti Smith hält sich bei ihrem Deutschlandbesuch, zwei Tage nach Kriegsbeginn, zurück. "No War", habe sie bei ihrem ausverkauften Auftritt in Kassel gesagt und dann ihre Ballade "Peacable Kingdom" angestimmt. Das berichtet die Lokalzeitung. 

Dabei war Smith in der Vergangenheit deutlich, wenn es um den Israel-Palästina-Konflikt ging. 2021 unterschrieb sie gemeinsam mit 600 weiteren Künstlerinnen und Künstlern einen Aufruf, Israel zu boykottieren und keine Konzerte zu geben. "Als Musiker können wir nicht schweigen", heißt es darin.

Auf der internationalen Bühne äußern sich Künstlerinnen derzeit sehr unterschiedlich zum Krieg im Nahen Osten. Unter diejenigen, die sich solidarisch mit der von den Terrorattacken betroffenen israelischen Zivilbevölkerung zeigen und die antisemitische Hetze im Nahen Osten verdammen, mischen sich Stimmen, die die Angriffe verharmlosen oder im Ton daneben greifen. Im deutschen Kulturbetrieb sind diese Stimmen seltener. 

Nura trat nicht bei "Late Night Berlin" auf

Die Rapperin Nura war eine der ersten. Sie hatte in einer Insta-Story am Sonntagabend einen Ausschnitt aus ihrem neuen Video gepostet, in dem sie mit anderen Menschen vor einem Basketball-Korb posiert, auf dem "Free Palestine" geschrieben steht. Userinnen forderten ProSieben auf X (vormals Twitter) auf, Nura auszuladen. Dem ist der Sender wohl nachgekommen: Nura trat am Dienstagabend nicht - wie eigentlich geplant - bei "Late Night Berlin" auf. 

Nura entschuldigte sich für den Post. In ihrer Insta-Story veröffentlichte sie einen Text, in dem sie betont, sie mache bei Menschen keinen Unterschied, welches Geschlecht, welche Herkunft, welche Sexualität oder welche Religion sie hätten. "Leid ist Leid."

TV-Sender grenzen sich von Moderator Malcolm Ohanwe ab

Der Journalist und TV-Moderator Malcolm Ohanwe, der regelmäßig für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitete, geriet mit einem Kommentar auf X in die Kritik, der ihm als Verständnis für die Hamas ausgelegt wurde. "Wenn die Zunge der Palästinenser systematisch abgeschnitten wird, wie sollten sie sich mit Worten wehren?", schrieb er unter anderem. Daraufhin haben sich nun der Bayerische Rundfunk (BR) und der Sender Arte von Ohanwe abgegrenzt.

Dem stern schreibt Ohanwe, es schmerze ihn, dass er nicht deutlich gemacht habe, dass er Terror nicht befürworte und "die Hamas mit allem, wofür ich stehe, ablehne". Ein Nährboden für die derzeitige Gewalt sei auch "die menschenrechtswidrige Besatzungspolitik gegenüber den Palästinenser, etwas, das Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International auch unterschreiben". 

Neuer Ärger um die ruangrupa

Auch zwei ohnehin umstrittene Kuratorinnen der Documenta gerieten in die Kritik. Reza Afisina und Iswanto Hartono vom Kurator*innenkollektiv ruangrupa liketen am Samstag ein Instagram-Video, in dem Menschen in Berlin den Krieg bejubeln. Sie skandieren "viva Palästina" und "Palestine will be free".

Documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann distanzierte sich am Montag von Afisina und Hartono. Das sei "unerträglich und inakzeptabel". Das Kollektiv ruangrupa stand schon während der Documenta in der Kritik, weil sie ein antisemitisches Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi ausgewählt hatten. Auf Nachfrage der "Hessischen Allgemeinen" entschuldigten sich die beiden Kuratoren. Die Likes seien ein Fehler gewesen, Gewalt gegen Unschuldige sei "brutal und unglaublich schlecht".

Roger Waters unterstützt den BDS

Die palästinensisch-amerikanische Künstlerin Emily Jacir, die auch in Deutschland ausstellt, soll am Samstag auf ihrem Instagram-Account kommentiert haben, während die Hamas eine israelische Zivilistin verschleppte: "Diese gefangengenommene Siedlerin sieht glücklich aus" und "Ich hoffe, sie geben ihr ein gutes palästinensisches Gericht zu essen." Die in Berlin lebende palästinensische Künstlerin Jumana Manna soll unter Bilder von fliehenden Zivilisten eines Festivals kommentiert haben: "Es macht keinen Spaß, in der Nähe des größten Gefängnisses der Welt zu raven." Das berichtet die Welt

Positionen zum Konflikt um Israel und Palästina sind in der deutschen Kulturszene immer wieder umstritten. Erst im März hatten die hessische Landesregierung und der Magistrat der Stadt Frankfurt versucht, ein Konzert von Roger Waters zu verhindern. Waters ist ehemaliges Mitglied von Pink Floyd. Er hatte sich immer wieder israelfeindlich geäußert und unterstützt die antisemitische Israel-Boykottbewegung BDS.

Die BDS-Bewegung ist eine globale Kampagne, die zum Boykott aufruft, um Israels Haltung gegenüber den Palästinensern zu verändern. In Deutschland ist die 2005 gegründete Bewegung besonders umstritten. Seit Ende der 2010er Jahre ist sie auch unter deutschen Künstlerinnen und Intellektuellen immer häufiger Thema. Ganz so prominente Unterstützerinnen wie in den USA hat die Bewegung hierzulande nicht. Aber immer wieder gibt es Kontroversen, wenn ausländische Künstler auf deutsche Bühnen und Festivals eingeladen sind. 

Young Fathers wurden aus- und wieder eingeladen

Im Jahr 2019 wurde der New Yorker Rapper Talib Kweli vom Düsseldorfer Open-Source-Festival ausgeladen, nachdem er auf Facebook seine Verbundenheit zur Organisation BDS bekräftigt hatte. Intellektuelle warfen Deutschland anschließend vor, einen Trend zur anti-palästinensischen Zensur zu pflegen und freie Rede zu unterdrücken. 103 Künstlerinnen und Künstler, darunter Peter Gabriel und Naomi Klein, unterzeichneten einen entsprechenden offenen Brief.

Im Jahr zuvor war die Band Young Fathers vom Kulturfestival Ruhrtriennale aus- und wieder eingeladen worden. Wenige Wochen nach dem Eklat erklärte der nordrhein-westfälische Landtag fraktionsübergreifend, die BDS-Kampagne zu verurteilen und keine ihrer Veranstaltungen zu unterstützen. Der Bundestag zog nach. 

Auf eine kleine Anfrage antwortete Kulturstaatsministerin Claudia Roth im vergangenen Jahr: "Die Sicherheit Israels sowie die Ablehnung jeder Form von Antisemitismus gehören zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland." Das gelte auch für die Finanzierung von Kultur.

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