Mit einem Eklat im Europäischen Parlament in Straßburg hat der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi seine turnusgemäße Amtszeit als EU-Ratspräsident begonnen. In der Aussprache nach seiner Antrittsrede verglich er den SPD- Abgeordneten Martin Schulz mit einem KZ-Schergen und löste damit tumultartige Szenen aus. Die Bundesregierung intervenierte gegenüber dem italienischen Botschafter in Berlin. Alle Parteien kritisierten Berlusconi, der die EU jetzt sechs Monate führt und nach außen vertritt.
Zweifel am Demokratieverständnis
In der Aussprache des Europaparlaments nach Berlusconis Erläuterung der Ziele seiner Präsidentschaft äußerten viele Abgeordnete vom linken Flügel Zweifel am Demokratieverständnis des italienischen Ministerpräsidenten. Auf Kritik stieß vor allem die kürzlich erfolgte Verabschiedung eines Gesetzes, das Berlusconi trotz eines laufenden Verfahrens sofort vor jeder Strafverfolgung schützt. Kritisiert wurde auch seine wirtschaftliche Verflechtung mit einem großen Teil der italienischen Medien.
Der Wortwechsel
"In Italien wird ein Film über Konzentrationslager gedreht. Ich lade Sie ein, die Rolle des Kapo zu spielen." (Der italienische Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi zum SPD-Abgeordneten Martin Schulz)
"Mein Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus verbietet es mir, darauf einzugehen." (Schulz’ Antwort)
"Sollten Sie nicht in der Lage sein, Ironie zu verstehen, dann tun Sie mir leid." (Gegenantwort Berlusconis)
Kritiker soll Kapo spielen
Vorwürfe gab es zudem in Bezug auf rechts orientierte Minister der Berlusconi-Koalition, zu der auch stark nationalistische Parteien gehören. Schulz kritisierte, Äußerungen aus diesen Reihen zur Einwanderungspolitik widersprächen der EU-Charta der Grundrechte. Er machte Berlusconi mitverantwortlich dafür. In seiner Erwiderung sagte Berlusconi, Schulz könne in einem Film über Konzentrationslager, der gerade in Italien gedreht werde, die Rolle eines Nazi-Schergen spielen: "Sie wären perfekt."
Keine Entschuldigung
Unter großem Beifall lehnte Schulz es "aus Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus" ab, auf diese Bemerkung einzugehen. Berlusconi verweigerte jede öffentliche Entschuldigung und warf Schulz vor, er habe keinen Sinn für Ironie. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok berichtete dem Sender "Radio EINS", Berlusconi habe in der konservativen Fraktion gesagt, wenn er die Gefühle des deutschen Volkes verletzt habe sollte, entschuldige er sich dafür. Schulz sagte der "Berliner Zeitung", eine Entschuldigung bei ihm selbst würde nicht ausreichen. Berlusconi müsse sich beim Europäischen Rat (Gremium der Regierungschefs) entschuldigen, dem er mit seinem Verhalten geschadet habe.
Deutsche Regierung nicht amüsiert
Der italienische Botschafter in Berlin, Silvio Fagiolo, wurde ins Kanzleramt einbestellt. Dort wurde ihm nach Angaben eines Regierungssprechers deutlich gemacht, dass die Äußerungen seines Ministerpräsidenten inakzeptabel seien. Sie stießen auf "Missbilligung", erklärte der Sprecher. Auffällig war, dass der Botschafter direkt ins Kanzleramt bestellt wurde und nicht, wie zumeist üblich, ins Auswärtige Amt.
Reaktionen in Deutschland
Parteiübergreifend stieß Berlusconis Auftritt auf Kritik und Vorbehalte. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz stellte sich hinter seinen Parteifreund Schulz. Im Zusammenhang mit den zahllosen Nazi- Opfern verbiete sich jede Ironie, erklärte er. Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) sprach von einem "missglückten Debüt der italienischen EU-Präsidentschaft". Die Grünen-Parteichefin Angelika Beer sagte: "Auch in einem grenzenlosen Europa muss es Grenzen geben, die von allen zu respektieren sind."
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestages, Matthias Wissmann (CDU), sagte: "Man kann nur hoffen, dass es gelingt, die Wogen wieder zu glätten. Um der Sache willen muss man den Erfolg der italienischen Ratspräsidentschaft wünschen."
In diesem Sinne hatten sich auch zahlreiche Redner im Europaparlament geäußert. So warnte der CDU-Abgeordnete Hans-Gerd Pöttering, Vorsitzender der Konservativen, davor, interne italienische Kontroversen auf europäischer Ebene auszutragen. Für die Sozialdemokraten betonte deren Vorsitzender Enrique Bàron, sie wollten und könnten nicht die Rolle der italienischen Opposition übernehmen. Schulz dagegen hatte auf dem Schlagabtausch bestanden mit dem Hinweis, Italien sei schließlich ein Teil der Europäischen Union.
Präsident des Europaparlaments wünscht eine Bereinigung
Der Präsident des Europaparlaments, Pat Cox, äußerte sich während der Sitzung zwar bedauernd über den Wortwechsel, vermied jedoch offene Kritik an Berlusconi. In einer Stellungnahme versicherte er erst später, Schulz habe "meine volle Sympathie und Solidarität". Er hoffe, dass Berlusconi die Angelegenheit so bald wie möglich bereinigen werde.
Auch in Italien äußerten Oppositionspolitiker ihre Bestürzung über die Wortwahl des Ministerpräsidenten. Dessen Koalitionspartner äußerten sich zurückhaltender. "Berlusconi ist von Herrn Schulz provoziert worden und ist in die Falle getappt", sagte der stellvertretende Ministerpräsident Gianfranco Fini. "Es wäre besser gewesen, er hätte sich dafür entschuldigt."