In Nigeria hat er Frauen getroffen, denen von Islamisten der Arm abgehackt wurde. In Somalia einen Mann, der sich weigerte, im Auftrag der Al-Shabaab-Milizen Morde zu begehen. Die Reportagen des französischen Publizisten und Philosophen Bernard-Henri Lévy, die der stern im Rahmen seiner Aktion #weileswichtigist veröffentlicht, erzählen von Schicksalsschlägen, gescheiterten Träumen, von Konflikten in allen Winkeln der Welt.
Warum verschlägt es Lévy seit früher Jugend immer wieder an die Fronten und Krisengebiete?
"Tikun Olam", zitiert der 72-Jährige ein altes jüdisches Sprichwort im Interview mit dem stern in Paris, es gehe ihm um die "Reparatur der Welt". Einer Welt, die einer zerbrochenen Vase gleiche, deren Teile wieder zusammengesetzt werden müssten. "Nach 50 Jahren habe ich die Illusion verloren, die Welt vom Scheitel bis zur Sohle, von Nacht zu Tag verändern zu können", sagt er. Doch seine Motivation ist geblieben: "Ich würde die Welt gern ein kleines bisschen besser zurücklassen. Ein kleines bisschen."
Lévy ist ein Überzeugungstäter, der den Erkenntnisgewinn im Geschehen sucht – an Orten, die für uns im Verborgenen liegen, wie er sagt, weil wir zu wenig über sie wissen. "Mit diesen Reportagen habe ich versucht, diese Wissenslücke zu schließen." Denn, auch das sagt Lévy: "Manchmal wissen wir Dinge, aber wollen sie nicht sehen." Schonungslos stellt er diese ins Rampenlicht seiner Texte, skizziert den Verlauf von Konfliktlinien – wo er sie sieht. Immer meinungsstark, oftmals polarisierend. In Frankreich wird er dafür gefeiert, mitunter scharf kritisiert.
Was hat ihn bei diesen Reportagen, die zum Teil im Schatten der Corona-Pandemie entstanden sind, tief beeindruckt? "Es hat keine bestimmte Szene gegeben", sagt Lévy, "es war insgesamt eine lange Reise in tiefe Abgründe." Auf jede dieser Reisen, die ihn auch nach Afghanistan oder Bangladesch geführt haben, habe es Momente gegeben, die von tiefen Emotionen geprägt gewesen seien. "Von tiefer Trauer, zum Teil von Freude, von Dunkelheit, Brüderlichkeit und Hoffnungsschimmern."
Viele der Konflikte, die er in seinen Reportagen aufdröselt, beobachtet Lévy seit Jahrzehnten. Warum gibt es diese Krisen immer noch? Ist die größte Krise der Menschheit etwa, dass sie nicht aus ihren Krisen lernen kann? Die Antwort sehen Sie in unserem Video-Interview.