Ein Treffen konservativer EU-Regierungs- und Parteichefs schickte kurz vor Beginn des EU-Gipfeltreffens am Donnerstag in Brüssel mehrheitlich Patten ins Rennen um die Nachfolge des scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi. Deutschland und Frankreich unterstützten hingegen weiter Verhofstadt, der am Abend auch von der irischen EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagen werden sollte. Allerdings werde es wahrscheinlich für Verhofstadt keine ausreichende Mehrheit geben, sagte Portugals konservativer Regierungschef Jose Manuel Durao Barroso. Auch eine Verschiebung der Personalie galt als denkbar, falls keiner der beiden Kandidaten eine ausreichende Mehrheit bekommt. Der zweitägige Gipfel soll auch eine Einigung auf die EU-Verfassung bringen.
Widerstand gegen Verhofstadt
"Die irische Präsidentschaft bereitet sich darauf vor mitzuteilen, dass der Kandidat mit der größten Unterstützung der belgische Ministerpräsident ist", sagte Durao Barroso. Diese Kandidatur habe aber wohl keine großen Chancen: "Wahrscheinlich wird es eine Sperrminorität geben." Offen gegen Verhofstadt hat sich bereits Großbritannien ausgesprochen.
Die konservativ-christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) machte wegen ihres Erfolgs bei der Europawahl Ansprüche auf den Chefposten in der Kommission geltend. Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi schlug der irischen Ratspräsidentschaft Patten vor. Allerdings gelang es den zehn Regierungschefs der EVP-Mitgliedsparteien und weiteren Parteivorsitzenden offenbar nicht, eine breite Mehrheit für einen Kandidaten zu finden. Ein Teilnehmer des EVP-Treffens berichtete, Durao Barroso und der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker hätten sich zu Pattens Kandidatur enthalten.
In der Delegation des französischen Präsidenten Jacques Chirac hieß es, die EVP habe nicht abgestimmt, aber vier der zehn konservativen Regierungschefs seien gegen Patten gewesen. An dem EVP-Treffen nahm auch der französische Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin teil. Der deutsche Regierungssprecher Bela Anda sagte lediglich: "Diese Beratungen werden im Rat (der Regierungschefs) geführt und nirgendwo anders."
Verschiebung ist möglich
Möglicherweise werde weder Verhofstadt noch Patten ausreichende Unterstützung bekommen, hieß es in EVP-Kreisen. In dem Fall könne die Entscheidung verschoben werden. In der EVP hoffen viele, dann doch noch Juncker zu einer Kandidatur zu bewegen. Ein EU-Diplomat sagte, er habe Verhofstadt aus dem Büro der irischen Präsidentschaft kommen sehen. "Er sah nicht glücklich aus", sagte er.
Juncker galt als der einzige denkbare Kandidat aus dem konservativen Lager, der von fast allen EU-Regierungen unterstützt worden wäre. Er hat eine Kandidatur aber entschieden ausgeschlossen. Durao Barroso war einst selbst vom EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, Hans-Gert Pöttering, als Prodi-Nachfolger ins Gespräch gebracht worden.
Einigung wegen EU-Verfassung
Zum Auftakt der Gipfelberatungen wollten die 25 Staats- und Regierungschefs versuchen, einer Einigung auf die EU-Verfassung näher zu kommen. Bundeskanzler Gerhard Schröder zeigte sich optimistisch und sprach von einer guten Chance. Auch andere Regierungen hatten positiv auf jüngste Kompromissvorschläge Irlands reagiert, mit denen die verbleibenden Streitfragen geklärt werden sollen.
Diskutiert werden wird vor allem über die künftige Stimmverteilung im Ministerrat, eine in einigen Punkten von Großbritannien kritisierte Einschränkung nationaler Veto-Rechte und die Rechte der EU-Kommission bei der Überwachung nationaler Haushalte. Umstritten ist auch die Aufnahme eines Gottesbezugs in die Verfassung.
Umstrittene Neuregelungen zum Stabilitätspakt
Die EU-Kommission und Belgien stimmten kurz vor dem Gipfel dem irischen Kompromissvorschlag für Regelungen zum Stabilitätspakt in der Verfassung zu und kamen damit Deutschland entgegen. Währungskommissar Joaquin Almunia nannte den Kompromissvorschlag eine "sehr, sehr gute Basis für eine Einigung". Belgiens Finanzminister Didier Reynders sprach von einem guten Dokument. Gemeinsam mit den Niederlanden und auch Belgien und Österreich hatte die Kommission am Vortag noch Forderungen von Deutschland und anderen Ländern mit zu hohen Defiziten zurückgewiesen, die Befugnisse der Behörde bei der Kontrolle nationaler Haushalte weniger auszuweiten als geplant. Ein niederländischer Diplomat sagte hingegen, sein Land wolle erst über den Vorschlag auf dem Gipfel beraten.