Ich habe die Aura des Versehrten. Anders ist mein Entrée im Hotel nicht zu erklären. "Herzlich willkommen im Courtyard Marriott, Herr Beisenherz. Wir haben ein schönes Zimmer für Sie. Mit ebenerdiger Dusche." Das ist der erste Satz, den ich höre. Freudig vorgetragen, als würde man Edathy sagen, er hätte einen unverbauten Blick auf das Bälleparadies gegenüber.
Ebenerdige Dusche. Was zur Hölle mache ich für einen Eindruck, dass man mir unterstellt, dies sei die wichtigste Information für mich. Zieh ich ein Bein nach? Promistatus: Pflegestufe 2.
Das Hotel ist in Ordnung. Bis auf den Kiosk im Foyer. Statt Minibar. Immer ein wenig unwürdig. Ein Rolls Royce büßt mit Heckspoiler auch deutlich an Klasse ein. Aber es ist okay. Ich bin ja beruflich hier. Es ist Berlinale. Eröffnungsveranstaltung.
Die allgemeine Muselmanie hat Europas wichtigstes Filmfestival erreicht. Terrorwarnstufe. Erhöhtes Sicherheitspersonalaufkommen. Strengste Kontrollen. Nicht, dass ich mich von der Hysterie würde anstecken lassen. Ich hab trotzdem statt der schweren Lackschuhe die Sneakers angezogen und Voltaren auf die Achillesferse geschmiert. Sicher ist sicher.
Berlinale. Die deutschen Academy Awards. Das stimmt alleine schon deshalb, weil kein Schwarzer heute Abend einen Oscar kriegt. Davon ab muss auch der alles zersetzende Säuregeist in mir bekennen: Die A-Liga-Dichte Hollywoods ist erstaunlich hoch.
Was man allein an den auf- und abbrandenden Schallwogen der Fans am roten Teppich erkennen kann, deren jeweilige Lautstärke den Marktwert des gerade aus der Limousine Ausgestiegenen zertifiziert. Meryl Streep, Tilda Swinton, oder George Clooney, der am nächsten Tag noch Angela Merkel auf einen Kapselkaffee treffen und sie fragen wird, wie es ist, nur aus PR-Gründen verheiratet zu sein.
Häufiger nackt als eine durchschnittliche Femen-Mitarbeiterin
Die Coen-Brüder sind da, um den Eröffnungsfilm zu präsentieren. "Hail, Ceasar!". Die Story um einen großen Star, der plötzlich verschwindet und durch einen debilen Amateur ersetzt wird. So in etwa beschreiben derzeit viele pessimistische Wahlbeobachter die Obama-Nachfolge.
Josh Brolin, Channing Tatum und Clive Owen sind auch gekommen. Sollte ihre Karriere keine mehr sein, sind sie in ein paar Jahren wieder in der Stadt, um sich einen Inzest-Bambi oder irgendwas anderes Awardishes von den Burdas abzuholen. Thomas Kretschmann und Jan Josef Liefers - ebenfalls hier und bestimmt froh, schnell reingehen zu können. Jana Pallaske elft über den Teppich. Sie macht diverse buddhistische Verbeugungen in Richtung der schreienden Fotografen. Ich kenne die Geste von den Stewardessen bei Thai Airways. Ihre unbedingte Beschlafbarkeit ist leider schon ein paar Baumumarmungen her. Tragisch.
Lars Eidinger, Teil der Jury, erscheint. Ein großartiger Schauspieler, der häufiger nackt ist als eine durchschnittliche Femen-Mitarbeiterin und zu dessen eindrucksvollsten Performances der vergangenen Wochen es gehörte, sich auf der Bühne ein Würstchen rektal einzuführen. Ob Böcklunder oder doch eine etwas penetrationsfreudige Kaminwurz, das ist nicht überliefert.
Viele der hier anwesenden, hoffnungsvollen Schauspielerinnen wirken nicht so, als hätten sie große Probleme damit, auch schon vor der Karriere diverse Würstchen im Unterleib verschwinden zu lassen. (Gut, dass ich diesen Witz los bin.)
Karitative Shrimpslutscher
Da! Ai Wei Wei! Der gefeierte chinesische Dissident und Künstler, in den vergangenen Jahren zur größten Selfieannahmestelle neben dem schiefen Turm von Pisa und dem Holocaust Mahnmal gleich hier um die Ecke geworden. Wenige Tage später, bei der "Cinema for Peace"-Gala, werden er, Mirja Dumont, Wolfgang Joop und andere karitative Shrimpslutscher sich beim Champagnertrinken in goldene Kälteschutzdecken hüllen, um auf die unmenschliche Situation der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Marc Jacobs goes Refugee. Cinema for Peace. And Selfies for Freedom. Muss man auch erstmal drauf kommen.
Die Eröffnungsfeier ist angenehm kurzweilig. Meryl Streep wird gefeiert. Lars Eidinger schlägt sich mit einem Mikrophon fast die Zähne aus, bleibt aber vorerst angezogen. Ein Piet-Klocke-Imitator wird als Bürgermeister auf der Bühne präsentiert, ist allerdings weniger witzig. Schade. Dieter Kosslick irrlichtert über die Bühne. Kosslick ist seit 2001 Festivalleiter. 15 Jahre. Als er hier angefangen hatte, haben die Menschen in Berlin noch teilweise Deutsch gesprochen.
Hier ist alles festlich und hochpreisig. Im Saal wie hinter der Bühne. Auf der Stabliste: Oswaldo Kneutz. Selbst die Beleuchter heißen hier wie Attraktionen. Alle amüsieren sich prächtig und erstaunlich unpathetisch. Lediglich bei den beeindruckend mies gelaunten Coen-Brüdern weiß man nicht genau, ob die Figur Chigurh aus "No country for old men" eher Joel oder Ethan nachempfunden wurde.
Hinter den Kulissen erzählt jemand, dass das hier der Flur sei, den Clooney immer entlang gehe, "wenn er kurz vor der Bühne nochmal dringend pissen muss". Kaffee treibt. Nespresso, what else?
Mitarbeiter haben kostenlosen Zugriff auf eine iPhone-Hülle mit dem Berlinale-Logo. Das erleichtert den Facebook-Freunden später die Zuordnung des Mirror-Selfies. Oh, die hat das Logo auf'm Smartphone - die ist im Inner Circle.
Die Kurzfilmjury, bestehend aus Namen wie Sheikha Hoor Al-Qasimi oder Avi Mograbi ist nicht anwesend. Gewiss hat Horst Seehofer kurzfristig interveniert - aus Angst, die Herrschaften könnten das Rückflugticket verfallen lassen.
Der Affenfelsen als Party
Die After Show Party im Berlinale Palast. Alf, mein Verbindungsmann, telefoniert fleißig, um mich in den oberen Bereich zu bekommen. In den kommt man aber nur mit einem Ausweis mit zwei grünen Streifen. Er hat einen. Ich einen ohne. Darf aber da sein, weil Alf mich eingepackt hat. Alf darf auch in den oberen Bereich - nur, dorthin darf er mich nun wirklich nicht mitnehmen, weil: Da sind Clooney und Co. Oben. Und oben will jeder sein. Ganz unten ist der Plebs. Gewinnspiel-Sieger, Taff-Gucker oder - jetzt halten Sie sich fest- zahlendes Publikum. Urrgh. Der Affenfelsen als Party.
Hier bei mir im mittleren Bereich hocke ich zwischen Pressereferenten, Kulturressortleitern, Managern, aber auch Daniel Brühl oder Sebastian Koch. Deutsche Stars mit Hollywood-Hautgout. Offenbar, um sich volksnah zu geben. Anders kann ich mir ihr Verweilen in Mittelmaßerde nicht erklären. Marie Luise Marjan ist ebenfalls anwesend. Das kann ich mir schon eher erklären. Freudig erregt matroniert sie an mir vorbei zur Moderatorin des Abends. "Anke! Können wir ein Foto machen?" Zu meiner Zeit hatte sich Mutter Beimer nur für Spiegeleier interessiert - jetzt ist sie bei Instagram. Und macht den notorisch hastigen Festivalleiter in Abwesenheit zum Partner in Crime. "Dieter lädt mich ja immer zur Berlinale ein. Er sagt mir immer 'You are my special guest'." Holla. Es scheint, Kosslick, der Fuchs, liebt diese teutonische Löwin, die mit der Geschmeidigkeit einer Mure zwischen den Gästen entlang schiebt. Special interest. Wahrscheinlich würde dieser Begeisterungssupertanker das sogar Kim Jong Un sagen. Und irgendwie stimmte das ja auch.
Die Location ist toll. Aber die Party hebt nicht ab. Der DJ begreift das Ganze wohl als eine Art Installation und spielt zur kunstvollen Illumination des Saales "Cherry Blossom" von Matthew Halsall. Tolles Jazzstück. Wer allerdings dazu tanzt, der twerkt auch zu den Gery-Häusern. Woanders legt Lars Eidinger auf und hat zu diesem Zeitpunkt bereits die Hosen runter. Fakt.
Irgendwann ist der Wein alle
Ich stehe an der Theke, als der folgenschwere Satz des Barkeepers fällt: "Kein Champagner mehr auf der mittleren Ebene." So ähnlich muss es in den letzten Stunden auf der Titanic gelaufen sein. Nur mit flotterer Musik.
Robert Stadlober ist da. Er läuft rum wie Robert Stadlober. Überdies die üblichen Verdächtigerinnen, die die nächsten elf Tage Berlinale nutzen werden. Sei es, als Kontaktbörse, Jobcenter - oder auch nur als Berlins prominenteste Wärmestube. Wie jedes Jahr. Geborgenheit im Ritual.
Ich frage mich: Wenn junge Schauspielerinnen dringend Produzenten kennen lernen wollen - warum fragen sie ihren Chef nicht nach einer extra Service-Schicht im Restaurant? Nur wer beharrlich ist, ist gipfelfähig, sagt Alf. Und Alf ist ein kluger Mann. Außerdem ein super Typ.
Deshalb verlasse ich wie er die Party, als um 0 Uhr 26 auch noch der Wein alle ist. Also, auf der mittleren Ebene.
Dann kommt Verona
Wer oben ist, für den kennt der Spaß keine Versorgungsengpässe. Da mir aber noch das Fell juckt, fahre ich auf zwei, drei Scheidebecher rüber zur Berlinale-Party der "Gala". Die erwartungsgemäß verläuft.
Im Eingang begrüßt mich eine mir bekannte "Bild"-Society-Reporterin. In Millisekunden bin ich passiver Teil eines gemeinsamen Selfies. Welches circa 17 mal wiederholt wird, weil der Filter partout nicht das Optimum rausholen will. Dass der bärtige Typ neben ihr auf jedem Bild aussieht wie der betrunkene Bruder des einäugigen Talibans, den man vor kurzem in Islamabad kaputtgedrohnt hat, scheint für die Qualität des Fotos nicht weiter erheblich zu sein.
Neben mir die unvermeidliche Sponsorenwand. Davor ein Soapdarsteller oder unehelicher Ochsenknecht-Sohn, irgendsowas halt, imitiert unablässig das, was er für einen österreichischen Akzent hält, um irgendwen von Promiflash glücklich zu machen. Ich wünsche beiden Glück.
Dann kommt Verona Pooth. In einem Kleid, das heftiger gekürzt wurde als jeder Etat in Berlin. Man kennt sich. Und sie ist sehr nett. (Alleine schon deshalb, weil Bohlen sie hasst.) Kaum stehen wir zusammen, machen wir ein gemeinsames Bild für irgendeine Fotografin. Das geht hier wohl immer so. Was nicht abgelichtet wurde, ist nicht geschehen. Verona und ich. Da geht der Grimme-Preis.
Auf der unteren Ebene angekommen
Ein sehr betrunkener Mann mittleren Alters (also, vermutlich mein Jahrgang) labert mich voll. Ich möchte mich abwenden. Dann steckt er mit seine Visitenkarte zu. Gutes Material. Erhabene Schrift. In Gold. Er ist Physio. In meiner Stadt. Gut, komm, fünf Minuten kann man sich ja mal unterhalten. Die Achillesferse ist meine...
....wie heißt das, wenn man eine Schwachstelle hat?
Ein deutscher Mittelklasse-Schauspieler, bekannt aus der "Gala" tanzt ausgelassen. Er trägt eine Hose, deren Schlag schon oben am Bund beginnt und die dafür bereits über dem Knöchel endet. Der Physio könnte ihn also problemlos gleich hier behandeln. Dazu trägt er ein kurzärmeliges orangenes Seidenhemd, das Mister Myagi getragen haben muss, als er Karate Kid zum Zaunstreichen geschickt hatte. Mutig. Klamotten sind kein Schicksal, sondern eine aktive Entscheidung.
Die Musik ist konsensfähig, rechtfertigt aber keinesfalls den ausgelassenen Tanz des eskalationsaffinen Publikums. Die ersten sind bereits barfuß, ein Kinostar aus der zweiten Reihe mit wussowbraunem Haar beendet die Rappelanbahnung mit einer jungen Frau, weil die Angepeilte in Österreich wohnt und ihm etwaige telefonische Folgekosten ins Ausland zu hoch sind. So etwas hätte man von Steve McQueen nie gehört. Der hatte allerdings auch kein Handy.
Ich schmeiße ein Glas um. Das international überall verständliche Zeichen für: Ich geh jetzt besser. Sollten die anderen auch tun. Sie bleiben. Noch ist auch nicht jede Exaltiertheit dokumentiert. Der koitale Verteilungskampf noch nicht beendet. Nacht.
Ich erwache morgens neben einer Dose Pringles und einer Flasche Pepsi light. Ein wenig so, wie ein Glas Clausthaler und einen Cognac zu bestellen, ich weiß. So in etwa fühle ich mich auch. Aus dem Spiegel blickt mich Marty Feldman an. Die Fresse könnte nicht einmal ein Selfie mit der Berlinale-i-Phone-Hülle retten. Noch nie war ich für die ebenerdige Dusche so verdammt dankbar.
Auf der unteren Ebene angekommen. Gipfelfähig, my ass.