Architektur ist für ihn pures Abenteuer. Und auf der Suche danach hat Renzo Piano in den vergangenen vier Jahrzehnten in der Welt seine Spuren hinterlassen. Bemerkenswerte Spuren wie jetzt der dreieckige Wolkenkratzer "The Shard" in der Londoner Skyline - das mit einer Höhe von 310 Metern höchste Haus Westeuropas ist so symbolträchtig wie umstritten. Und so hat es Italiens Stararchitekt, der Mann aus der ligurischen Metropole Genua, schon immer geliebt. "Jeder Architekt hat große Angst davor, dass die Bevölkerung seine Gebäude nicht annimmt", sagte der Wanderer zwischen Modernität und Traditon in einem "Zeit Online"-Gespräch. Am Freitag (14. September) wird der Träger des renommierten Pritzker-Architekturpreises 75.
Zwischen Genua und seinem Büro im Pariser "In"-Viertel Marais pendelt Renzo Piano. Er entwirft auch heute noch unweit des weltbekannten Bauwerks, das ihm in den 1970er Jahren den Durchbruch brachte: das Centre Pompidou. Das Ausstellungs-"Schlachtschiff" mit der futuristischen Stahlkonstruktion, den sichtbaren Versorgungsrohren und den flexiblen Wänden war damals fast eine Revolution. Piano hatte den Entwurf zusammen mit Richard Rogers vorgelegt. Viele besuchen das Centre Pompidou auch heute noch, um eben dieses Bauwerk zu bestaunen.
Leichtes und Offenes schwingt häufig mit, wenn der Architekt ein neues "Abenteuer" eingeht. Dazu gehören der Potsdamer Platz oder die "dreihügelige Landschaftsskulptur" des Zentrums Paul Klee bei Bern, der große Flughafen im japanischen Osaka und das Auditorium Niccolò Paganini im norditalienischen Parma. Bei dem schwierigen Projekt, an dem früheren öden Grenzstreifen in Berlin eine City mit Büros, Kinos, Wohnungen und mehr als 100 Läden zu bauen, will er damals auch etwas Angst gehabt haben: Eine Stadt zu bauen, sei doch immer ein Wagnis. Doch Piano schwärmte von den vielen Möglichkeiten, die Berlin biete.
Nach London folgt Athen
Ein Wunder war es nicht, dass sich der junge Renzo entschloss, die Karriere als Architekt einzuschlagen, für ihn "der schönste Beruf der Welt". Piano stammt aus einer Familie mit langer Baumeistertradition. 1970 erregte er erste Aufmerksamkeit mit seinem für die Expo in Osaka entwickelten italienischen Pavillon. Später entwarf er dann auch die Konzertsäle des Auditoriums in Rom und baute die Fiat-Fabrik Lingotto in Turin um. Und er verwandelte den zerfallenen Alten Hafen in seiner Heimatstadt Genua 1992 zum Kolumbus-Jahr in eine Großstadtoase der Neuzeit. "Hochhäuser sind nicht per se schlecht, sie müssen am rechten Fleck stehen", so sein Motto, in einem "GQ"-Interview präsentiert, das er mit der "Scherbe" (The Shard) an der Themse nun ein weiteres Mal umsetzt.
Wie beim Centre Pompidou, am Anfang seiner Karriere, ist der pyramidenförmige Piano-Wolkenkratzer mit der glänzenden Glasfassade umstritten - für die einen ist dies ein Design-Meisterwerk, andere sehen es als unpassend im historischen Londoner Stadtbild und mitten in der Wirtschaftskrise an. Einen "gigantischen Salzstreuer" nannte der britische Thronfolger Prinz Charles den "Shard"-Entwurf. Doch die Karawane des Stararchitekten mit dem grauen Vollbart zieht bereits weiter. Als Hoffnungszeichen für das krisengeschüttelte Griechenland hat der Genueser mit seinem Building Workshop ein modernes Zentrum für Kultur, Bildung und Freizeit in Athen entworfen. Auftraggeber ist die Stavros-Niarchos-Stiftung. In einigen Jahren soll es fertig sein.