Flechette-Artillerie Zivilisten in Butscha offenbar durch russische Metallpfeile aus Granaten getötet

Eine Frau trauert neben dem Grab ihres Sohnes in Butscha.
Eine Frau trauert neben dem Grab ihres Sohnes in Butscha. Mehr als 400 Menschen sollen während der russischen Besatzung des Kiewer Vororts getötet worden sein.
© Emilio Morenatti / AP / DPA
Die Gräueltaten von Butscha stehen sinnbildlich für die Brutalität des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Neuen Untersuchungen zufolge sollen dort Dutzende Zivilisten durch kleine, in Artilleriegeschossen enthaltene Metallpfeile getötet worden sein.

Die Bilder des verwüsteten Kiewer Vororts Butscha gingen um die Welt. Mehr als 400 Zivilisten sollen im Zuge der russischen Besatzung getötet worden sein. Wie der britische "Guardian" nun unter Berufung auf lokale Mediziner berichtet, sind offenbar Dutzende Menschen durch winzige Metallpfeile aus russischen Granaten getötet worden. Die Verwendung dieser sogenannten "Flechette"-Geschosse gilt in der modernen Kriegsführung ob ihrer Brutalität als höchst umstritten.

8000 Metallpfeile in einem Geschoss

Auf die Metallpfeile, so die Zeitung, sind Pathologen und Gerichtsmediziner gestoßen, als sie in Butscha Leichen aus Massengräbern obduzierten. Die spitzen Geschosse hätten in den Köpfen und in der Brust mehrere Männer und Frauen gesteckt.

"Wir haben mehrere wirklich dünne, nagelähnliche Objekte in den Körpern von Männern und Frauen gefunden, ebenso wie andere meiner Kollegen in der Region", sagte der ukrainische Gerichtsmediziner Vladyslav Pirovskyi dem Guardian. Unabhängige Waffenexperten hätten bestätigt, dass es sich bei den drei bis vier Zentimeter langen Pfeilen um Flechettes handelt.

Bis zu 8000 solcher Geschosse sollen in einer einzigen Panzer- und Feldgeschützgranate enthalten sein. Nach dem Abfeuern des Projektils verteilten sich die Flechettes in einem kegelförmigen Bereich von circa 300 Metern Breite und 100 Metern Länge. Träfe ein solcher Metallpfeil einen Menschen, könne er in zwei Teile zerbrechen. Die Spitze verböge sich zu einem Haken, der hintere Teil des Pfeils verursache eine weitere Wunde.   

Flechettes bereits im Ersten Weltkrieg eingesetzt

Die Recherchen des "Guardian" untermauern damit Zeugenaussagen von Einwohnern aus Butscha, die die "Washington Post" eine Woche zuvor veröffentlicht hatte. Eine Frau sagte der US-Zeitung, sie habe nach einem nächtlichen Beschuss Ende März mehrere Flechtettes gefunden, die sich in ihr Auto gebohrt hätten.

So brutal Flechette-Geschosse auch sind – illegal sind sie nach internationalem Recht nicht. Deren Verwendung in Butscha könne dennoch ein Kriegsverbrechen darstellen, so der "Guardian" weiter. Denn das unpräzise Abfeuern tödlicher Munition in dicht besiedelten Zivilgegenden sei ein Verstoß gegen humanitäres Recht. Menschenrechtsorganisation fordern bereits seit Langem ein Verbot dieses Munitionstyps. "Flechettes sind eine Antipersonenwaffe, die dazu dient, dichte Vegetation zu durchdringen und eine große Anzahl von feindlichen Soldaten zu treffen", zitiert der "Guradian" Amnesty International. "Sie sollten niemals in bebauten zivilen Gebieten eingesetzt werden."

Flechettes seien bereits im Ersten Weltkrieg aus der Luft gegen Infanterieverbände eingesetzt worden, schreibt die britische Zeitung weiter. Auch US-Truppen hätten sich im Vietnamkrieg der tödlichen Geschosse bedient. Amnesty International wirft auch der israelischen Regierung vor, bereits Flechettes im Gazastreifen abgefeuert zu haben.   

Quellen: "Guardian"; "Spiegel"

yks