Die gestrige Ausgabe von Anne Will stand abermals unter dem Oberthema Flüchtlinge. Seit drei Wochen ist Will auf Sendung, seit drei Wochen treffen sich bei ihr Politiker und Politikerinnen und Menschen der Zeitgeschichte um über Flüchtlingsthemen zu reden. Auffällig dabei, nie kam bis jetzt auch nur ein Geflüchteter zu Wort. Dabei wäre gerade diese, unmittelbar betroffene Seite vielleicht eine wertvolle Ergänzung zu Diskussionen, die sich sonst nur allzu sehr im Kreis drehen.
"Misstrauen, Ängste, Verbote - Kippt die Stimmung gegen Flüchtlinge?" wollte Anne Will also mit ihren Gästen, dem Anwalt und Autor Mehmet Gürcan Daimagüler, dem grünen Oberbürgermeister von Freiburg, Dieter Salomon, dem CDU-Politiker Jens Spahn und der Publizistin Anke Domscheit-Berg diskutieren. Davon abgesehen, dass es vielleicht treffender gewesen wäre von der Stimmung "gegenüber" Flüchtlingen zu sprechen, stand das Ergebnis nach einer Stunde Talk mal wieder fest: Die Gemütslage sei in der Masse gekippt, der Einzelne aber engagiere sich weiterhin wie zuvor. Das ist lobenswert, "die Hilfsbereitschaft nimmt nicht ab", sagte Domscheit-Berg. "Das gute Deutschland ist das leise Deutschland", pflichtete Daimagüler bei. Er bekomme, so erzählte er, sehr viele Hassmails. Dennoch, das Gros der Deutschen würde aber selbstverständlich nicht schreiben, sondern sich schweigend engagieren. Und das sei sehr viel entscheidender.
Heere Ziele ohne Plan bei Anne Will
Wenn Gäste in eine Talkshow gehen, die im Fernsehen übertragen wird, dann haben die allermeisten von ihnen eine Agenda, die sie erfüllen wollen. CDU-Politiker Jens Spahn beispielsweise wollte über Integration sprechen und welch große Aufgabe das für Deutschland und auch für seine Partei sei. Und ja, sagte er, er würde nicht gern pauschalisieren, aber "kulturelle Unterschiede müssen benannt werden." Das "eigentliche Problem", so Spahn, seien "junge Männer", die ohne Aufgabe oder Perspektive allein gelassen werden. Das gelte natürlich auch für Deutsche, aber das war ja nicht das bestimmende Thema bei Will.
So schwadronierte der CDU-Mann über weite Teile der Sendung darüber, dass die Geflüchteten eben aus anderen Kulturkreisen kämen, in denen Familienehre wichtig sei und Frauen nach ihrer Kleidung beurteilt würden. Das sei schlicht die Sozialisation und diese würden viele, "nicht alle, aber viele" Flüchtlinge, eben an der Grenze nicht einfach überwinden. Seine Lösung: Die Integration vorantreiben, sie langfristiger gestalten. Hehre Ziele, die aber inhaltslos bleiben. Anne Will hakte an dieser Stelle auch nicht nach, wie genau das geschehen soll, dabei wäre das ein durchaus neuer Dreh in der altbekannten Debatte gewesen.
Hausverbote für Diskotheken den "Bösen" vorbehalten
Stattdessen durfte Spahn dann darüber philosophieren, dass Frauen in Ägypten oder Marokko nicht allein auf die Straße gehen dürften, weil sie sich damit Angriffen von "den" Muslimen aussetzen würden. Domscheit-Berg widersprach dem vehement, ihrer Erfahrung nach sei das muslimische Frauenbild auf keinen Fall gleichbedeutend mit "Grapschen". "Vielen würde eher die Hand abfallen", so sagte die Publizistin, als dass sie Frauen belästigen würden. Der Anwalt Daimagüler schaltete sich ein, für ihn waren bereits Spahn's Pauschalisierungen wie "die Marokkaner", oder "die Syrer" problematisch. Denn genau wie es "den Deutschen" nicht gebe, sei das auch bei den Geflüchteten der Fall.
"Wir sollten die Menschen behandeln, wie sie sind, die Guten gut, die Schlechten nicht so gut", forderte er. Auf diese Forderung konnten sich alle Anwesenden einigen. Das könne dann im Zweifelsfall auch so weit gehen, dass Hausverbote für Diskotheken oder Schwimmbäder ausgesprochen werden, wenn es hier zu Übergriffen kommt. Diese Konsequenzen müssten sich aber auch auf Deutsche erstrecken, denn nur dann sei Integration gegeben.
Sexismus-Debatte statt Flüchtlinge
Anke Domscheit-Berg kam, genau wie Jens Spahn, mit einer Agenda zu Anne Will. Sie wollte auf die Sexualisierung von Frauen aufmerksam machen, auf die Gewalt gegen Frauen, die nicht in erster Linie von Flüchtlingen ausgeht. Dazu holte sie zu einer längeren Rede über die Gehaltsunterschiede bei Männern und Frauen aus, über den fehlenden Straftatbestand von Grapschen in der Bahn. "Und wo ist jetzt der Zusammenhang zur Sendung?", fragte Will genervt nach. Es sei eben für Flüchtlinge nicht leicht, wenn ihnen in den Kursen beigebracht werde, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden müssen, es in der Realität aber nicht geschehe.
Das von Spahn angesprochene Problem der einsamen, perspektivlosen Männer sah die Publizistin jedoch ebenfalls. Nur sei aber der ausgesetzte Familiennachzug eine Verschlimmerung der Situation. "Wir machen sie noch einsamer", meinte sie. Der Anwalt Mehmet Gürcan Daimagüler konnte dieses Problem nicht erkennen. Er ist davon überzeugt, dass die Familien sich trotzdem auf den Weg machen. Sie sollten dann hier aber Strukturen finden, die ihnen die Integration ermöglichen.
Daimagüler und Domscheit-Berg wünschten sich abschließend, dass die Geschehnisse von Köln nun eine Debatte über Sexismus in Deutschland auslösen. Fern von einer Diskussion über Flüchtlinge.