Es ist vielleicht eines der größten Missverständnisse unserer modernen Zeit: dass königliche Pressearbeit der Wahrheit diene. Nun kann man debattieren, ob Public-Relations-Abteilungen generell der Wahrheit verpflichtet sein sollten – royale PR jedoch ist es mit Sicherheit seit Jahrhunderten nicht.
Die großen Ölgemälde des deutschen Malers Hans Holbein zeigten zwar König Heinrich VIII. im vollen Ornat, martialisch und stattlich, aber natürlich nicht die schwärenden Wunden an seinen Beinen, die ihn nach einem schweren Unfall auf dem Turnierplatz quälten. Und Williams Urgroßvater George VI. war für die Öffentlichkeit überhaupt nicht krank. Als die Ärzte ihm 1951 einen Lungenflügel heraus operierten, verkaufte man das der Öffentlichkeit als "strukturelle Abnormitäten" – auch der König selbst wurde über sein wahres Schicksal zunächst im Unklaren gelassen. Als er dann ziemlich plötzlich 1952 verstarb, an Lungenkrebs, kam die Todesnachricht passend zum Redaktionsschluss der "Times", es halfen hier wohl für die perfekte PR-Wirkung Morphiumspritzen der königlichen Ärzte zum rechten Zeitpunkt.
Kate und William: Bild einer perfekten Familie
Die Arbeit royaler Pressesekretäre ist stets nur auf eines ausgerichtet: die königliche Familie gut aussehen zu lassen. Im Falle von Kate und William, dem Prinzen und der Prinzessin von Wales, hieß dies, immer und überall das Bild einer perfekten Familie abzugeben. Zwei Erwachsene im harmonischen Dienst für das Volk zwischen Kindergarten-Eröffnungen und Suppenküchen-Besuchen und dabei immer mal wieder Bilder vom kleinen Thronfolger George, schon jetzt perfekt vorbereitet auf die zukünftige Rolle.

Auch die Pressearbeit von Kate und William ist daher nicht darauf ausgelegt, eine oder gar die Wahrheit zu vermitteln. Sondern sie dient dazu, ihre royalen Rollen nach außen zu repräsentieren – diese unmöglich perfekten Menschen in einer zunehmend unmöglichen Institution.
Die Royals sind keine Promis: Kate & Co. haben kein Interesse an Öffentlichkeit
Denn hier kommen wir zum zweiten Teil dieses Missverständnisses, das besonders die Öffentlichkeit außerhalb von Großbritannien betrifft: Die Royals sind keine Promis. Sie haben kein Interesse an ständiger Öffentlichkeit. Sie müssen sich stets und immer vor Öffentlichkeit schützen.
Zum einen, weil zu viel Öffentlichkeit den Grundsatz der Idee der Monarchie beschädigen könnte: dass diese Familie etwas so Besonderes in sich trägt, weswegen sie Kronen aufsetzen und in goldenen Kutschen fahren darf und Kinder bekommt, die alles dies auch irgendwann einmal tun werden.
Und zum anderen müssen sich die Windsors vor Öffentlichkeit schützen, weil diese modernen Royals so leben wollen wie (fast) normale Menschen. Überaus privilegiert zwar, aber eben als Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen so oft es geht – ohne, dass sie dabei von Paparazzi fotografiert werden. Die mit Freunden Partys veranstalten, ohne dass danach Bilder in Boulevardblättern erscheinen. Die in Ferien fahren, ohne dass anschließend Fotos von Kate im Bikini gedruckt werden. Das ist übrigens auch der große Unterschied zur Zeit von Diana und Charles. Diana hatte versucht, Öffentlichkeit für ihre Zwecke zu nutzen. Ihr Sohn William weiß, dass sie davon aufgefressen wurde.

Und zu diesem normalen Leben gehört eben auch, dass Kate sich als Prinzessin von Wales wenige Stunden nach der Geburt mit ihren Kindern vor der Klinik ablichten lässt. (Schon ein modernes Zugeständnis, vor nicht allzu langer Zeit wurden Thronfolger unter Anwesenheit von Zeugen geboren, die vor aller Öffentlichkeit verbürgen konnten, dass die Abstammung zumindest mütterlicherseits garantiert war.) Und es gehört zu diesem normalen royalen Leben, dass der Palast nun entschieden hat, die Öffentlichkeit wochenlang im Unklaren zu lassen, wie es Kate wirklich geht.
Es ist die Quadratur des Kreises, den die Windsors hier versuchen. Sie, als königliche Familie, sind der Inbegriff der Öffentlichkeit. Ihre Privilegien, ihre Rollen, ihre ganze Daseinsberechtigung beruht darauf, dass sie gesehen werden. Und doch wollen sie sich schützen vor dieser Öffentlichkeit, ihr nicht alles preis geben.
Wo keine Information war, gab es Verschwörungstheorien
Dürfen Sie das?
Und vielleicht zeigt diese Frage, wie absurd die Debatten rund um Kate in den vergangenen Wochen wurden. Wo keine Information war, gab es Verschwörungstheorien. Die Prinzessin von Wales brauchte Privatheit. Und die Öffentlichkeit verlangte "die Wahrheit".
"Enormen Mut bewiesen" – das sind die Reaktionen auf Kates Erkrankung

Was zur nächsten Frage führt: Dürfen wir verlangen, dass die Royals uns alles erzählen, jederzeit?
Nun dürfen die Briten sicher fragen, was eigentlich los ist – schließlich bezahlen sie als Steuerzahler die Auftritte und den Pomp and Circumstance der Royals. Doch wir alle, die wir uns von diesem Pomp einfach nur unterhalten lassen, wir dürfen nicht verlangen, dass uns diese Frau, diese Familie, ihre Seele offenlegt.
Wir sollten uns erinnern, was diese Royals sind: vor allem Menschen mit Rollen, bei denen es sich nun erneut zeigt, wie unmenschlich genau diese in Wirklichkeit schon immer waren und noch sind.