Langsam gehen die Lichter wieder an
16 Stunden nach dem gigantischen Stromausfall in Nordamerika ist in vier der fünf Stadtteile New Yorks die Energie teilweise zurückgekehrt. Bis zu ein Viertel der Stadt werde wieder versorgt, berichtete der Nachrichtensender CNN am Freitag. "Es ist ein langsamer Prozess", sagte der New Yorker Gouverneur George E. Pataki. Die ersten Lichter waren mit Hilfe von Notstrom bereits 4 Stunden nach dem Blackout wieder angegangen, doch sind Millionen von Menschen im Norden der USA und in Kanada weiter ohne Strom. Zehntausende New Yorker verbrachten die Nacht im Freien. Nach Angaben der Polizei gab es während des Ausfalls lediglich vier Einbrüche.
Die Ursache des Stromausfalls ist weiterhin unklar. Die USA und Kanada schoben sich gegenseitig die Schuld für das Stromchaos zu: US-Regierungsstellen vermuteten, dass die Ursache für den Stromausfall in einem kanadischen Elektrizitätswerk liegen könnte. Das US-Heimatatschutzministerium schaltete sich in die Untersuchungen ein. Auf kanadischer Seite hieß es dagegen, der Auslöser sei in den USA zu suchen. Schon wenige Stunden nach Beginn des Blackouts hatte US-Präsident George W. Bush am Donnerstagabend in San Diego (Kalifornien) klar gestellt, dass es keinen terroristischen Hintergrund gebe. Auch der Flugverkehr zwischen Deutschland und den USA wurde behindert.
Chaos in den Städten
Einer der größten Stromausfälle in der Geschichte Nordamerikas hatte am Donnerstag kurz nach 16.00 Uhr Ortszeit (22.00 Uhr MESZ) mehrere Metropolen im Nordosten der USA und Kanadas ins Chaos gestürzt. Millionen Menschen waren stundenlang ohne Strom. U-Bahnen blieben stehen, Aufzüge steckten fest. In New York wurden Erinnerungen an die Anschläge vom 11. September 2001 wach.
Für Deutschlander schloss der Chef des Energiekonzerns EnBW, Utz Claassen, einen vergleichbar großen Stromausfall wie in Nordamerika aus. "Es hat nie in dieser regionalen Ausprägung über Bundesländer hinweg und auch nie in dieser zeitlichen Ausprägung Ausfälle gegeben", sagte Claassen am Freitag im ARD-"Morgenmagazin".
CNN zeigte Bilder vom Zentrum New Yorks, in dem gegen 5.00 Uhr morgens (Ortszeit) wieder einzelne Lichter angingen. Tausende Menschen seien auf den Straßen. Viele hätten sich zum Schlafen in Bahnhöfen, Bus-Stationen und den Foyers der Hotels niedergelegt.
Flugverkehr behindert
Mehrere Flüge von und nach Nordamerika wurden gestrichen. Es kam zu mehrstündigen Verspätungen. Betroffen war auch die Lufthansa. Sechs Maschinen der Lufthansa konnten in der Nacht zwar pünktlich in den USA landen, wie eine Sprecherin sagte. Wegen der zusammengebrochenen Infrastruktur an den Flughäfen konnten die Passagiere aber erst verspätet aussteigen.
Betroffen sind neben New York auch die US-Städte Detroit (Michigan), Cleveland und Toledo (Ohio), die kanadischen Städte Ottawa und Toronto sowie Dutzende kleinerer Städte. Das Gesamtgebiet, das ein Dreieck bildet, umfasst eine Fläche von rund 200 000 Quadratkilometern. Das entspricht etwas mehr als der Hälfte Deutschlands oder ist fast drei Mal so groß wie Bayern.
Bush kündigt Untersuchung an
Der New Yorker Gouverneur George Pataki hatte den Notstand über den Bundesstaat New York verhängt. Rund die Hälfte der 19 Millionen Einwohner des Staates New York seien ohne Strom gewesen. Bush sagte vor Journalisten am Rande eines Besuches in Kalifornien: "Eines kann ich sicher sagen, das war kein Terroranschlag." In den vergangenen Tagen hatte es mehrere Warnungen vor Anschlägen gegeben. Bush kündigte eine Untersuchung an und versprach, dass so etwas nicht wieder passieren werde. "Wir bewältigen langsam, aber sicher dieses massive nationale Problem." Er sei zuversichtlich, dass die Stromversorgung bald wieder funktionieren werde.
Der Gouverneur von New Mexico und frühere Energieminister Richardson übte im Sender CNN scharfe Kritik am System der Energieversorgung. "Wir sind eine Supermacht mit einen Leitungsnetz wie in der Dritten Welt", sagte er. "Das Problem ist, dass niemand ausreichend Leitungskapazität ausbaut."
Atomkraftwerke abgeschaltet, Flugverkehr eingestellt
Über die Ursache des Stromausfalls gab es unterschiedliche Angaben. Nachdem eine Sprecherin des kanadischen Ministerpräsidenten Jean Chretien zunächst davon gesprochen hatte, ein Blitzschlag habe ein Kraftwerk in der Nähe von Niagara Falls im US-Bundesstaat New York getroffen, teilte Chretiens Büro später mit, die Ursache sei in einem Atomkraftwerk im US-Bundesstaat Pennsylvania zu suchen. Die Versorgungsunternehmen selbst teilten mit, vermutlich sei dies der größte Stromausfall in der Geschichte Nordamerikas. Genaue Zahlen lägen aber noch nicht vor. Offenbar habe es bei der Hochspannungs-Übertragung zwischen Kanada und den USA einen Fehler gegeben. Den Angaben zufolge wurden neun Atomkraftwerke in vier US-Bundesstaaten geschlossen.
Der Stromausfall betraf auch die Auto-Städte Detroit und Cleveland, wo die Produktion der größten Autohersteller der Welt, General Motors und Ford, zeitweise unterbrochen wurden. Der Flugverkehr von und nach New Yorks war zeitweise lahm gelegt.
Verkehrschaos in Manhattan, Plünderungen in Ottawa
In New York saßen zur Hauptverkehrszeit am späten Nachmittag Tausende von Menschen in U-Bahnen fest. Der Straßenverkehr kam zum Erliegen, Ampeln fielen aus. Millionen Menschen verließen die Bürohochhäuser und machten sich bei Temperaturen von mehr als 33 Grad zu Fuß auf den Weg nach Hause. Alle sind einfach ausgeflippt", beschrieb eine Krankenschwester die Reaktionen, als der Strom ausfiel. "Plötzlich denkt man an den 11. September." Eine andere Frau berichtete, sie sei auf dem Dach des Empire State Building gewesen. "Wir mussten 86 Treppen nach unten laufen. (...) Ich musste immer an die Zwillingstürme denken, und wie ich nach unten kommen würde, aber alle blieben ruhig."
Die New Yorker Polizei beorderte alle Beamten zum Dienst und postierte Wachen an Banken und Geldautomaten. Letztere funktionierten allerdings nicht mehr. "Wir haben keine Fälle von Plünderungen, aber wir sind zu beschäftigt, um jeden Kleindiebstahl zu verfolgen", sagte ein Polizeisprecher. Während Stromausfällen in den Jahren 1977 und 1965 hatten Plünderer Millionenschäden angerichtet. Erste Plünderungen wurden aber in der Nacht aus der kanadischen Hauptstadt Ottawa gemeldet.
Bloomberg forderte Gelassenheit
New Yorks Bürgermeister Bloomberg hatte sich zuversichtlich gezeigt, dass sich Situation in der Stadt am Freitag wieder normalisieren werde. Ansonsten bemühte er sich um Gelassenheit: "Tun Sie einfach so, als wäre das ein Schnee-Tag." Im Winter kommt das öffentliche Leben in New York bei Schneestürmen regelmäßig zu erliegen, was die New Yorker aber recht gelassen nehmen. In der City Hall, wo ein Notstromaggregat für Licht sorgte, fügte Bloomberg hinzu: "Schauen Sie aus dem Fenster, hören Sie Radio. Und es wäre nicht die schlechteste Idee, einen Tag frei zu nehmen."
Bevor die New Yorker U-Bahnen wieder verkehren könnten, müsse das System überprüft werden, sagte ein Sprecher der Betreibergesellschaft. "Wir brauchen eine Weile, bis wir alle Signale, die Relais und Weichen überprüft haben (...) Man kann nicht einfach den Schalter umlegen." Auch die Mobilfunknetze waren am Abend überlastet und brachen zeitweise zusammen.
Stromausfall verunsichert Börsen nicht
Der Dollar hat sich am Freitag von kurzfristigen Verlusten durch Stromausfälle erholt und sich zum Euro um den Schlussstand des Vortages eingependelt. Die New Yorker Börse, die zum Zeitpunkt des Stromausfalls bereits geschlossen hatte, nahm am Freitag zur gewohnten Zeit den Handel wieder auf. Es seien keine Daten der Handelssitzung vom Donnerstag verloren gegangen, sagte ein Sprecher der Börse.
Chronik größerer Stromausfälle in den USA
Von dem massiven Stromausfall im Nordosten der USA und im Süden Kanadas waren am Donnerstag schätzungsweise 50 Millionen Menschen betroffen. AP sendet im Folgenden einen Überblick über frühere große Stromausfälle in den USA:
9. November 1965: Innerhalb von zwölf Minuten fällt auf einer mehr als 207.000 Quadratkilometer großen Fläche in sieben US-Staaten und in zwei kanadischen Provinzen der Strom aus. Betroffen sind 30 Millionen Menschen.
13. Juli 1977: Neun Millionen Bewohner New Yorks sind nach einem Blitzeinschlag in Stromleitungen für 25 Stunden ohne Elektrizität. In der Stadt kommt es zu massiven Plünderungen, 3.700 Personen werden festgenommen.
19. Mai 1986: Nach einer technischen Panne am New Yorker Bahnhof Grand Central ist ein vier Häuserblock großes Gebiet der Stadt für zwölf Stunden ohne Strom.
11. August 1996: In neun westlichen US-Staaten bricht die Stromversorgung während einer Hitzewelle zusammen. Vier Millionen Haushalte sind bis zu zehn Stunden lang ohne Strom.
23. Oktober 1997: In der Innenstadt von San Francisco fällt für rund 250.000 Haushalte für mindestens 90 Minuten der Strom aus. Laut Ermittlungen der Bundespolizei FBI handelte es sich um einen Sabotageakt.
8. Dezember 1998: Wegen eines Fehlers von Bauarbeitern ist ein 125 Quadratkilometer großes Gebiet in der Umgebung von San Francisco für sieben Stunden ohne Elektrizität. Betroffen sind rund 940.000 Bewohner.
6. Juli 1999: Eine dreitägige Rekord-Hitzewelle führt 19 Stunden lang zum Zusammenbruch der Stromversorgung in New York.