Kanzlerin Angela Merkel will an diesem Montag mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Wege aus dem Streit über den Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei suchen. Zugleich dürfte sie bei dem Treffen in Istanbul den Beschluss des türkischen Parlaments ansprechen, gut einem Viertel der Abgeordneten die Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung abzuerkennen.
Merkel kündigte an, über "alle wichtigen Fragen" zu reden. Über die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei äußerte sich die Kanzlerin in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" besorgt. Merkel machte aber deutlich, dass sie dennoch auf die Umsetzung des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei baut.Anlass von Merkels Reise ist der erste UN-Nothilfegipfel in Istanbul, der am Montagmorgen beginnt. Das Augenmerk liegt aber auf ihrem Treffen mit Erdogan am Nachmittag. Die möglichen Konfliktpunkte - und wie wahrscheinlich es ist, dass sie angesprochen werden:
Flüchtlingspakt
Erdogan hat indirekt gedroht, den Flüchtlingspakt zu kippen. Hintergrund ist eine EU-Forderung, die Anti-Terror-Gesetze der Türkei zu reformieren, damit sie nicht politisch missbraucht werden. Ohne Reform will die EU die Visumpflicht für Türken nicht aufheben. Merkel will wissen, wie Erdogan zu dem Thema steht.
Parlament
Auf Betreiben Erdogans hat das Parlament beschlossen, Abgeordneten die Immunität zu entziehen. Betroffen ist vor allem die pro-kurdische HDP, der Erdogan Terrorvorwürfe macht. Parlamentariern droht jetzt Strafverfolgung. Merkel hat sich darüber öffentlich sehr besorgt gezeigt - sie dürfte das Thema nicht aussparen.Pressefreiheit
Kürzlich wurden zwei kritische Journalisten der Zeitung "Cumhuriyet" zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Andere Medien wurden auf Regierungskurs gezwungen. Erdogan meint dennoch, türkische Medien seien frei. Merkel hat sich schon am Vorabend mit Journalisten getroffen - das Thema Meinungsfreiheit ist ihr wichtig.
Armenier
Am 2. Juni will der Bundestag eine Resolution beschließen, mit der die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor gut 100 Jahren als "Völkermord" eingestuft werden. Die Türkei lehnt das strikt ab. Unklar ist, ob der Punkt jetzt schon zum Thema wird. Neuer Streit mit Ankara ist aber auf jeden Fall programmiert.
Böhmermann-Affäre
Erdogan hat sich öffentlich nicht über das Schmähgedicht des ZDF-Moderators Jan Böhmermann geäußert, aber dagegen geklagt. Merkel nannte ihre Äußerung, Böhmermanns Gedicht sei "bewusst verletzend", später einen Fehler. Von sich aus dürfte Merkel diesen Punkt nicht ansprechen, sie sieht die Justiz am Zuge.