Mitglieder des Weltsicherheitsrates haben bei einem eilig in New York einberufenen Treffen den blutigen Militäreinsatz Israels gegen die Gaza-Hilfsflotte verurteilt. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sagte in ungewöhnlich scharfer Form, Israel habe "jegliche internationale Legitimität verloren". Die Erstürmung des Hilfskonvois sei eine "schwere Verletzung des internationalen Rechts" für die es keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung gebe. "In einfachen Worten, das kommt Banditentum und Piraterie gleich, Mord im Auftrag des Staates". Die USA zeigten sich auf der Dringlichkeitssitzung des höchsten UN-Gremiums "tief besorgt" über die Entwicklung, äußerten aber auch Zweifel an dem Vorgehen der Aktivisten. Es gebe bessere Wege, humanitäre Güter an der Gazaküste anzuliefern, sagte der stellvertretende US-Botschafter Alejandro Wolff.
Bei der Kommandoaktion israelischer Elitesoldaten am frühen Montagmorgen wurden mindestens neun Aktivisten getötet. Mehr als 50 weitere Personen an Bord der "Gaza-Solidaritätsflotte" sowie sieben israelische Soldaten wurden verletzt, als das Militär von Booten und Hubschraubern aus sechs Schiffe enterte.
Großbritannien forderte Israel auf, eine Erklärung für den Verlust von Menschenleben zu liefern. Allerdings sei das Drama im Mittelmeer "kein isoliertes Ereignis". Vielmehr zeige es deutlicher denn je, dass Israel die Blockade des Gazastreifens aufgeben müsse. Der österreichische UN-Botschafter machte Israel wegen mangelnder Einhaltung von Resolutionen der Vereinten Nationen für die Situation verantwortlich. Er forderte die Regierung in Tel Aviv auf, sich an die internationalen Gesetze zu halten.
"Die Aktivisten wollten Israel provozieren"
Israel bemüht sich unterdessen, die weltweiten Wogen der Entrüstung zu glätten. "Diese Flotille war alles andere als eine echte humanitäre Mission", verteidigte der stellvertretende israelische UN-Botschafter Manuel Carmon sein Land. Vielmehr hätten die Aktivisten Israel provozieren wollen. Darum hätten sie auch das Angebot der Behörden zurückgewiesen, die Hilfsgüter auf dem Landweg in den Gazastreifen transportieren zu lassen. Außerdem gebe es keine humanitäre Krise in Gaza, sagte Carmon.
Die israelischen Streitkräfte veröffentlichten ein Video, auf dem zu sehen ist, wie offenbar Aktivisten an Bord des türkischen Schiffes auf israelische Soldaten einprügeln, die sich zuvor aus Hubschraubern an Deck abgeseilt hatten. "Das war nicht spontan, das war geplant", sagte ein hochrangiger israelischer Offizier. Angesichts des diplomatischen Flächenbrandes brach Regierungschef Netanjahu seinen Aufenthalt in Kanada ab, um nach Israel zurückzukehren. Ein ursprünglich geplantes Treffen mit US-Präsident Barack Obama in Washington sagte Netanjahu ab.
Fünf deutsche Aktivisten zurück aus Israel
Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte in Berlin Forderungen an Israel nach einem Ende der Blockade des Gazastreifens. Sie habe Netanjahu in einem Telefonat zur Aufhebung der Blockade aufgefordert, "weil das aus humanitären Gründen nicht in Ordnung ist", sagte Merkel am Montagabend in ARD und ZDF. Die Bundesregierung sei tief besorgt, dass es zur Eskalation kommen könne. Netanjahu hatte zuvor öffentlich "den Verlust an Leben" bedauert, aber zugleich von einer Selbstverteidigung der Soldaten gesprochen.
Unterdessen sind die beiden Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Annette Groth und Inge Höger, wieder in Deutschland. Die beiden Politikerinnen landeten nach Angaben eines Fraktionssprechers am Dienstag mit einem Flugzeug in Berlin. Zusammen mit ihnen kehrten auch drei weitere Deutsche zurück, die sich an der "Solidaritätsflotte" für den Gazastreifen beteiligt hatten. Nach neuesten Angaben des Auswärtigen Amtes waren insgesamt elf Deutsche an Bord der verschiedenen Schiffe. Zum Schicksal der weiteren sechs Bundesbürger gab es zunächst keine genauen Angaben.
Bestseller-Autor Mankell in israelischem Gewahrsam
Die israelische Marine brachte bis zum Montagabend alle sechs Hilfsschiffe in den Hafen von Aschdod. Dort wurden die mehr als 700 pro-palästinensischen Aktivisten aus rund 40 Ländern, unter ihnen auch der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell, befragt. Nach Angaben israelischer Behörden wurden rund 50 von ihnen bereits zum Flughafen gebracht, um sie in ihre Heimatländer abzuschieben. Weil sich mehrere Dutzend Aktivisten weigerten, sich zu identifizieren oder einer Abschiebung zuzustimmen, wurden sie in eine Haftanstalt gebracht.
Die Organisatoren des Hilfseinsatzes erklärten unterdessen, es seien bereits zwei weitere Schiffe auf dem Weg in die Region. Ein Frachtschiff und ein Schiff mit etwa 35 Menschen an Bord würden in zwei Tagen erwartet. Auch sie wollten versuchen, die Blockade zu durchbrechen.
Seit der Machtübernahme der radikalislamistischen Hamas vor drei Jahren kontrolliert Israel die Grenzen zum Gazastreifen streng und lässt nur begrenzt Hilfslieferungen in das Gebiet. Der jüngste Vorfall ereignete sich nach Angaben der Organisation Free Gaza in internationalen Gewässern im Mittelmeer - etwa 140 Kilometer vor der israelischen Küste. Die "Gazaflotte" wollte trotz der von Israel verhängten Seeblockade rund 10.000 Tonnen Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen.