EU-Referendum Lasst die Briten gehen!

David Cameron hat den Briten ein Referendum zur EU versprochen. Und sie bekommen es. In vier Jahren. Aber es bleibt die Frage: Wird das Land dann noch abstimmen oder ist es nicht jetzt schon raus?

Während meiner Zeit als Korrespondentin in London habe ich viele Vorträge von Politikern und Politikbegeisterten gehört, die ihre Theorien zur EU vor mir ausbreiteten. Ob dies im Pub passierte oder in einem Vortragsraum - die Mehrheit hatte einen eindeutigen Grundtenor: Wir brauchen Euch nicht, aber Ihr braucht uns.

EU-Gegner riefen dabei nicht selten das alte Empire ins Gedächtnis: Die ehemaligen Kolonien seien eine viel natürlichere Gemeinschaft für das Vereinigte Königreich, der Commonwealth mit dem beliebten, weißen und weisen Oberhaupt Königin Elizabeth II. Oder man folge der Muttersprache und vereine von Indien bis zu den Vereinigten Staaten alle Länder der "Anglosphere", des englischen Einflusses.

Extrempositionen rücken immer mehr ins Zentrum

Anfangs habe ich solche Ideen für abwegig gehalten, absolute Außenseiterpositionen. Warum sollte zum Beispiel Indien lieber mit dem Vereinigten Königreich über gemeinsame Sicherheitspolitik beraten als mit Brüssel? Würden ehemalige Kolonien wirklich auf die Einladung der einstigen Kolonialherren warten? Und welche wirtschaftlichen Interessen hat Australien gemeinsam mit Großbritannien, auch wenn beide Englisch sprechen?

Doch in den sechs Jahren meines Aufenthalts rückten Vertreter dieser Extrempositionen immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der konservative Europa-Abgeordnete Daniel Hannan, zum Beispiel, verbreitet die Idee einer Anglosphere auf Vortragsreisen bis nach Australien. Es sind Politiker wie Hannan, die David Cameron vor sich hertreiben und die er auch mit der heutigen Rede nicht zufriedenstellen wird. Denn ein Referendum in frühestens vier Jahren ist nicht das, was Hannan und seine EU-skeptischen Kollegen wollen. Sie wollen auch keine Teilverhandlungen über Zugeständnisse für Großbritannien. Sie wollen raus. Hannan hat seine Mitstreiter gerade aufgerufen, für eben diese Mehrheit bei dem gerade versprochenen Referendum zu kämpfen. Heute schon.

Warum sollen wir sie mit aller Macht halten?

Die berechtigte Kritik Camerons an Demokratiedefiziten und Überregulierung in der EU verschwindet in Großbritannien unter einem Haufen von Falschinformationen, die Brüssel für fast alle Probleme verantwortlich machen - von übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz bis zum Auslieferungsstopp im Fall von verurteilten Terroristen. Wer die Briten von den Vorteilen der EU überzeugen will, muss diesen Falschinformationen entgegentreten. Die Frage ist nur: Warum sollte man sich dieser undankbaren Aufgabe annehmen? Wenn die Briten sich auch nach 40 Jahren EU-Mitgliedschaft nicht als Teil dieser Gemeinschaft fühlen und mit uns die Krise meistern wollen, warum wollen wir sie dann mit aller Macht halten?

Premier Cameron will seine Landsleute 2017 über die EU abstimmen lassen. Bis dahin sind noch vier Jahre Zeit, vier Jahre, in der Großbritannien nicht richtig drin und nicht richtig draußen sein wird bei jeder Verhandlung. Es könnte sein, dass die Briten dann gar keine wirkliche Wahl mehr haben werden. Weil sie schon längst soweit im Aus stehen, dass für einen Austritt kein Referendum mehr nötig ist.