Zum Frühstück gibt’s Bratwurst. Schon um kurz vor zehn stehen einige AfDler Schlange vor dem kreisrunden Rost mit den brutzelnden Würsten. Mit Brötchen auf der Hand geht’s rein in die jetzt schon stickige Halle der Messe Magdeburg. Freitagmorgen, halb elf in Deutschland. Die AfD beginnt ihren 14. Bundesparteitag.
Vorne auf dem Podium sitzt der Vorstand, am Pult steht Tino Chrupalla, Eröffnungsrede. Unter und vor ihm sitzen rund 600 Delegierte, viele bekannte Gesichter, Abgeordnete, Länderchefs – und einige Kommunalengagierte, die sich heute noch beschweren werden, dass die Partei langsam zu dem wird, was sie nie sein wollte: Eine Truppe, geführt von Funktionären, Karrieristen, solchen, die "nie einen vernünftigen Beruf ausgeübt haben."
Ganz hinten sitzt die Presse, den Blick aufs Podium teilweise durch ein Podest für die Partei-Kameras versperrt. Die berüchtigte Brandmauer zur AfD, die Friedrich Merz in der vergangenen Woche zumindest für eine Nacht bröckeln ließ – hier wurde sie von der Partei selbst gezogen: Zwei blaue Absperrbänder trennen die Journalistinnen und Journalisten von den Parteimitgliedern, mehr als eine Armlänge plus Mikrofon Abstand.
Chrupalla, der Chef, betont gleich anfangs, man arbeite daran, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen: eigenes AfD-TV, eigener Tik-Tok-Kanal, eigene Talkshow. In einem anderen Saal haben sie schon ihre Werbestände aufgebaut, auch die rechtsextreme "Compact", die auf ihrem neuesten Magazincover mit einer photogeshoppten Alice Weidel im Bikini wirbt. "Der AfD Sommer – auf der blauen Welle ins Kanzleramt."
Wer aber doch noch mit den etablierten Medien reden muss, soll demnächst geschult werden, Alice Weidel baue da gerade ein Kompetenznetzwerk auf, verspricht Chrupalla.
Eigenwillige Interpretation der Zahlen
"Ich bitte um Disziplin, Einigkeit und Harmonie", sagt Chrupalla. Die AfD sei erwachsen geworden, glaubt er. Nach jahrelangen pubertären Streitigkeiten sollen die Mitglieder in den nächsten Tagen geeint auftreten, versöhnt. Die AfD steht in Umfragen bei rund 20 Prozent. Chrupalla erklärt sie zur stärksten Partei Deutschlands, eine sehr eigenwillige Interpretation der Zahlen. Er mahnt, diesen Erfolg jetzt nicht aus Spiel zu setzen. "Einig, einig, einig" wolle man sein. Er wiederholt es noch einige Male an diesem Tag, wie ein Mantra, wie eine Mahnung an einen gerade volljährigen Sohn, sich nun auch wirklich zusammenzureißen.
Erst im letzten Jahr brachen sie nach erbittertem Streit um eine Europaresolution ihren eigenen Parteitag ab. Das soll diesmal nach Möglichkeit nicht passieren. Wäre auch peinlich. Man kann nicht das Land regieren wollen, und schon bei der Parteitagsorganisation scheitern. Das haben Chrupalla und Weidel scheinbar begriffen.
Dabei ist das Thema des Parteitages kompliziert: Es geht wieder um Europa. Die AfD-Spitze will sich auf das ihr sonst so verhasste "bürokratische Brüssel" zubewegen: 2021 zog man noch mit dem Ruf nach einem Austritt Deutschlands aus der EU in den Wahlkampf. Heute soll abgestimmt werden, ob man der Parteienfamilie "Identität und Demokratie" beitritt, dem Dachverband der rechtsautoritären Kräfte Europas, kurz: ID.
"Geil, wie der Chrupalla den Meuthen fertiggemacht hat."
Die EU-Politik der AfD sei lange der Meuthen-Ära verhaftet gewesen, sagt Chrupalla in Anspielung auf den früheren Parteichef Jörg Meuthen. Der ist im Winter 2022 aus der Partei ausgetreten und hatte der AfD vorgeworfen, teilweise "nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" zu stehen. Jetzt gilt er vielen als Verräter.
"Geil, wie der Chrupalla den Meuthen fertiggemacht hat", sagt draußen ein Delegierter im blauen Anzug und beißt in sein Würstchen. Es gibt keine feste Mittagspause, deswegen verlassen viele schon nach den Begrüßungsreden den Saal Richtung Fressstände.
Andere gehen ganz raus, in Richtung Stadt. Dort, wo der Wurstgeruch nachlässt, liegt ein Lied in der Luft. "Bella Ciao" singen die "Omas gegen Rechts". Der AfD-Parteitag mobilisiert auch die Gegner, Magdeburg soll an diesem Wochenende ein Hotspot des Protests werden. Aus ganz Deutschland wollen die Demonstrierenden anreisen.
Aber mehr als zweihundert sind es am Freitag nicht.
Ein paar junge Magdeburgerinnen haben sich dazugestellt. Katja ist Studentin und hier aufgewachsen. Die AfD fühle sich im Osten sicher, sagt sie. Leider. Daher finde der Parteitag in ihrer Heimatstadt statt. Sie wolle mit ihrem Protest zeigen, dass es im Osten auch starke Gegenstimmen gebe. Sie weist auf die Autos, die aufs Parteitagsgelände fahren: Viele aus der AfD-Spitze seien aus dem Westen.
Von wegen Ostproblem. Stimmt doch nicht, die Darstellung. So sieht es Katja.
Von Hundekrawatten und Tweed-Jacketts
Wieder auf dem Parteitagsgelände, bei den Rauchern: Nicht nur dunkel- bis hellblaue Anzüge stehen hier herum und rauchen, auch den Typ Gauland-Hundekrawatte gibt es noch, dazu passendes Tweed-Jackett, wie Prinz Reichsbürger-Reuß bei seiner Festnahme. Darüber trägt man stolz graue Haare oder Glatze, offenliegende oder durch Bart halbverdeckte Schmisse.
Die Frauen fallen besonders auf, nicht nur, weil sie so wenige sind: Stöckelschuhe und glitzernde Strumpfhosen, knallbunte Kleider, Blusen mit AfD-Musterdruck. Sie seien mehr geworden, freuen sich zwei Damen auf der Toilette. Und doch, es ist gerade noch so, dass man hier nicht anstehen muss. Drüben bei den Männern drängeln sie sich vor den Waschbecken.
"Schau mal, unser Lieblingsperser."
Draußen, bei den Rauchern, kann man manche Unterhaltungen nur schwer überhören.
"Schau mal, unser Lieblingsperser. Auch so ein Ausländer", sagt ein Parteitagsbesucher zum anderen.
Der Angesprochene kommt herüber. Er kandidiert im Westen gerade als Bürgermeister, manche kennen ihn aber auch hier in Magdeburg.
"Wo hast du deinen Teppich gelassen?", fragt einer der Umstehenden.
Alle lachen.
"Ich liebe diese Klischeewitze", sagt der Kandidat.
Dann gehen sie wieder rein, es wird bald zur ID-Partei abgestimmt. Die wichtigste Entscheidung des Tages.
Chrupallas zweites Mantra, das heute auch von anderen wiederholt wird, lautet: ein Europa der Vaterländer. Die EU soll von innen heraus bekämpft werden. Gemeinsam mit den anderen rechten Parteien Europas möchte man Brüssel entmachten und sich möglichst wenig für die anderen interessieren – oder wie Chrupalla es sagt: Sich nicht einmischen. Das wirft er vor allem Annalena Baerbock vor, unterstellt den Grünen subtil, den russischen Angriff provoziert zu haben. "Ich fordere Respekt für die Ukraine genauso wie Respekt für Russland", sagt Chrupalla und: "Europa – wir kommen, um Deutschland zu retten."
Nicht alle auf diesem Parteitag sehen das so. Mit dem Eintritt in die ID-Partei würde die Partei ihre Ideale verraten, sagt einer während der Aussprache. "Wir wollen nicht unsere Seele für Brüssel verkaufen", meint ein anderer. Die AfD sei eine Partei für Deutsche, nicht für Europäer. Es gibt Applaus für die Kritiker. Am Ende aber stimmt die Mehrheit für den Beitritt in die ID-Partei. Aufatmen beim Vorstand.
Jetzt wird es bei der AfD richtig rechts
Wäre ja auch peinlich, schließlich hat man für 16 Uhr die künftigen Verbündeten geladen: Die "Ausländischen Ehrengäste" von rechtsextremen Parteien aus Portugal etwa, oder Bulgarien. Wieder sind einzelne Delegierte skeptisch: "Wir sind eine deutsche Partei. Wir brauchen keine Grußworte aus dem Ausland für unsere Entscheidungsfindung", sagt einer schon zu Anfang.
Die Redebeiträge begeistern sie dann aber doch. Der Chef der rechtsextremen "Wiedergeburt" in Bulgarien, Kostadin Kostadinow, spricht aus, was sich viele hier vor laufenden Kameras noch nicht trauen: Deutschland sei seit 1000 Jahren der Grundpfeiler Europas. "Im letzten Jahrhundert waren wir im Krieg zweimal verbunden. Und jetzt sind wir verbunden in Friedenszeiten." Es sei höchste Zeit, dass Deutschland wieder seine Rolle als Großmacht in Europa und der Welt wahrnehme. Applaus für jede einzelne seiner geschichtsblinden Aussagen.
Nach der Rede steht fast der gesamte Parteitag. An einem solchen Europa wollen sie dann doch alle mitwirken.
Der erste Tag in Magdeburg hat Chrupalla recht gegeben: Die Meuthen-Ära ist vorbei. Der moderate Flügel ist weggebrochen, man steht vereint rechts. Man nähert sich der EU an, um sie von innen zu entkernen. Man versöhnt sich, um die radikalen Forderungen aus einer Machtposition durchzusetzen. Die AfD liegt bundesweit bei über 20 Prozent. Und sie ist gefährlicher denn je.
"Anscheinend hat niemand aus der Geschichte gelernt."
Nochmal raus, zu den Protestierenden, zu Katja, der Studentin. Dass die AfD zurzeit so stark sei, mache ihr große Sorgen, sagt sie. "Anscheinend hat niemand aus der Geschichte gelernt." Alles, was drinnen gesagt werde, sei menschenfeindlich, da ist sich Katja sicher. Ihr graut es auch vor den neuen rechten Bündnissen, die gerade in der Messe Magdeburg geschlossen werden, vor einem Erstarken der Rechtsextremen in Europa.
Am Samstag wolle sie mit noch viel mehr Leuten dagegen auf die Straßen ziehen. Eine große Demo ist geplant. Sie sagt: "Es ist nie zu spät. Hoffe ich auf jeden Fall."