16 Stunden nach Beginn des Irak-Krieges hat am Donnerstagabend eine große Angriffswelle zu Lande und aus der Luft begonnen. US-Flugzeuge und britische Jets schossen bei Angriffen auf das Zentrum von Bagdad Gebäude im Regierungsviertel in Brand. Nach Augenzeugenberichten stiegen aus Hochhäusern Flammen und schwarzer Rauch auf. Amerikanische und britische Elite-Einheiten seien in den Süd-Irak eingedrungen, meldeten der arabische Nachrichtensender El Dschasira und der US-Kabelsender CNN.
Nach britischen und arabischen Medienberichten sollen die Alliierten die strategisch wichtige südirakische Grenzstadt Umm Kasr eingenommen haben. Der Umschlagplatz für Öltanker liegt 50 Kilometer südlich der Stadt Basra, die als erstes großes Ziel der Bodenoffensive gilt. Im kurdischen Norden des Irak und in Kuwait-Stadt setzte eine Fluchtwelle ein.
Ein BBC-Reporter, der im Konvoi von tausenden US-Fahrzeugen auf die Grenze vorrückte, berichtete: «Der Bodenkrieg hat begonnen.» Dies wurde inoffiziell aus Kreisen des US-Verteidigungsministeriums bestätigt.
Etwa 10 000 gepanzerte US-Militärfahrzeuge
bewegten sich am Abend auf den Süd-Irak zu. US-Marine-Infanteristen und britische Royal Marines überquerten die Grenze zum Irak. Laut BBC wurden zahlreiche Raketen abgefeuert. CNN zitierte einen US-Regierungsbeamten mit den Worten, eine bedeutende Eskalation des Irak-Krieges habe begonnen.
Britische Soldaten seien jetzt «zu Wasser, zu Lande und in der Luft» an der Militäroffensive zum Sturz des irakischen Machthabers Saddam Hussein beteiligt, sagte der britische Premier Tony Blair in einer am späten Donnerstagabend ausgestrahlten Fernsehansprache. «Saddam zu entmachten, wird ein Segen für das irakische Volk sein.»
Regierungsviertel unter Beschuss
Nach amerikanischen Medienberichten wurden am Abend 72 Marschflugkörper auf das Regierungsviertel von Bagdad abgefeuert. In dem Viertel haben auch staatliche Medien ihre Büros. Die irakische Luftabwehr eröffnete das Gegenfeuer. Der Angriff dauerte etwa zehn Minuten. Danach war es zunächst wieder ruhig.
In Großbritannien stationierte amerikanische Langstreckenbomber vom Typ B-52 wurden am Donnerstag mit Marschflugkörpern und anderem Kriegsgerät beladen. Die Bomber können innerhalb von fünf bis sechs Stunden den Norden des Irak erreichen. Zuvor hatte die Türkei nach langem Zögern ihren Luftraum für US-Militärflüge geöffnet.
"Iraqi Freedom"
Der Krieg unter der Code-Bezeichnung «Operation irakische Freiheit» hatte am Donnerstagmorgen um 3.33 Uhr MEZ mit einem ersten gezielten Schlag gegen Saddam begonnen. Nur 90 Minuten nach Ablauf des amerikanischen Ultimatums an den irakischen Machthaber feuerten US-Streitkräfte Marschflugkörper und Präzisionsbomben auf dessen vermuteten Aufenthaltsort in Bagdad. Der irakische Informationsminister Mohammed Sajjid el Sahhaf sagte, Saddam habe den Angriff überlebt. US-Präsident George W. Bush warnte, dass ein langer Krieg bevorstehen könnte.
Die irakische Armee feuerte als erste Antwort auf den Angriff vier Raketen mit konventionellem Sprengköpfen auf den Norden Kuwaits, wo amerikanische und britische Soldaten stationiert sind.
Der Beginn des Krieges löste in aller Welt Betroffenheit und in vielen Ländern Kritik aus. In Deutschland und anderen Staaten wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. In verschiedenen Städten im In- und Ausland gab es erste große Protestkundgebungen. In Deutschland demonstrierten rund 200 000 Menschen gegen den Krieg. Auch in Paris, London, Barcelona, Mailand, Athen, Kairo, Sydney und San Francisco gab es Großdemonstrationen. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte: «Es ist die falsche Entscheidung getroffen worden.»
Aufruf zur Befehlsverweigerung
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld rief die irakischen Streitkräfte zur Befehlsverweigerung auf. «Die Tage des irakischen Regimes sind gezählt», sagte Rumsfeld und kündigte eine Militäraktion an, die alles bisher Gesehene übertreffen werde. Er teilte mit, dass im Süden des Irak drei bis vier Ölquellen brennen.
Saddam wandte sich kurz nach Beginn des Krieges in einer Fernsehansprache an die Iraker und erklärte den «Heiligen Krieg» gegen das «amerikanisch-zionistische Bündnis». Am Abend wurde er noch einmal vor dem Revolutionären Kommandorat gezeigt.
Kurz nach Kriegsbeginn erklärte Bush in einer kurzen Rede an die Amerikaner: «Dies sind die ersten Stufen eines breit angelegten und koordinierten Feldzugs.» Der Krieg gegen den Irak könne «länger und schwieriger sein, als einige voraussagen», und werde «kein halbherziger Feldzug» sein.
Jacques Chirac: «schwerwiegende Folgen»
Russland und China verlangten eine umgehende Einstellung der militärischen Aktionen und sprachen von einem Verstoß gegen internationales Recht. Der französische Präsident Jacques Chirac befürchtet «schwerwiegende Folgen» für die Zukunft.
Die Europäische Union verpflichtete sich zu massiven Hilfeleistungen für die vom Krieg betroffene Bevölkerung des Irak. Eine entsprechende Erklärung veröffentlichten die Staats- und Regierungschefs der 15 Länder am Donnerstagabend bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel.