Umweltkatastrophe in East Palestine Ein 5000-Seelen-Dorf in Ohio wird für Trump zur Wahlkampfbühne – und erhöht den Druck auf Biden

Donald Trump inszeniert sich bei seinem Auftritt in East Palestine, Ohio in Präsidentenmanier als Wohltäter
Donald Trump inszeniert sich bei seinem Auftritt in East Palestine, Ohio als Wohltäter
© Rebecca Droke / AFP
Ein Zugunglück hatte East Palestine landesweit bekannt gemacht. Grund genug für Donald Trump, in dem kleinen Ort in Ohio einen Wahlkampfstopp einzulegen. Seine Botschaft: "Seht her, ich bin hier, der Präsident nicht."

Ob Hurrikane, Massenschießereien oder Zugunglücke: Wenn in den Vereinigten Staaten eine Katastrophe von nationaler Aufmerksamkeit geschieht, lässt sich die Uhr danach stellen, wann in dem Unglücksort der politische Showdown beginnt – besonders zu Wahlkampfzeiten.

So war es, als der verheerende Hurrikan Katrina 2005 die Golfküste heimsuchte und eine politische Debatte über rassistische Diskriminierung im unterschiedlichen Umgang von schwarzen und weißen Opfern entbrannte. Sieben Jahre später wurde infolge des Amoklaufs an der Sandy Hook Grundschule in Connecticut – dem zweitschwersten "School Shooting" in der Geschichte des Landes – die Verschärfung des Waffenrechts zum Top-Thema im politischen Washington.

Nun also East Palestine. Das knapp 5000-Seelen Dorf im Osten des US-Bundesstaates Ohio direkt an der Grenze zu Pennsylvania dürfte den meisten bisher kaum bekannt gewesen sein. Das ändert sich schlagartig, als am 3. Februar ein Güterzug entgleist und große Mengen teils hochgiftiger Chemikalien in die Umwelt geraten. Häuser im Umkreis müssen vorübergehend evakuiert werden. Tagelang hängt eine riesige Rauchwolke über dem Ort (der stern berichtete).

Während die Aufräumarbeiten inzwischen in vollem Gange sind, wird East Palestine von der nächsten giftigen Wolke eingehüllt: Wahlkampf.

Donald Trump zum Wahlkampf-Auftritt nach Zugunglück in Ohio

Knapp drei Wochen nach dem Unglück ist Donald Trump zur Stelle. Umringt von lokalen Politikern und seinem Sohn, Donald Trump Jr., spricht er am Mittwoch in einer Feuerwache vor den versammelten Bürgern und der Presse. "Was diese Gemeinde jetzt braucht, sind keine Ausreden, sondern Antworten und Resultate", fordert der Ex-Präsident mit einem Seitenhieb auf Joe Biden.

Trump gibt an diesem Tag den Wohltäter, jedoch nicht ohne stets zu betonen, wer hier gerade wem hilft. Der 76-Jährige schüttelt Hände und spricht mit Anwohnern, die aus ihren Häusern evakuiert werden mussten. Für die Feuerwehrleute besorgt er in einem nahegelegenen McDonald's Burger und lässt Wasserflaschen – auf denen sein Name steht – verteilen. Obwohl die Behörden Entwarnung gegeben haben, trauen sich bis heute viele nicht aus dem Wasserhahn zu trinken. "Wir sind bei euch geblieben, wir beten für euch und wir werden bei euch bleiben", verspricht Trump. 

Was er damit sagen will: 'Seht her, ich bin hier, der Präsident nicht.'

Er hoffe, dass Biden nach seiner Reise in die Ukraine noch etwas Geld übrig habe, wenn er nach East Palestine komme, sagt Trump. Ein paar Minuten später behauptet er, dass die Regierung dem kleinen Unglücksort erst ihre Aufmerksamkeit schenkt, seitdem er selbst angekündigt hatte, dorthin zu fahren. In Wirklichkeit hatte das Weiße Haus nach der Entgleisung umgehend gehandelt und Beamte der zuständigen Behörden nach East Palestine geschickt.

Doch hier in der Feuerwache trifft Trump mit seinen Sticheleien ins Schwarze. Trent Conaway, der Bürgermeister von East Palestine, bezeichnet die Ukraine-Reise von Präsident Biden als einen Schlag ins Gesicht. "Wir sind ihm egal", sagte Conaway dem Fernsehsender "Fox News". Biden gebe "den Menschen dort drüben Millionen Dollar, nicht uns, ich bin wütend."

Republikaner greifen Biden-Versäumnis dankbar auf

Hand in Hand mit den ausgebliebenen Hilfsgeldern wächst in East Palestine der Frust über die mangelnde Aufmerksamkeit aus Washington. Seit dem 3. Februar hatte sich weder Präsident Biden noch ein anderes wichtiges Mitglied seiner Regierung vor Ort persönlich blicken lassen. Ein Versäumnis, das neben Trump auch von anderen möglichen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2024 dankbar aufgegriffen wurde.

Die frühere UN-Botschafterin Nikki Haley, die erst vergangene Woche ins Rennen eingestiegen war, stellte offen die Frage, ob Biden nicht "bei den Leuten in Ohio" sein sollte. Zuvor hatte sie sich mit Kritik an der Ukraine-Reise des Präsidenten anlässlich des Jahrestags der russischen Invasion zurückgehalten. Ähnlich äußerte sich Ex-Vizepräsident Mike Pence, der ebenfalls mit dem Gedanken einer Kandidatur spielt. Er sei "froh", dass Biden in die Ukraine gegangen sei, "aber er hätte zuerst nach East Palestine gehen sollen", so der Republikaner.

Auch Bidens Verkehrsminister Pete Buttigieg geriet durch seine Abwesenheit in die Schusslinie der Konservativen. "Er ist ein inkompetenter [Mann], der sich ausschließlich auf seine Fantasien über seine politische Zukunft konzentriert und gefeuert werden muss", wetterte Floridas Senator Marco Rubio auf Twitter. Buttigieg, der nun am Donnerstag nach East Palestine reist, gab zu, dass er früher über das Unglück hätte sprechen sollen und versprach, "seine Lektion gelernt zu haben".

Biden verspricht East Palestine: "Wir stehen hinter Euch"

Die Reaktion aus dem Weißen Haus ließ nicht lange auf sich warten. Per Twitter verkündete Präsident Biden am Mittwoch, dass er soeben mit den Verantwortlichen vor Ort – inklusive Ohios Gouverneur Mike DeWine – gesprochen habe, um sich zu versichern, "dass sie alles haben, was sie brauchen". "Ich möchte, dass die betroffenen Einwohner wissen, dass wir hinter ihnen stehen", schrieb er. Zudem teilte er mit, dass seine Regierung die Eisenbahngesellschaft "Norfolk Southern" angewiesen habe, "für die Säuberung und Entsorgung von Gefahrenstoffe zu zahlen".

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In den vergangenen Wochen hatte die Kritik am Krisenmanagement in Ohio zugenommen. Für großen Unmut sorgte die Tatsache, dass die Katastrophenschutzbehörde Fema einen Antrag von Gouverneur DeWine auf Ausschüttung von Hilfsgeldern abgelehnt hatte. Die Biden-Regierung macht hingegen "Norfolk Southern" für das Unglück verantwortlich. Ursache sei ersten Erkenntnissen der Verkehrssicherheitsbehörde zufolge ein überhitztes Radlager einer der Waggons gewesen.

Auf Twitter warb Biden erneut für verstärkte Sicherheitsmaßnahmen im Schienenverkehr und griff dabei auch seinen Vorgänger direkt an: Jahrelang hätten gewählte Beamte – einschließlich der letzten Regierung – die Möglichkeiten Maßnahmen im Schienenverkehr umzusetzen und zu stärken eingeschränkt, twitterte er. East Palestine sei mehr als eine Zugentgleisung oder ein Giftmüllunglück. "Es ist ein jahrelanger Widerstand gegen Sicherheitsmaßnahmen, der sich jetzt rächt."

Kommt er oder kommt er nicht?

Nun da er von seiner Europa-Reise zurück ist, drängt sich die Frage auf, wann Präsident Biden selbst vor Ort nach East Palestine kommt. Um sich ein Bild der Lage zu machen, den betroffenen Anwohnern Trost zu spenden – und um zeigen, dass er die Krise im Griff hat. Die öffentliche Wahrnehmung ist bei solchen Katastrophenfällen so gut wie alles.

Zumal es inzwischen längt nicht nur Republikaner sind, die den Umgang des Präsidenten in East Palestine kritisieren. Der in vielerlei Hinsicht konservative demokratische Senator Joe Manchin nannte es "inakzeptabel", dass zwei Wochen vergangen seien, bis sich ein hochrangiger Regierungsvertreter im Unglücksort sehen lasse.

Fest steht, nach Trumps Auftritt steigt der Druck auf Biden bald nach Ohio zu fliegen. Der Haken für den Präsidenten: Sobald er einen Besuch ankündigt, wird sein Vorgänger dafür Lob beanspruchen.

Quellen: "NY Times", "CNN", "Washington Post", mit DPA