Also, damit das mal klar ist: Michael Vesper war schon immer gegen Zensur! So war das Ganze auch kein Fehler (den der DOSB-Generalsekretär und ehemalige Grünen-Politiker Michael Vesper natürlich eingeräumt hätte), sondern nur ein "Missverständnis": Im ARD-"Weltspiegel" hatte er wörtlich erklärt: "Bei uns sind es die rechtsradikalen Seiten, die gesperrt werden." Unter Hervorbringung zahlreicher Stoiber-Ähs fuhr er fort: "Und es ist natürlich auch in China so, dass einzelne Seiten gesperrt werden." Aber was soll's - das ist längst Schnee von gestern. Dumm nur, dass auch der Botschafter der VR China, Ma Canrong am 8. August in einem Interview mit dem Deutschlandfunk haargenau dasselbe Argument zur Rechtfertigung von Zensur benutzte.
Immerhin haben beide die auch weiterhin gesperrten chinesischen Seiten von BBC oder "Amnesty International" nicht mit Kinderpornografie gleichgesetzt! Das tat allerdings Musterfunktionär Thomas Bach, der Chef des DOSB. Im ZDF-"Sportstudio" hatte er die Lage nämlich - was nach Vespers Fauxpas leider unterging - so erläutert: "Es gibt immer Bestimmungen zu beachten, beispielsweise pornografische Seiten, Pädophilie, auch besonders gewaltträchtige Seiten, die geblockt werden, nicht nur in China." Ein toller Kniff, um ohne Rücksicht auf Inhalte mal eben Rechtsstaat und Zensur auf einen Nenner zu bringen! Bachs niederländischer IOC-Kollege Hein Verbruggen setzte noch einen drauf und fragte, ob die Journalisten denn all diese Websites wirklich brauchten, um ordentlich von den Olympischen Spielen zu berichten.
Ein Dollarmillionär verkörpert die olympische Idee
So direkt hat Vesper nicht gefragt. Der ehemalige Minister der Grünen, der alles tut, sich in Windeseile die Gepflogenheiten der internationalen Sportdiplomatie anzueignen, durfte aber den Fahnenträger der deutschen Mannschaft präsentieren: "Gerd Nowitzki", verkündete er stolz , korrigierte sich dann aber doch rasch auf "Dirk". Und fand sofort ein tolles Argument, warum keiner so sehr die olympische Idee verkörpere wie der Dollarmillionär aus der US-Profiliga NBA . Weil Nowitzki freiwillig zu den anderen Athleten ins spartanische Olympische Dorf zieht. Toll, nicht wahr? Dabei könnte er sich ein Hotel leisten! Macht er aber nicht. Obwohl zum deutschen Team sogar Hartz-IV-Empfänger gehören wie die in Erfurt lebende Leichtathletin Florence Ekpoh-Umoh.
Wenn es um Politik geht, zeigt sich Vesper natürlich davon überzeugt, dass China durch Olympia aufgelockert werde, sich öffne für westliche Werte und Menschenrechte. Das sieht der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesrepublik, Günter Nooke, zwar anders, aber Vesper teilt seine Hoffnung mit Innenminister Wolfgang Schäuble und vor allem mit unserem Bundespräsidenten. Nur durfte Horst Köhler trotzdem nicht mit ins schöne Peking. Obwohl er doch so gerne Sport guckt, musste er einsehen, dass sich das nicht schickt. Als DOSB-Chef Thomas Bach zur Vereinigung der großen Sportorganisationen NOK und DSB den von Headhuntern empfohlenen Vesper aus dem Hut zog, zeigte er ihn stolz vor wie eine schillernde Figur. Impulse und neue Akzente seien von ihm zu erwarten - auch das ist Schnee von gestern: der Grüne hat sich längst der Umgebung angepasst. Er ist grau geworden.
Idealisten sind nun einmal naiv
Während Michael Vesper in den Disziplinen Schönreden und Wegducken ziemlich weit vorne liegt, ist das deutsche IOC-Mitglied Walther Tröger eine etwas ehrlichere Haut. Schließlich sei sogar die UNO damit überfordert, Hunger, Gewalt und Menschenrechtsverstöße aus der Welt zu schaffen, tat er kund - da sei es doch wirklich naiv gewesen zu glauben, ausgerechnet der Sport könne in China etwas erreichen. Es seien nun mal chinesische Spiele. Die angebliche eigene Naivität schützend ins Feld geführt hatte zuvor schon IOC-Präsident Jacques Rogge, als er erklärte, warum aus dem anfangs versprochenen freien Internetzugang eine von den chinesischen Zulassungskriterien abhängige Freiheit geworden war. Idealisten seien nun einmal naiv. Das mag sein - was aber im Umkehrschluss nicht jeden, der seinen Opportunismus als naiv hinstellt auch schon als Idealisten ausweist.
Ist Thomas Bach, unser oberster olympischer Sportfunktionär, der mit großen Ambitionen nach internationalen Ämtern giert, auch naiv? Eher nicht. Zunächst war er - anders als Vesper, der in seiner Jugend nur einmal Tischtennis gespielt hat - tatsächlich Sportler. Er erfocht sogar olympisches Gold. Dann ist er noch FDP-Mitglied und von Beruf Industrie-Lobbyist. Das lässt sich mit dem Amt gut kombinieren. Allerdings hat ihm der neue Kurs, den die US-Börsen der Firma Siemens aufgezwungen haben, arge Einkommensverluste eingebracht. Siemens muss nämlich neuerdings Korruption bekämpfen und tut dies in etwa so eifrig wie die Sportverbände Doping kontrollieren.
Also werden jetzt einzelne "schwarze Schafe" entdeckt. Seinem "Berater" Thomas Bach hat Siemens schlicht das Honorar gekürzt. Jetzt gibt er sich besonders präsidial. Bei tagespolitischen Niederungen muss Vesper ran, denn Bach, der so gerne IOC-Präsident werden würde, guckt nur noch auf das große Ganze. Ihn drängt es auch deshalb in internationale Funktionen, weil er zu Hause das für ihn höchstmögliche Amt erreicht hat. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel eins von Helmut Kohl gelernt hat, dann ist es Personalpolitik. An die Spitze aller wichtigen Verbände und gesellschaftlichen Organisationen schickt sie deswegen am liebsten Vertraute - so wie Matthias Wissmann (zur Automobilindustrie) und Hildegard Müller (direkt aus dem Kanzleramt in die Energiewirtschaft).
Der populäre CDU-Mann für den Sport heißt Eberhard Gienger. Er soll DOSB-Chef werden. Zwar hat der ehemalige Reckturner inzwischen zugegeben, dass er früher gedopt hat - aber das hat für eine Karriere als Sportfunktionär noch niemandem geschadet! Gienger verhält sich im Moment jedenfalls äußerst geschickt: er redet nur über den sympathischen Fabian Hambüchen und hält ansonsten einfach mal die Klappe!
Dolmetscher und sandfarbene Anzüge
Während der ehemalige Schwimm-Star Michael Groß vom "Sündenfall" des IOC spricht, dessen Auftreten in China er "erbärmlich" finde, bildet sich allmählich auch bei den deutschen Funktionären Problembewusstsein. Gudrun Doll-Tepper - man muss sie nicht kennen, aber sie ist eine der Vize-Chefs des DOSB - hatte da so eine tolle Idee. Natürlich, gab sie zu Protokoll, die Probleme in China gehörten untersucht. Man könne ja probieren, in Peking "über Dolmetscher und so an Originalinformationen zu kommen". Oh je! Da möchte man nicht Dolmetscher sein! Das wäre auch gefährlich, dann am Ende platzen unsere Funktionäre noch vor lauter Stolz über ihre Bedeutung aus den sandfarbenen Anzügen.