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Anis Amri erschossen "Kein Mitleid für einen Killer" – so reagiert die deutsche Presse

Bei einem Schusswechsel in Mailand ist der Terrorverdächtige Anis Amri erschossen worden. Die deutschen Medien sind sich einig: Kein Mitleid für einen Killer.

Der Terrorverdächtige Anis Amri ist in Mailand bei einem Schusswechsel mit Polizisten getötet worden. Über Frankreich reiste er in das Land ein. Wie reagiert die deutsche Presse auf den Tod des Berliner Attentäter? Ein Überblick.

Rheinische Post: Das Fest der Liebe

Anis Amri ist tot. Man mag das als unchristlich empfinden, aber irgendwie empfanden viele dies gestern als frohe Botschaft. Der Mörder von Berlin, der Islamist, der zwölf Menschen kurz vorm Weihnachtsfest aus ihren Familien riss, wurde von Polizisten erschossen. Ein fröhliches und unbeschwertes Weihnachtsfest mag sich natürlich trotzdem nicht einstellen. Das Gefühl, dass "Gefährder" ungefährdet durch Europa reisen, ihren Terror planen und umsetzen können, befremdet. Der wehrhafte Staat mutiert zum lachhaften Gebilde. So geht das Jahr, in dem Tod und Terror, Krisen und Konflikte, ohnehin viel zu präsent waren, mit dem Wissen zu Ende, dass der Terror endgültig vor der Haustür angekommen ist. 

Anis Amri erschossen: "Kein Mitleid für einen Killer" – so reagiert die deutsche Presse

Neue Westfälische (Bielefeld): Der Mörder von Berlin ist tot 

Die Nachricht kommt aus Italien - und alle, die sie erreicht, reagieren ähnlich: Wir sind erleichtert, dass der Mörder von Berlin, der zwölf Menschenleben auf dem Gewissen hat, der außerdem viele Unschuldige zum Teil gefährlich, auch dauerhaft verletzt hat, niemandem mehr gefährlich werden kann. Es gibt kein Mitleid für einen Killer, kein Verständnis für diesen skrupellosen Verbrecher, keine Erklärungen dafür, dass jemand ausschließlich darauf aus war, anderen zu schaden, ihnen Schmerzen zu bereiten, sie zu töten. Dann erinnert man sich noch einmal an das Bild des Vaters, dem ein Arm fehlt, der in einer ärmlichen Hütte in Tunesien mit seiner Frau leben muss, und niemandem - auch nicht sich selbst - erklären kann, was den Sohn angetrieben hat. Und doch trauert er. Wie jeder Vater trauert, wenn er sein Kind verliert. Der Tod des Killers muss uns auch betroffen machen. Die Tatsache, dass wir über den Tod eines Menschen am Tag vor Weihnachten "erleichtert" sind - muss uns betroffen machen. Wollen wir wirklich "froh" sein, dass jemand tot ist? Unsere Sicherheit, besser unsere gefühlte Sicherheit wäre auch anders zu garantieren gewesen. Mehr noch: Die Festnahme Anis Amris, so heißt der tote Attentäter, hätte zu vielen wichtigen und neuen Erkenntnissen über die Organisationsstruktur und die Rekrutierungsmaßnahmen des Islamischen Staates (IS) im Blick auf weitere Selbstmordattentate führen können. 

Kommentar der Fuldaer Zeitung: Das Ende passt zum Anfang  

Auch in ihrem Ende ist die Geschichte des Terroristen Anis Amri ein Stück aus dem Tollhaus des deutschen Staates: Während gestern Morgen Meldungen über den Äther laufen, die Sicherheitskräfte in Berlin gingen davon aus, dass sich der Tunesier noch in der Hauptstadt befinde, liegt dieser mausetot in einem Mailänder Leichenschauhaus.

All die Pannen, all das Versagen im Umgang mit einem polizeibekannten "Gefährder" sind schwer zu ertragen - vor allem für die Angehörigen der Toten, denen immer stärker gewahr wird, dass das Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt hätte verhindert werden können. Der marokkanische Geheimdienst hatte, wie gestern gemeldet  wurde, den BND schon vor Monaten vor Amri und dessen Plänen gewarnt. Dass der meistgesuchte Mann Europas nach dem bislang schlimmsten islamistischen Anschlag auf deutschem Boden unbehelligt das Land verlassen konnte und seine "Duldungspapiere" (wie konnte dieser Mann hier überhaupt geduldet werden?) erst zwei Tage nach der Todesfahrt im Führerhaus des Lkw entdeckt wurden, spricht ebenfalls nicht für ein funktionierendes Strafverfolgungssystem.

(...)

Spätestens seit dieser Woche hat sich auch in Deutschland die Welt verändert, und es gilt, endlich die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dazu gehört, nicht länger gebetsmühlenartig darauf zu verweisen, dass wir die richtigen Gesetze haben, diese nur richtig angewendet werden müssen. Wo es - wie bei den Abschieberegeln - Lücken gibt, müssen diese schnellstens geschlossen werden. Denn wie sollen wir unsere Freiheit und unsere Werte verteidigen, wenn unsere Gesetze so ausgelegt werden können, dass sie Täter wie Anis Amri schützen?

Westfalenpost: Torsten Berninghaus zum Weihnachtsfest

Seit dem Anschlag von Berlin konnte von einer friedvollen Adventszeit keine Rede mehr sein. Trauer, Betroffenheit und Angst - vielleicht auch Wut beeinträchtigten die Freude auf eines der Hauptfeste des Kirchenjahres. Das personifizierte Böse, so könnte man meinen, hat die Freude und die göttliche Botschaft dieser Zeit versucht zu zerstören. Es ist kein Zufall, dass der feige Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz einem Symbol christlicher Freude galt. Denn die Weihnachtsmärkte stehen für die Begegnung von Menschen, für die Beziehungen untereinander. Im Advent wollen wir eigentlich unsere Herzen bereitmachen, um zu feiern, dass Gott uns in einem kleinen Kind begegnet. Angriff auf die christliche Botschaft Mitten in diese Stimmung krachte der Attentäter mit dem Sattelschlepper. Sein Ziel war es, Angst und Schrecken zu verbreiten. Niemand sollte sich mehr sicher fühlen. Das Vertrauen in Staat und Mitmenschen sollte unterminiert werden. So war es in Berlin.

(...)

Bei den Bürgern bleibt ein Gefühl der Ohnmacht zurück. Die Parteien wiederholen die ebenso bekannten wie zutreffenden Argumente: Wer nach Deutschland kommt, weil er verfolgt wird, genießt unseren Schutz. Das ist richtig und wichtig - und hat Verfassungsrang. Andererseits braucht es ordentliche Überprüfungen, die sicherstellen, dass nicht Terroristen statt Flüchtlinge Zutritt bekommen in unser Land. Nur wenn diese Kontrollen gewährleistet sind, kann Vertrauen wachsen und am Ende auch Integration gelingen. Das Gegenteil allerdings mag man sich kaum vorstellen. Was wäre das für eine Welt, in der sich die Staaten und Menschen abschotten und einigeln? Eine Welt der Ungnade, der Selbstgerechtigkeit und der Verachtung. Es wäre eine Welt, in der die Angst das Handeln bestimmt. Eine Welt der Verengung und vor allem eine Welt der Unfreiheit. Gemeinschaft und Zusammenhalt Heute aber ist Weihnachten. In den Kirchen wird die älteste und berühmteste Geschichte der Welt gelesen. Eine Geschichte voller Hoffnung, Güte und Liebe. Eine Geschichte, die die Herzen wärmt. Bei den Gottesdiensten und den vielen privaten Feiern erleben wir in diesen Tagen das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Das sind die Werte, die am Ende stärker sind als der Terror. 

Lausitzer Rundschau: Erleichterung und Unbehagen - Mutmaßlicher Berlin-Attentäter in Italien erschossen

Erleichterung. Die muss jeder vernünftig denkende Mensch empfunden haben, als sich am Freitagmittag bestätigte, dass der mutmaßliche Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz endlich gefasst worden ist. Es ist auch eine Erleichterung darüber, dass sich die Horrorvorstellung, der Mann könnte in Deutschland womöglich weiter töten, dank des couragierten und professionellen Vorgehens einer italienischen Polizeistreife erledigt hat. In die Erleichterung mischt sich aber auch viel Unbehagen. Wie konnte ein als Gefährder eingestufter Islamist, also ein extrem gewaltbereiter Mann, binnen weniger Tage so leicht vom Breitscheidplatz bis nach Mailand kommen? Welche Rolle haben die deutschen Sicherheitsbehörden dabei gespielt? Versprachen sie sich von Amri womöglich brisante Informationen und ließen ihn deshalb ungestört durch Deutschland ziehen? So beruhigend es ist, dass der 24-Jährige unschädlich gemacht werden konnte, so beunruhigend sind die Begleitumstände seines unfreiwilligen Todes. Das Vertrauen in den deutschen Sicherheitsapparat ist auf jeden Fall angekratzt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat völlig recht: Die Zeit des Abwartens ist jetzt vorbei. Nun muss über Konsequenzen gesprochen werden. Über das Aufenthaltsrecht zum Beispiel. Allein 37 000 Flüchtlinge werden in Deutschland wegen fehlender Reisedokumente geduldet. Darunter war auch Amri. Hier braucht es endlich wirksame Vereinbarungen mit den Herkunftsländern. Neu zu justieren ist obendrein die Abschiebepraxis, zumal sie in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Der internationale Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden muss ebenfalls verbessert werden. Da steckt viel politischer Zündstoff drin. Aber wenigstens kann Amri kein Unheil mehr anrichten. Das ist ein Anfang.

neues deutschland: Zur Besinnung kommen

Gott sei Dank. Dieses (hier bitte ein Fäkalwort ihrer Wahl einsetzen) Jahr geht zu Ende. Aber besteht Grund zur Hoffnung, dass das nächste besser wird? Wohl nicht. Außer, ja außer die besinnlich genannte Zeit wird genutzt, um zur Besinnung zu kommen. Terroristen morden, zerstören, wollen Angst und Schrecken verbreiten. Das ist allerdings schon alles, was sie können. Sie bringen nicht die "westlichen Werte" zu Fall. Haben nicht die Macht, an Rechten, Lebensweisen, Mitmenschlichkeit zu rühren. Dafür brauchen sie Komplizen. Die sie mit den großen und kleinen Seehofers dieser Republik, Pegida, AfD, all den erbärmlichen Hetzern im Netz nicht einmal lange zu suchen brauchten. Mehr als bereitwillig erfüllen sie die Aufgaben, die ihnen der "IS" zugedacht hat: Freiheiten einschränken, das Grundgesetz liquidieren, den Hass der Terroristen in die Gesellschaft tragen und ihnen zum Sieg verhelfen. All ihr selbst ernannten Verteidiger des christlichen Abendlandes: Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe. Abschottung und Ausgrenzung (die Jesus und seine Familie in der Weihnachtsgeschichte ja selbst erfahren) sind definitiv die falschen Schlussfolgerungen für jemanden, der sich christlich nennt. Ist zu diesem Weihnachtsfest die Zeit gekommen, da Innehalten und Insichgehen die Dinge zum Besseren wendet? Uns auf ein weniger schreckliches kommendes Jahr hoffen lässt? Es wäre ein wahres Weihnachtswunder. Und so nötig.

Frankfurter Rundschau: Schweigende Scharfmacher

Es war merkwürdig ruhig, nach dem bekannt wurde, dass der Terrorverdächtige Anis Amri in Mailand von Streifenpolizisten in Notwehr erschossen wurde. Das fällt auf, weil nach dem Anschlag in Berlin kein Tag verging, an dem nicht irgendjemand ein schärferes Gesetz oder gleich eine komplett andere Flüchtlings- und Sicherheitspolitik gefordert hat. Vielleicht haben sich ja die meisten Scharfmacher bereits erschöpft in die Weihnachtsferien verabschiedet. Wahrscheinlicher ist, dass die jüngsten Ereignissen sich nicht so leicht für ihre populistischen Zwecke instrumentalisieren lassen. Bleibt zu hoffen, dass nun sachlich aufgeklärt wird, ob und wenn ja welche Lehren aus möglichen Pannen der Behörden in diesem Fall gezogen werden können und müssen, damit sich die Fehler nicht wiederholen. Und schön wäre, wenn die Sicherheitsdebatte nicht mehr mit dem Streit über die richtige Flüchtlingspolitik vermischt wird. Wahrscheinlich ist das nicht.

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