Sie hatten die Wand aufgerissen, und da stand er, der Koffer. Grauer Stoff mit Reißverschluss. Er war auf diesem staubigen Dachboden versteckt, der seit Jahrzehnten nicht betreten worden war und jetzt saniert werden sollte. Wer immer ihn hier verborgen hatte, wollte nicht, dass er je gefunden wird. Das Haus in der Kennedyallee in Frankfurt am Main gehörte meinen Eltern. Mein Großvater hatte es nach dem Krieg gekauft und an ein Ehepaar verpachtet, das darin eine bürgerliche Herberge betrieb, das Hotel und Restaurant Weidenhof. Ich weiß noch, wie ich als Knirps über den Parkplatz tobte. Niemals hätte ich geahnt, was für ein Geheimnis es verbarg. Ein Geheimnis, das mich nun, Jahrzehnte später, dazu bringen sollte, nach Zeitzeugen von damals zu suchen und in Archiven Unterlagen auszugraben, die man längst vergessen glaubte.
Als die Handwerker den Reißverschluss des Koffers aufzogen, blickten sie auf Damenwäsche, Kleider, Lockenwickler, eine Kulturtasche, Frottee-Trockenshampoo und ein „Hausbuch für die deutsche Familie“ mit Rezepten und Zahnpflege-Tipps. Zwischen den Kleidern lagen Ausweisdokumente, Ende der 60er Jahre ausgestellt auf den Namen einer Frau. Unsicher, was sie da vor sich hatten, informierten die Männer die Polizei. Es stellte sich heraus, dass der Koffer ein lang gesuchtes Beweisstück in einem Mordfall war. Er hatte einer jungen Frau gehört. Der Koffer war Teil eines Dramas um Liebe, Intrigen, Eifersucht und Weltpolitik in den eisigsten Zeiten des Kalten Krieges.
