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Lehrer-Mord in Frankreich "Das Herzstück unserer Geschichte steht unter Beschuss"

Die Ermordung des Geschichtslehrers Samuel Paty durch einen 18-jährigen mutmaßlichen Islamisten schockiert Frankreich. Medien in Frankreich, Deutschland und der Schweiz erwarten eine deutliche Reaktion der Republik. 

Nach dem Mord am 47-jährigen Geschichtslehrer Samuel Paty in der Nähe seiner Schule in Conflans-Sainte-Honorine will Frankreich stärker gegen Islamismus vorgehen. Der Lehrer war Freitag von einem 18-jährigen Russen tschetschenischer Herkunft enthauptet worden – offenbar, weil der mit seinen Schülern das Thema Meinungsfreiheit im Unterricht behandelt und dabei Mohammed-Karikaturen verwendet hatte. Die Ermittler gehen von einem islamistisch motivierten Terroranschlag aus. Deutsche, französische und Schweizer Medien werten die Ermordung des Lehrers als Angriff auf den Kern der Republik. Die Pressestimmen.

"Süddeutsche Zeitung": "Der Mord von Conflans-Sainte-Honorine gehört in der langen Serie von Attentaten, die Frankreich seit Jahren erlebt, zu den symbolisch und emotional besonders aufgeladenen Taten. Der Angriff trifft das Land ins Herz. Denn die tödliche Attacke auf einen Lehrer wirkt wie ein Attentat gegen die Institution Schule an sich, das Fundament der Republik, das im französischen Staatsverständnis für die demokratische Integration von Menschen jeder Herkunft und Religion sorgt."

 "Die Tageszeitung": "Es braucht einen Aufschrei – so wie nach dem Attentat auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt im Januar 2015, als Millionen Menschen für die Meinungsfreiheit auf die Straße gingen und als in vielen Redaktionen, Büros und Wohnungen der Slogan 'Ich bin Charlie' hing.

Es muss klar werden, dass die Französinnen und Franzosen sich nicht den Mund verbieten lassen, dass im Land der Aufklärung jeder das Recht hat, sich gegen die radikalen Auswüchse einer Religion zu stellen, die Muslime wie der Rektor der großen Moschee von Paris selbst so benennen. Die grausame Tat darf nicht zu Selbstzensur führen. Sie erfordert eine mutige Antwort. Das ist das Land dem ermordeten Lehrer schuldig."

"Welt": "Frankreich steht an einem Scheideweg. Den vielen Worten der Betroffenheit müssen jetzt entschiedene Taten folgen. Das Recht auf Blasphemie, das es nicht in allen Demokratien gibt und auf dem die Franzosen stur beharren, mag einem von außen unzeitgemäß oder altmodisch vorkommen. Aber je höher der Preis ist, den die Franzosen dafür bezahlen, desto härter werden sie dafür kämpfen müssen.

Frankreichs Präsident Macron hat erst vor zwei Wochen in einer bemerkenswerten Grundsatzrede die Grenzen der Toleranz gezogen. Wo sich der Islam als Separatismus zeige, werde ihn die Republik bekämpfen. Es wird ein Kampf Haus um Haus, Schule um Schule, in Bussen und Bahnen. Vor allem wird es einen sehr langen Atem brauchen."

"Südwest Presse": "Nach aktuellem Wissensstand der französischen Behörden hat der Mörder des Lehrers in der Nähe von Paris alleine gehandelt. Doch genauso wenig, wie die deutschen Rechtsterroristen Stephan B. in Halle oder Tobias R. in Hanau Einzeltäter waren, gilt das für diesen islamistischen Attentäter. Die Saat dieser Verbrechen ist Hass: auf die Meinungsfreiheit, auf eine vielfältige, offene Gesellschaft im Sinne von Karl Popper.

Es sei seine Aufgabe als Präsident, das Recht auf Blasphemie zu verteidigen, sagte Emmanuel Macron anlässlich des Charlie Hebdo-Prozesses. Es ist die Aufgabe von uns allen, den mutigen Journalisten und Lehrern, die ihr Leben riskieren, um die Meinungsfreiheit zu bewahren, nicht von der Seite zu weichen. Keinen Zentimeter."

Frankreich

"Le Figaro": "Samuel Paty war allen Zeugenaussagen zufolge warmherzig, wohlwollend, [...] von seinen Schülern angebetet... Das Gegenteil eines Provokateurs oder eines Brandstifters. Er starb - und unter welch schrecklichen Umständen! - weil er den Lehrplan zur moralischen und staatsbürgerlichen Erziehung in der achten Klasse anwenden wollte. Er starb dafür, dass er seinen Studenten zwei satirische Darstellungen Mohammeds zeigte. Ermordet für das Lehren von Freiheit."

 "Libération": "Wir müssen das Gedenken an den ermordeten Lehrer würdigen und die notwendigen Schritte unternehmen, damit das nationale Bildungssystem weiterhin friedlich den Urknall und Darwin, die sexuelle Fortpflanzung und das Schwimmen für Mädchen und Jungen aller Herkunft und Glaubensrichtungen lehren kann. Um zu versuchen, nicht zu verzweifeln."

"Le Monde": "Ein Mann wurde vorsätzlich brutal getötet, weil er die Freiheit des Denkens, Sprechens, Schreibens und Zeichnens in seine Lehre aufgenommen hatte. Diese Freiheit muss gelehrt werden. Sie ist einer der Grundwerte unseres Landes, sie ist das Herzstück unserer Geschichte, unserer Identität, unserer Kultur, und sie steht unter Beschuss."

"La Croix": "Samuel Paty wäre nicht getötet worden, wenn zuvor nicht im Internet gegen ihn gehetzt worden wäre. Denn erst dadurch ist der Mörder auf ihn aufmerksam geworden. (...) Auf der einen Seite gibt es Muslime, die ihre Religion friedlich und in Übereinstimmung mit dem Gesetz der (französischen) Republik ausüben.

Auf einer anderen extremen (Seite) gibt es Menschen, die bereit sind, im Namen des Islams blutige Taten zu begehen. (...) Wir müssen heute eine Trennung zwischen diesen Islamisten und Muslimen schaffen. (...) Und wir sollten mit dem Kampf gegen verbale Gewalt beginnen. Wir können nicht zulassen, dass über jemanden wie Samuel Paty gesagt wird, er hätte es verdient. Dadurch entsteht eine Mittäterschaft, die auch als solche geahndet werden sollte."

Schweiz

"Neue Zürcher Zeitung": "Die Karikaturen von 'Charlie Hebdo' provozieren. Sie können schockieren. Man muss sie nicht gut finden. Aber man muss sie tolerieren. Das wollte der Lehrer aus Conflans-Sainte-Honorine seinen Schülern klarmachen. Dass er dies mit seinem Leben bezahlen musste, hat Frankreich erschüttert. Denn der Angriff richtet sich auch gegen die Schule, jene Institution, deren Aufgabe es ist, die Werte der Republik zu vermitteln."

Quellen: "Merkur", "Süddeutsche Zeitung""Taz", "Welt""Le Figaro""Libération", "Le Monde", "NZZ".

tkr DPA AFP

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