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Verhafteter belarussischer Journalist Seit der Jugend Feind des Lukaschenko-Regimes: Wer ist Roman Protassewitsch?

Blogger Protassewitsch meldet sich - Opposition besorgt
Sehen Sie im Video: Belarus – Inhaftierter Blogger Protassewitsch meldet sich zu Wort.




Einen Tag nach der erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs in Belarus hat sich der festgenommene Blogger Roman Protassewitsch in einem Video zu Wort gemeldet. Es wurde in einem regierungsnahen Nachrichtenkanal bei Telegram am Montagabend verbreitet. Darin bestätigte der gezeichnete Blogger, dass er im "Untersuchungsgefängnis Nr. 1" in der Hauptstadt Minsk sei. Zu Berichten über einen angeblichen Krankenhausaufenthalt wegen Herzproblemen sagte er, dass er keine gesundheitlichen Probleme habe, auch nicht mit dem Herzen und anderen Organen. Zudem sei er nach gesetzeskonform behandelt worden, und arbeite mit den Ermittlern zusammen und wolle weiter Geständnisse ablegen. Nach Einschätzung der Opposition ist das Video unter Druck zustande gekommen. "Roman hat nie freiwillig gesagt, was er jetzt in die Kamera gesagt hat", hieß es bei Telegram. Er sehe zudem "ziemlich gefoltert" aus. "Sein Gesicht ist geschminkt, Spuren von Schlägen sind sichtbar, seine Nase ist gebrochen." Behörden der autoritär regierten Republik hatten am Sonntag ein Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Landung gezwungen. An Bord der Maschine war nach Angaben von Menschenrechtlern auch der von Lukaschenko international gesuchte Blogger. Einen Tag nach der erzwungenen Landung bestätigte das belarussische Innenministerium, dass der Blogger festgenommen wurde.

Roman Protassewitsch erfuhr schon als Jugendlicher in Belarus Gewalt bei einem Polizeiverhör. Nun hat der belarussische Machthaber Lukaschenko sogar ein Flugzeug kapern lassen, um ihn zu inhaftieren.

Der Mann, für dessen Festnahme der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko einen Kampfjet losschickte, ist gerade einmal 26 Jahre alt. Doch der Journalist Roman Protassewitsch hat sich schon im Teenageralter als regierungskritischer Aktivist engagiert. Schon damals bekam er die Härte des Regimes zu spüren.

Mit 17 Jahren betrieb Protassewitsch im russischen Online-Netzwerk Vkontakte zwei Lukaschenko-kritische Gruppen und wurde deshalb für mehrere Stunden festgenommen und misshandelt. "Sie haben mir in Niere und Leber getreten", berichtete er damals. "Ich hatte danach drei Tage lang Blut im Urin. Sie haben mir gedroht, mir ungelöste Mordfälle zur Last zu legen."

Während der Verhöre verlangten die Beamten des belarussischen Geheimdienstes, der wie zu Sowjetzeiten auch heute noch KGB heißt, die Passwörter zu den Online-Gruppen. Eine dieser Gruppen hieß: "Wir haben diesen Lukaschenko satt". Und Protassewitsch kennt nur diesen Präsidenten – denn Lukaschenko ist seit 1994 in Belarus an der Macht, ein Jahr bevor Protassewitsch geboren wurde.

Wichtige Rolle bei Präsidentschaftswahl

Protassewitsch blieb vorerst in seiner Heimat, arbeitete als Fotograf für belarussische Medien und erhielt 2017-2018 ein Stipendium für aufstrebende unabhängige Journalisten. 2019 ging er nach Polen und Litauen ins Exil, kurz nachdem er angefangen hatte, für den einflussreichen oppositionellen Telegram-Kanal Nexta zu arbeiten. Dort wurde er zwischenzeitlich auch Chefredakteur.

Für Nexta berichtete der 26-Jährige über die Präsidentschaftswahl im vergangenen August, bei der die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja Lukaschenko herausforderte. Als sich der Amtsinhaber nach dem von Betrugsvorwürfen überschatteten Urnengang zum Sieger erklärte, kam es zu beispiellosen Massenprotesten. 

Dem Kanal Nexta, der derzeit mehr als 1,2 Millionen Leser hat, kam dabei eine wichtige Rolle zu: Er versorgte seine Abonnenten mit Terminen und Uhrzeiten der Proteste.

Drohende Todesstrafe

Lukaschenko ließ im November einen Haftbefehl gegen Protassewitsch ausstellen. Durch seine Arbeit für Nexta sei er in eine "terroristische Aktivität verwickelt", lautete die Begründung. Protassewitsch, der inzwischen Redakteur beim Kanal BGM mit 260.000 Abonnenten ist, beschreibt sich auf seinem Twitter-Profil scherzhaft als "erster Terror-Journalist der Geschichte".

Terrorvorwürfe können in Belarus jedoch die Todesstrafe nach sich ziehen – und die wird in dem osteuropäischen Land noch immer vollstreckt. Das muss Protassewitsch auch bewusst geworden sein, als er am Sonntag bemerkte, dass die Ryanair-Maschine von Athen nach Vilnius seinetwegen nach Minsk umgeleitet wurde. Passagiere berichteten, er habe gesagt, dass ihm die Todesstrafe drohe.

Geständnis unter Zwang

Protassewitsch wird auch vorgeworfen, Massenproteste ausgelöst zu haben, worauf in Belarus bis zu 15 Jahre Haft stehen. Diesen Vorwurf scheint er in einem vom belarussischen Staatsfernsehen veröffentlichten Video zu gestehen. "Ich werde weiter mit den Ermittlern zusammenarbeiten und gestehe, Massenproteste in der Stadt Minsk organisiert zu haben", sagt der 26-Jährige darin.

Doch das Video ist sehr wahrscheinlich unter Zwang und Gewalt entstanden. "Es ist eindeutig, dass er körperlich verletzt wurde, man kann in seinem Gesicht die Spuren eines Schlags sehen", sagt sein Vater Dmitri Protassewitsch, der in Polen lebt, der Nachrichtenagentur AFP. Seinem Sohn schienen Zähne zu fehlen. "Er sprach auf eine Art, die für ihn ungewöhnlich ist", ergänzt er. "Es ist klar, dass er etwas vorgelesen hat, das er vorlesen sollte."

Dmitri Protassewitsch hat das letzte Mal am Samstag von seinem Sohn gehört, einen Tag vor der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine in Minsk. "Wir wissen immer noch nicht, wo er ist, in welchem Zustand er ist, wie er sich fühlt", beklagt der Vater.

luh AFP

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