Ararat Noahs Berg im Land der Kurden

Sie wollten den sagenumwobenen Berg Ararat im Osten der Türkei besteigen, stattdessen wurden drei Deutsche von der kurdischen PKK entführt. Jörn Klare, der den Aufstieg selbst schon gewagt hat, berichtet für stern.de aus einer Region, in der sich Mythen, blutige Kriege und Trostlosgikeit mischen.

Die Türken nennen ihn Ağrı Dağı - "Schmerzensberg", die Armenier Masis - "Mutter der Berge", die Perser Kûh-i Nuh - der "Berg des Noah" und die Kurden sagen Çiyayê Agirî - "Feuerberg". Im Rest der Welt heißt er Ararat, abgeleitet von Urartu, dem ersten Königreich der Region. Er ist ein alleinstehender, 5137 Meter hoher Koloss, ein ruhender Vulkan im hintersten Osten der Türkei, unweit der armenischen und iranischen Grenze. Seine vielen Namen verweisen auf seine vielen Mythen und Legenden. Die Rundsicht vom mit ewigem Schnee bedeckten Gipfel reicht 270 km weit bis hin zum Kaspischen - und zum Schwarzen Meer. Auf zahlreichen alten Landkarten ist er sogar der Mittelpunkt der Welt. Bereits 1829 stand mit Friedrich Parrot, einem deutschen Wissenschaftler in russischen Diensten, erstmals ein Mensch auf dem Gipfel des Ararat.

Besatzer im eigenen Land

Die Ebene zu seinen Füßen im Süden ist trocken und karg. Das meiste Land und auch die kleinen Dörfer mit ihren armseligen und schmutzigen Hütten befinden sich im Besitz weniger Familien. Die mittelalterlichen, feudalen Strukturen sind längst nicht überwunden. Das wilde Kurdistan ist hier vor allem ein trostloses Kurdistan.

Am Rand der Ebene liegt Doðubayazýt mit gut 100.000 Einwohnern. Eine staubige Grenzstadt, die ein wenig vom Tourismus, vor allem aber vom - vorwiegend illegalen - Handel lebt. Das größte und modernste Hotel soll dem örtlichen Schmugglerkönig gehören. Zur Ware zählen billige Konsumgüter aus dem Iran, aber auch Drogen sowie Menschen, die aus dem Iran, Afghanistan, Pakistan und anderen asiatischen Ländern nach Europa wollen.

Die Tausenden türkischen Soldaten in und um Doðubayazýt interessieren sich nur wenig für den gesetzeswidrigen Handel. Sie sind Besatzer im eigenen Land und wurden hier mit ihren Panzern - auch aus deutscher Fabrikation - stationiert, um den Machtanspruch des türkischen Staates zu demonstrieren. Ihr Gegner ist die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans. Seit 1984 kämpft die militante Untergrundorganisation für eine Autonomie im Osten und Südosten der Türkei.

Regiert wird mit harter Hand oder besser Faust. Wer sich etwa öffentlich zum inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan bekennt, landet für viele Jahre im Gefängnis.

Mythos Ararat

Über all dem thront unbeeindruckt der Ararat. Die stumpfe Pyramide, ist ein Anziehungspunkt für Bergsteiger aus aller Welt. Ein entscheidender Grund dafür ist die Geschichte von Noahs Arche, ein Schiff gebaut, um das Leben der Welt zu retten. Schon der Gilgamesch-Epos berichtet davon, das erste Buch Moses - Da gedachte Gott an Noah und . . . am siebzehnten Tag des siebenten Monats ließ sich die Arche nieder auf das Gebirge Ararat. - und auch der Koran. In dem landet die Arche allerdings auf dem Berg Cudi, 320 km weiter südwestlich und ebenfalls in der heutigen Türkei.

Immer wieder hat es vermeintliche Beweise für die Landung der Arche am Ararat gegeben. Keiner davon konnte wissenschaftlichen Untersuchungen standhalten. Das betrifft auch die "offizielle" Fundstelle in einer Hügelkette etwa 20 km vom Ararat entfernt. Eine Gesteinsformation, deren Form an einen Schimpfsrumpf erinnert. Eine verspielte Laune der Natur, dem ein rührend naives "Museum" gewidmet wurde. Die Erwähnung des Berges im alten Testament beruht wohl auf einem Übersetzungsfehler. Eine Erkenntnis, die bis zum heutigen Tag nur wenig am Mythos des Ararat kratzen konnte.

Doch keiner der sich angezogen fühlt, kann gleich losgehen. Von 1993 bis 2001 war der Berg wegen der immer wieder aufbrechenden Kämpfe zwischen Türken und Kurden gesperrt. Und auch heute noch bestimmt letztlich das Militär, wer hinauf darf. Auf die Genehmigung wartet man Wochen oder gar Monate. Und wer den ersehnten Stempel endlich in seinem Pass hat, muss sich einer Gruppe mit Rundumbetreuung anschließen. Viele auch renommierte Veranstalter bieten dazu ihre Dienste an. Dafür galt der Berg bis Dienstag als sicher. Vereinzelte Übergriffe auf Touristen gab es zuletzt in den neunziger Jahren in anderen Teilen Ostanatoliens.

Die Besteigung dauert in der Regel mehrere Tage und beginnt mit einem etwa vierstündigen Marsch zum Basislager auf knapp 3200 Meter Höhe. Ein schmaler Pfad führt durch Gestrüpp und Blumenwiesen. Schattenspendende Bäume sucht man vergebens. 1993 brannte das Militär die Wälder nieder, um die möglicherweise versteckten kurdischen Kämpfer besser ins Visier nehmen zu können.

Wundmal der Armenier

Schon 1926 kam es hier zu ersten Schusswechseln zwischen türkischen Soldaten und kurdischen Stammesverbänden. Wenige Jahre später folgten der große Ararataufstand und die Ausrufung der Araratrepublik als Kernzelle eines unabhängigen Kurdistans. Die Übermacht des türkischen Militärs setzte dem ein fürchterliches Ende. Hunderte Dörfer wurden vernichtet, Tausende getötet, Zigtausende vertrieben. Eine Geschichte, die sich in immer wiederkehrenden Schüben bis heute wiederholt. Es heißt, dass zahlreiche Hänge des Ararat vermint sind.

Fast noch schlimmer als den Kurden erging es den christlichen Armeniern. Auch ihnen ist der Ararat schmerzende Wunde ihrer kulturellen Identität und des nationalen Bewusstseins. Sie leben am längsten in der Region. Zwischen 1915 und 1916 starben schätzungsweise 1,5 Millionen von ihnen durch einen bis dahin beispiellosen, von den Türken verübten Völkermord. 1921 wurde die Heimat der Armenier zwischen Sowjets und Türken aufgeteilt. Letztere erhielten dabei den Ararat.

Diplomatische Beziehungen zwischen der Türkei und der Unabhängige Republik Armenien gibt es bis heute nicht. Die Grenze ist geschlossen. Und auch wenn die Armenier ihren heiligen Berg im Mittelpunkt ihres Staatswappen tragen und den Ararat von der Hauptstadt Eriwan aus gut sehen können, bleibt er für sie unerreichbar. Armenischen Gipfelaspiranten wird eine Besteigung in der Regel verweigert.

Sich der traurigen Geschichte bewusst, macht das Basislager auf knapp 3200 Meter Höhe einen fast schon seltsam friedlichen Eindruck. Eine Wiese, ein kleiner Bach, dazu eine grandiose Aussicht über die Araratebene und in Sichtweite campieren meist Nomadenfamilien mit ihren Ziegen und Schafen.

5000-Meter-Marke im Vorbeigehen geknackt

Der zweite Tag einer klassischen Araratbesteigung dient der Höhenanpassung. Im Zickzack geht es die Serpentinen hinauf ins Hochlager. Aus grünen, noch freundlichen Wiesen wird graues, unfreundliches Geröll.

Auf etwa 4200 Metern quetschen sich unterhalb der ersten Schneefelder bunte Zelte zwischen mächtigen Steinplatten. Von hier aus ist der erste Teil der Gipfelroute gut zu sehen. Probleme sind nicht zu erkennen. Der Ararat ist ein leichter -, ja fast ein Wanderberg. Die Herausforderungen liegen in der zu bewältigenden Höhe und dem mitunter heiklen Wetter, nicht in technischen Schwierigkeiten. Die für viele Alpinisten magische 5000-Meter-Marke lässt sich hier sozusagen im Vorübergehenden knacken.

Der Gipfelaufstieg beginnt meist um vier Uhr in der Früh, dauert vier bis fünf Stunden, wobei auf dem letzten Stück in der Regel Steigeisen genutzt werden müssen. Wer es geschafft hat, steigt meist noch am selben Tag voll mit Glückshormonen ins Basislager ab - dem scheinbar friedlichen Fleckchen Erde, an dem am Dienstagabend drei deutsche Bergsteiger entführt wurden. Türkische Behörden machen die kurdische PKK für die Tat verantwortlich. Ein Bekennerschreiben fehlt. Das deutsche Generalkonsulat in Istanbul reagierte mit einer Reisewarnung für den Osten der Türkei.

Jörn Klare

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos

Mehr zum Thema