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Schlag 12 - Der Mittagskommentar Eine Notoperation, mehr nicht!

Einigung zwischen Tsipras und der Euro-Gruppe: Europa ist nicht gescheitert, aber gerettet ist es auch nicht
Einigung zwischen Tsipras und der Euro-Gruppe: Europa ist nicht gescheitert, aber gerettet ist es auch nicht
© Orestis Panagiotou/DPA
Womöglich ist der Grexit vermieden. Lange aber kann Europa so nicht mehr weitermachen, sonst scheitert es. Ein Kommentar zur nächtlichen Einigung in Brüssel.
Von Axel Vornbäumen

Ohne Griechenland könne man Europa auch umbenennen, etwa in Horst, schrieb vor kurzem der Journalist Nils Minkmar. Es war die etwas lakonischere Variante von Angela Merkels Dauer-Sinnspruch: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa".  Hinter beidem steckt die Hoffnung, dass sich ein Kontinent bei allen Unterschieden, Unzulänglichkeiten und Unzumutbarkeiten in einer Krisensituation zumal auf etwas besinnt, das größer ist als die Summe der Einzelinteressen.

Nein, man muss Europa noch nicht in Horst umbenennen. Noch ist Zeit erkauft. Aber ob Europa nicht doch auf dem Weg des Scheiterns ist, das ist auch nach dieser denkwürdigen Krisennacht von Brüssel noch längst nicht ausgemacht. Es stimmt, der Grexit, ein Ausstieg Griechenlands aus dem Euro, ist mutmaßlich fürs Erste vermieden. Wobei: Das gilt für heute, ob es für das Ende der Woche gilt, ist längst noch nicht ausgemacht.

Am Leben gehalten durch Finanzspritzen

Ja, der Grexit ist vorerst vermieden. Aber dieses Europa, das die Kanzlerin zu bewahren bemüht ist, wird nun in einer Notoperation zusammengeflickt und am Leben gehalten durch Finanzspritzen in derart absurden Höhen, dass deren Volumen vor ein paar Tagen noch für einen Eklat gesorgt hätten. 82 oder 86 Milliarden Euro werden in den kommenden drei Jahren abermals nötig, um die zusammenbrechende griechische Wirtschaft über Wasser zu halten - und wenn das Hilfspaket am Ende die dreistellige Milliardenhöhe überwindet, dann wird es auch niemanden wundern.

Doch der Preis, den das Griechenland des Alexis Tsipras dafür zahlen muss, übersteigt dieses Maß an Absurdität noch um ein Vielfaches. Es ist, als ob man Griechenlands Premier gezwungen hätte, mit an einem Lenkrad gefesselten Händen eine 180-Grad-Wende zu fahren. In Rekordtempo wird er nun gezwungen sein, Reformgesetze durch das griechische Parlament zu peitschen, die ihm zuvor von seinen Geldgebern bis in den letzten Paragraphen hinein diktiert worden sind. Griechenlands extrem linke Regierung ist gezwungen, einen Treuhandfonds einzurichten, in den bis zu 50 Milliarden Euro Staatsvermögen hineinfließen. Das alles unter Kontrolle jener in Griechenland so verhassten Institutionen, die vor einem halben Jahr noch Troika hießen. Und die nun, nach einem zähen, zum Teil absurd-unwürdigenden Gerangel, mehr Aufsichtsmacht erhalten als je zuvor.

Wer in dieser Situation noch von nationaler Souveränität der Griechen spricht, der hält auch das 1:7 der Brasilianer gegen Deutschland für ein ausgeglichenes Match.

Tsipras größte Niederlage

"Wir haben eine harte Schlacht geschlagen", sagte ein sichtlich mitgenommener Tsipras nach der Nacht seiner größten Niederlage. "Wir stehen vor schwierigen Entscheidungen." Es ist der in der Not geborene Euphemismus eines Politikers, den man in Brüssel auf  Zwergengröße geschrumpft hat. Dass Tsipras sich nun hinstellt und behauptet, er habe mit den 12,5 Milliarden Euro aus dem Privatisierungsprogramm seiner Regierung die Chance, die drohende Rezession in seinem Land zu bekämpfen und die Lasten gerechter zu erteilen, trägt deshalb fast schon tragik-komische Züge.

Nein, Europa ist nicht gescheitert. Aber gerettet ist es auch nicht. In dieser denkwürdigen Nacht von Brüssel hat es sich nicht weiter auf den drohenden Abgrund zubewegt, es hat aber auch keinen entscheidenden Schritt in die andere Richtung gemacht. Die Metapher ist anderweitig verbraucht, aber sie passt auf Europa sehr gut. Wer erwartet hatte, dass es mit der Währungsunion in Europa blühende Landschaften geben werde, der ist eines besseren belehrt worden. Europa versteppt. Und auch in der Nacht von Brüssel war niemand in Sicht, der einen nachhaltigen Bewässerungsplan auf Lager gehabt hätte.

Axel Vornbäumen mag es eigentlich nicht, wenn Politik nur nach dem Schema Sieg oder Niederlage bewertet wird. Bei der Beurteilung der Nacht von Brüssel bleibt aber fast nichts anderes übrig. Man kann dem Autor auf Twitter folgen unter @avornbaeumen    

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