Der Wahlausgang in Spanien hat Washington schockiert. Die meisten US-Blätter kommentierten wie die "New York Times": die Wahl sei ein "Schlag gegen US-Präsident George W. Bush". Es war "eine große Niederlage für uns. El Kaida hat einen Regimewechsel besser bewirkt als wir in Bagdad", wurden Stimmen aus dem Pentagon zitiert. Die konservative "Washington Times" sprach von einem "Sieg des Terrors ... mit weit reichenden Auswirkungen".
Der Nahostexperte Anthony Cordesman (Washington) meinte, Osama Bin-Laden und El Kaida stünden im Kampf gegen den Terrorismus derzeit auf der Gewinnerseite. Dabei müssten die Täter von Madrid gar nicht direkt mit El Kaida verbunden sein. CIA-Chef George Tenet hatte vor kurzem auf die Gefahr von unabhängig agierenden, regional organisierten Terrorgruppen hingewiesen. "Wenn die El-Kaida-Ideologie gewinnt, ist es sogar unerheblich, wenn das Netzwerk selbst zerschlagen werden würde", so Cordesman.
Drohende Terroranschläge vor Wahlen im Westen
US-Geheimdienstexperten malen laut Berichten der US-Medien drohende Terroranschläge vor Wahlen im Westen an die Wand - am 2. November ist in den USA Präsidentenwahl, 2005 wird in Großbritannien gewählt. Hinter den Kulissen der offiziellen Politik wird in Washington von einem drohenden Desaster für die Allianz und von einem für die USA bitteren Erfolg von El Kaida gesprochen. "Der Terrorismus testet nun die Einheit und die Entschlossenheit der zivilisierten Welt", meinte Vizepräsident Dick Cheney düster.
Der Wahlsieg der Sozialisten und Irakkriegsgegner in Spanien war nach Ansicht des renommierten konservativen Publizisten Robert Kagan "ein klarer Akt von Beschwichtigungspolitik" (Appeasement). Die Spanier mögen vielleicht auch die fragwürdige Informationspolitik der konservativen Regierung bestraft haben, sicher sei aber auch das Kalkül im Spiel gewesen, mit einer neuen Politik ließen sich die Terroristen besänftigen. "Die spanischen Wähler haben sich von einer Bande von Terroristen den Ausgang der Wahl diktieren lassen", wetterte der Rüstungsexperte Edward Luttwak in der "New York Times".
Vergleich mit Appeasement-Politik gegen Hitler
Kagan zog wie andere Kommentatoren auch einen Vergleich zwischen der Bedrohung der Welt durch Hitler Ende der 30er Jahre (und der damaligen Appeasement-Politik des Westens) und der derzeitigen Herausfordrung durch El Kaida. Der frühere Berater des ehemaligen US- Präsidenten Ronald Reagan, Doug Bandow, sagte, El Kaida könnte zu dem Schluss kommen, dass es die Macht habe, US-freundliche Regierungen zu stürzen.
Die "Washington Post" brachte die Befürchtungen der Regierung auf den Punkt: die Vorgänge in Spanien würden die Extremisten überzeugen, "dass die Politik des Massenmords einen brillanten Erfolg zeitigt". El Kaida wird nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Nile Gardner (Heritage-Stiftung) auch "künftig wieder diese Taktik anwenden. Eine extrem gefährliche Entwicklung hat eingesetzt".
Westliche Allianz am Ende?
Kagan sieht die westliche Allianz nach der Ereignissen in Spanien "am Rande des Abgrunds". Spanien habe "genauso reagiert, wie es sich El Kaida gewünscht hat". Die große Gefahr sei nun, dass auch andere Länder in Europa glauben könnten, mit einer anderen Politik könne man Terrorangriffe vermeiden. Er kritisierte scharf EU- Kommissionspräsident Romano Prodi, der gemeint hatte, dass Gewalt allein keine Antwort auf den Terrorismus sein könne und der Terrorismus stärker sei als vor einem Jahr. Damit habe Prodi die Logik El Kaidas akzeptiert, so Kagan.
In Washington herrscht in den "think-tanks", den politischen "Denkfabriken" weitgehend Einigkeit, dass El Kaida einen Sieg errungen hat. Die "Washington Times" verwies auf eine islamische Web- Site, die El Kaida nahe stehe, in der schon am 10. Dezember beschrieben worden sei, dass man die Wahl mit Terror beeinflussen müsse. "Spaniens Regierung wird nicht mehr als zwei oder drei Schläge überstehen, bevor sie den Rückzug aus dem Irak beschließt", hieß es laut der Zeitung bei "Global Islamic Media". Und dann gerieten auch die Regierungen in Rom und London unter starken öffentlichen Druck.