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Fakten zum Germanwings-Absturz Das wissen wir sicher, das wird vermutet

Nach den Ermittlungen der französischen Staatsanwaltschaft ist der Copilot Verursacher der Germanwings-Katastrophe. Doch gibt es wirklich keine Zweifel? Was wissen wir, was ist nur eine Vermutung?
Von Dieter Hoß

Seit der überraschend eindeutigen Stellungnahme des französischen Staatsanwalts Brice Robin am Donnerstag scheint klar: Copilot Andreas L. aus Montabaur hat den katastrophalen Absturz von Germanwings-Flug 4U9525 absichtlich herbeigeführt, um einen Suizid zu begehen. Doch gibt es daran wirklich keine Zweifel mehr? Steht fest, dass der 27-Jährige 149 Menschen mutwillig mit in den Tod riss? Eine Zusammenstellung von gesicherten Fakten, Vermutungen und Unklarheiten zur Germanwings-Katastrophe.

Das sind die gesicherten Fakten

Andreas L.: Der Copilot der Absturzmaschine wurde 1987 geboren, lebte bei seinen Eltern im rheinland-pfälzischen Montabaur am Westerwald und hatte zudem eine Wohnung in Düsseldorf; Germanwings startet vom Rhein-Ruhr-Airport. Seine ersten Erfahrungen als Pilot machte er als Segelflieger beim Luftsportclub Westerwald. 2008 begann er bei der Lufthansa eine Ausbildung zum Piloten, die er nach Darstellung von Lufthansa-Chef Carsten Spohr ein Jahr später für mehrere Monate unterbrochen hat - offiziell ist der Grund unklar, inoffiziell werden psychische Probleme als Grund angenommen. Später absolvierte er erfolgreich alle Tests und nahm die Ausbildung wieder auf. Danach verbrachte er durchaus übliche elf Monate im Wartestand, in denen er als Flugbegleiter eingesetzt wurde. Seit 2013 war er bei Lufthansa und Germanwings als Copilot im Einsatz.

Am Tag des Absturzes war Andreas L. laut Staatsanwaltschaft in Düsseldorf krank geschrieben. Diese Krankschreibung hat er seinem Arbeitgeber verschwiegen. In seinen Wohnung wurden Unterlagen über eine bestehende Erkrankung und entsprechende Behandlungen gefunden. Um welche Erkrankung es sich handelt, haben die Ermittler bisher nicht mitgeteilt. Die Uniklinik Düsseldorf hat bestätigt, dass L. im Februar und März wegen "diagnostischer Abklärungen" in der Klinik gewesen sei. Die Einzelheiten unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht.

Ablauf des Absturzes

: Germanwings-Flug 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf erreichte am Dienstag, 24. März, um 10.45 Uhr die Reiseflughöhe von gut 11.500 Metern. Nach einer Minute verließ der Airbus 320 die Reiseflughöhe wieder und ging in einen acht Minuten dauernden Sinkflug über. Es wurde kein Notruf abgesetzt. Um 10.53 Uhr brach der Radarkontakt der Flugüberwachung zu der Maschine ab. Zu diesem Zeitpunkt prallte die Maschine gegen eine Felswand. Das Flugzeug befand sich in einer Höhe von gut 1800 Metern über den französischen Alpen nahe Seyne-les-Alpes.

Die Zahl der Opfer

: An Bord waren 144 Passagiere aus mindestens zwölf Ländern und sechs Besatzungsmitglieder. Darunter sind nach derzeitigen Erkenntnissen mindestens 75 Deutsche. Überlebende gibt es nicht.

Die Vorgänge im Cockpit

: Sie sind laut französischer Staatsanwaltschaft belegt durch rund 30 Minuten rekonstruierbare Aufzeichnungen. Danach verlief der Flug zunächst normal. Nach Erreichen der Reiseflughöhe übergab der Kapitän die Steuerung der Maschine an den Copiloten. Nachdem die Cockpit-Tür wieder verschlossen wurde, wurde der automatische Sinkflug durch Manipulation des Flight Monitoring Systems eingeleitet. Dies kann laut Ermittlern nur durch eine bewusste Handlung geschehen sein. Der Kapitän kehrte wenig später zurück und verlangte Eintritt ins Cockpit. Es gab keine Reaktion von innen. Der ausgesperrte Kapitän rief: "Mach die verdammte Tür auf!" Versuche, die Cockpit-Tür aufzubrechen, schlugen fehl. Versuche der Flugsicherung, mit der Maschine Kontakt aufzunehmen, schlugen ebenfalls fehl. Die von der Blackbox festgehaltenen Geräusche legen nahe, dass der Airbus zunächst auf einen Hang traf und dann an einer Felswand zerschellte.

Das sind (begründete) Vermutungen

Die Suizid-These: Vieles spricht dafür. Ein starkes Indiz ist das jüngste Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, dass Andreas L. vor einigen Jahren - noch vor Erlangung seines Pilotenscheins - wegen Selbstmordgefahr in Behandlung war. Die Veranlagung scheint also verhanden zu sein. Zudem kann der Sinkflug nach allem, was man weiß, nur bewusst eingeleitet werden. Auch die totale Blockade der Cockpit-Tür kann nur willentlich bewirkt werden, indem die Möglichkeit einer Notfall-Öffnung ausgeschaltet wird. Die Tatsache, dass Atemgeräusche aus dem Cockpit zu hören sind, Andreas L. also während des Sinkflugs lebte, und er nicht auf den Kapitän und die Flugsicherung reagierte, legen nahe, dass der Absturz absichtlich herbeigeführt wurde und der Crash beabsichtigt war.

Und dennoch sind das nur Indizien. Fehlfunktionen im Flight Monitoring System oder in den Sicherungsmechanismen der Cockpit-Tür konnten bisher nicht ausgeschlossen, vermutlich nicht einmal untersucht werden. Fraglich ist auch: War Andreas L. wirklich bei vollem Bewusstsein oder hatte er plötzliche gesundheitliche Probleme? Auch bei eingeschränkten vitalen Funktionen ist "schweres Atmen" denkbar. Und trotz einer früheren suizidalen Neigung ist unbekannt, ob L. auch zuletzt selbstmordgefährdet war.
Kurzum: Die Suizid-These ist trotz allem nicht zweifelsfrei belegt.

Andreas L. litt unter psychischen Problemen

: Auch dafür spricht viel. Die jüngsten Erkenntnisse, dass L. am Tag des Absturzes eine Krankschreibung verheimlichte, scheinen dies noch einmal zu stützen. Der Grund für die Krankschreibung ist offiziell bisher nicht bekannt, laut einem Zeitungsbericht soll sie von einem im Rheinland arbeitenden Neurologen und Psychiater stammen. Dort soll L. schon seit geraumer Zeit in Behandlung sein. Im Lufthansa-Konzern gab es entsprechende Gerüchte, auch die Unterbrechung der Piloten-Ausbildung wird psychischen Problemen zugeschrieben. Es gibt Medienberichte über "eine abgeklungene schwere depressive Episode" im Jahr 2009, zeitweilige Einstufung als "flugunfähig" und den SIC-Code in Andreas L.s Akten. Das Kürzel soll für die Notwendigkeit einer "besonderen regelhaften medizinischen Untersuchung" stehen.
Offiziell bestätigt ist das alles bisher nicht. Und: Dafür, dass die psychischen Probleme des Mannes zwangsläufig der Grund für die Katastrophe sind, gibt es bisher keinen Beleg.

Andreas L. hatte Sehstörungen

: Die Ermittler gehen Medienberichten zufolge Hinweisen nach, denen zufolge der junge Copilot in jüngster Zeit Sehstörungen hatte, gar eine Netzhautablösung befürchtet haben soll. Hätte sich dies beim nächsten Medizin-Check bestätigt, hätte es L. wohl die Pilotentauglichkeit gekostet. Ob die Sehprobleme eine organische oder psychosomatische Urasche hatten, ist unklar.
Die Spekulationen, dass das Motiv für den absichtlich herbeigeführten Absturz in der Gesundheit L.s liegt, legt nahe, dass der Copilot in einem Leben ohne Fliegerei keinen Sinn gesehen hat. Doch auch dafür gibt es bisher keine Belege.

Kein Attentat

: Tatsächlich spricht bisher nichts dafür, dass Flug 4U9592 durch ein wie auch immer geartetes Attentat abgestürzt ist. Laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gibt es keinerlei Hinweise auf einen Anschlag. Auch in der Person von Andreas L. sehen Ermittler bisher keinerlei entsprechende Aspekte. Die Durchsuchungen der Wohnungen L.s haben ebenfalls keine Anhaltspunkte für einen politischen oder religiösen Hintergrund des Geschehens am Absturztag ergeben. Abschließend ausgeschlossen ist die Möglichkeit eines Attentats bisher allerdings nicht.

Darüber wissen wir (noch) nichts

Das Motiv: Vorausgesetzt es bestätigt sich, dass der Copilot den Germanwings-Flug absichtlich in die Tiefe lenkte, ist immer noch nicht klar, warum er das getan haben soll. Einen Abschiedsbrief oder ein Bekennerschreiben haben die Ermittler bisher nicht gefunden. Trotz der Vielzahl an Hinweisen ist eine psychische Erkrankung offiziell bisher nicht belegt. Und selbst wenn: Ist das zwangsläufig eine Erklärung für die mutmaßliche Tat? Als Motiv denkbar ist offenbar auch Liebeskummer. Entsprechende Medienberichte berufen sich dabei auf Äußerungen einzelner Ermittler. Oder vielleicht doch ein Attentat? Hinweise darauf gibt es, wie gesagt, nicht. Die Ermittlungen dauern an.

Die Gelegenheit/Planung

: Sollte der Copilot den Absturz geplant haben, wie konnte er sicher sein, dass er während des Fluges allein im Cockpit sein würde? Die durchschnittliche Flugzeit von Barcelona nach Düsseldorf beträgt etwas mehr als zwei Stunden - keine Zeit, in der der Kapitän quasi zwangsläufig die Pilotenkabine einmal verlassen muss. Oder hat der Copilot schon seit Längerem auf eine Gelegenheit gewartet und diese ergriffen, als ihm der Kapitän die Kontrolle über den Airbus überantwortet. Dann hätte L. sehr schnell und sehr entschlossen gehandelt. Möglich auch: L. verheimlichte seine erneute Erkrankung, um seinen Job nicht zu verlieren, dann übermannte ihn jedoch die scheinbare Aussichtslosigkeit seiner Situation und er beschloss, dem ein Ende zu setzen. Wie auch immer - das sind reine Spekulationen.

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