Gut essen und trinken wollen wir eigentlich alle. Nur über die Frage, wie dieses "gut" im Detail aussehen soll, wird leidenschaftlich gestritten, insbesondere beim Thema Fleisch. Wo Veganer- oder Vegetarier-Vereine das Modell "ohne" propagieren, empören sich Konservative wie Markus Söder über "zwanghafte Veganisierung" – und Bauernvertreter über vegetarisches Frühstück auf dem Kirchentag.
Einen offenbar pragmatischen Mittelweg wählt da die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die gerade auf ihrem wissenschaftlichen Kongress in Kassel neue Ernährungsempfehlungen für Deutschland präsentiert hat. Die aktualisierten Ratschläge unter dem Titel "Gut essen und trinken" lösen die alten "10 Regeln" der DGE für gesunde Ernährung ab. Fortgeschrieben wird in den neuen Empfehlungen der eindeutige Trend zu mehr Pflanze und weniger Tier – ohne Komplettverzicht.
Weniger Fleisch, Wurst und Milchprodukte
"Die wichtigste Veränderung ist eine noch stärkere Betonung von mehr pflanzlichen Lebensmitteln und weniger Fleisch – und auch weniger Milchprodukten", sagt Antje Gahl. Die Ökotrophologin leitet das Referat Öffentlichkeitsarbeit der DGE in Bonn. Drei Viertel pflanzliche Kost und nur noch ein Viertel Produkte vom Tier sollen es nach den neuen Regeln künftig sein.
Konkreter heißt das: höchstens 300 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche. Bisher riet die DGE zu 300 bis 600 Gramm wöchentlich. Mit der neu berechneten Menge soll auf der einen Seite noch die Versorgung mit Nährstoffen wie Eisen gewährleistet sein, auf der anderen soll das Risiko von Herzleiden oder Dickdarmkrebs sinken, das Beobachtungsstudien zufolge auch mit dem Verzehr von "rotem" Fleisch wie Rind, Schwein, Lamm oder Ziege in Verbindung gebracht wird.
Zum Dritten berücksichtigt die geringere Menge aber auch, dass die Fleischproduktion im Schnitt deutlich mehr Landverbrauch, Umweltschäden und höhere Treibhausgasmengen verursacht als etwa die Produktion von Linsen, Nüssen oder Karotten. So werden für ein Kilo Fleisch – selbst nach konservativen Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO – im Schnitt drei Kilo Getreide benötigt.
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Nährstoff-Score: 62,49
Nüsse und Hülsenfrüchte werden geadelt
Bei Milchprodukten gilt in Zukunft: nur noch zwei statt drei Portionen am Tag. Für Obst und Gemüse bleibt es bei der groben Faustregel "Fünf am Tag". Allerdings werden protein- und ballaststoffreiche Nüsse, Bohnen, Erbsen und Linsen ab sofort nicht mehr bei Obst und Gemüse einsortiert, sondern mit einer eigenen Empfehlung geadelt: Zu täglich einer Handvoll Nüssen und einmal pro Woche Hülsenfrüchten rät die DGA jetzt.
Als wissenschaftliche Basis liegt den neuen Regeln ein neues mathematisches Modell zugrunde, in dem Umwelt- und Klimaaspekte stärker zu Buche schlagen werden: Bisher ging es bei den DGE-Regeln in erster Linie darum, optimal mit Fett, Eiweiß, Kohlenhydraten, Vitaminen oder Mineralstoffen versorgt zu sein. Die neuen Empfehlungen dagegen betonen stärker das Ziel, durch gesunde Ernährung auch Umwelt- und Klimaschäden zu minimieren.
"Gesundheitsaspekte wie Prävention von Krankheiten oder die Versorgung mit Nährstoffen stehen weiter im Vordergrund. Aber die neuen Empfehlungen basieren auf einem veränderten Modell, das Nachhaltigkeitsaspekte wie den Ausstoß von Treibhausgasen oder die Landnutzung stärker berücksichtigt," so Gahl.
Welche Mythen über Vegetarier stimmen – und welche nicht?

"Es ist tatsächlich so, dass vegetarische Ernährung besser ist für das Klima und auch für viele andere Umweltkategorien, wie zum Beispiel die Nitratbelastung in Gewässern", erklärt Hyewon Seo vom Umweltbundesamt (UBA). Der Referentin für Nachhaltige Ernährung beim World Wildlife Fund (WWF), Elisa Kollenda, zufolge könnte man in Deutschland "den Klimafußabdruck unserer Ernährung durch rein vegetarischen Lebensmittelkonsum um 47 Prozent reduzieren".
Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) werden derzeit weltweit mehr als 33 Milliarden Hühner, 1,6 Milliarden Rinder und jeweils knapp eine Milliarde Schweine und Schafe gehalten. Die Tiere benötigen riesige Flächen und Futtermengen, wodurch Klima und Umwelt nachhaltig geschädigt werden.
Wiederkäuer erzeugen der FAO zufolge Methan, das die Erderwärmung beschleunigt. Zudem leiden die Ökosysteme, da der Flächenverbrauch zum Artensterben beiträgt und gerodete Waldflächen als natürliche Klimaschützer ausfallen. Eine Studie der Universität Bonn kam 2022 zu dem Schluss, dass die Industrienationen weltweit ihren Fleischkonsum im Idealfall um 75 Prozent reduzieren müssten, um die globalen Klimaziele einhalten und die Menschheit auch künftig ernähren zu können.
Gesunde Ernährung mit deutlich weniger Fleisch – ein Hauch von Revolution
Bisher war die DGE als gemeinnütziger Verein, dessen Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern getragen wird, nicht für vom Zaun gebrochene Essens-Revolutionen bekannt. Mit der wissenschaftlichen Recherche für die jetzt veröffentlichten Empfehlungen begann eine Arbeitsgruppe immerhin schon 2016. Eher pragmatisch ist auch, dass sich die neuen Regeln nicht zuletzt an gängigen Verzehrsgewohnheiten der Deutschen orientieren – und daher auch weiterhin tierische Lebensmittel wie Fleisch oder Milchprodukte enthalten – wenn auch weniger als bisher.
"Wir müssen die Bevölkerung mitnehmen: Natürlich kann man mit Null Gramm Fleisch pro Woche besonders nachhaltig leben, aber es wollen und werden nicht alle Menschen vegan leben", erklärt Antje Gahl.
Zumindest einen Hauch Revolution bedeutet die Fleisch-Reduzierung dann aber doch: Laut Bundesernährungsministerium lag der Pro-Kopf-Verzehr an Fleisch in Deutschland 2022 bei rund 52 Kilo pro Jahr – also etwa einem Kilo pro Woche. Empfohlen wird ab sofort nur noch ein Drittel davon.