USA "Bidenomics": Wie Joe Biden mit seiner Wirtschaftsagenda Wahlkampf macht

  • von Jannik Tillar
US-Präsident Joe Biden hält eine Rede an einem Rednerpult mit zwei Mikros
US-Präsident Joe Biden hat seiner Wirtschaftspolitik das Label "Bidenomics" verpasst
© Evan Vucci/AP
US-Präsident Joe Biden bricht im Wahlkampf radikal mit der Wirtschaftspolitik seiner Vorgänger. Denn die Amerikaner glaubten viele Jahre, dass gute Rahmenbedingungen für Unternehmen irgendwann bei allen ankommen.

Dass US-Präsident Joe Biden gerade Rückenwind hat, zeigt wohl am besten eine Szene vom Mittwoch. Da steht Biden, umrahmt von US-Flaggen, auf einer Bühne in Chicago und spricht zur amerikanischen Bevölkerung. Es geht um die Wirtschaft, und wie gut sich diese doch zuletzt entwickelt habe. 13 Millionen Jobs seien geschaffen worden, erklärt Biden. Hinter ihm prangen gigantische Schilder mit dem Aufdruck "Bidenomics". 

Noch vor wenigen Monaten wäre diese Szene undenkbar gewesen. Nicht die Rede an sich, sondern das Ambiente. Lange Zeit galten Biden und Wirtschaft als Antonyme, zwei sich entgegenstehende Begriffe wie Sieg und Niederlage. Doch seit Bidens milliardenschwere Standortpolitik greift, ist "Bidenomics", ein Kofferwort aus Biden und Economics, zum Schlagwort im Präsidentschaftswahlkampf geworden.

Joe Biden will mit Wirtschaftsagenda punkten

Es ist nicht der erste Versuch, mit Bidens Wirtschaftsagenda bei den Wählerinnen und Wählern zu punkten. Bislang hatte das aber keinen Erfolg. In so gut wie jeder Umfrage seit 2021 missbilligten die Amerikaner die Wirtschaftspolitik der Biden-Regierung. Das lag allerdings auch an der grassierenden Inflation, die für viele Bürgerinnen und Bürger Reallohnverluste bedeutete. Aber angesichts der aktuellen Kombination aus einem robusten Arbeitsmarkt und sinkender Inflation glaubt Bidens Team, dass es nun besser in der Lage ist, seine Politik zu verkaufen – daher nutzt man zum ersten Mal offen den Begriff Bidenomics. 

Bidenomics ist mehr als ein Begriff, es steht für den größten ökonomischen Wandel seit den 1980er-Jahren. Damals führte Präsident Ronald Reagan die Trickle-down-Ökonomie ein. Deren Kernbotschaft: Gute Rahmenbedingungen für Unternehmen kommen irgendwann in der breiten Bevölkerung und sogar bei ärmeren Schichten an – wie durch einen Trichter, in den man oben etwas hineinschüttet. 

US-Präsident kehrt Wirtschaftspolitik um

Biden kehrt dieses republikanische Mantra jetzt gewissermaßen um. "Der Präsident verfolgt einen Ansatz, der die Wirtschaft von der Mitte nach außen und von unten nach oben wachsen lässt und der sich stark auf das Wachstum unserer Mittelschicht konzentriert", erklärte Lael Brainard, die Direktorin des Wirtschaftsrats im Weißen Haus.

Für die Republikaner ist Trickle down nach wie vor das Leitmotiv. Typerweise dreht sie sich um Steuersenkungen für wohlhabende und große Unternehmen. Befürworter sagen, dass die Vorteile der Mittelschicht und den arbeitenden Amerikanern zugutekommen und das Wirtschaftswachstum insgesamt ankurbeln. Viele Experten bestreiten jedoch die Wirksamkeit dieser Praxis.

Bidens demokratische Vorgänger wie Bill Clinton oder Barack Obama stutzten die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik zwar auch – bauten daraus aber keine Kommunikationslinie für den Wahlkampf, wie Biden es jetzt tut.

Biden argumentiert, dass die angebotsseitige Trickle-down-Wirtschaft Arbeitsplätze gekostet und die Mittelschicht ausgehöhlt habe. Tatsächlich konzentriert sich Biden aber schon lange auf diese Personengruppe – zum Beispiel als Vorsitzender der Middle Class Task Force in der Obama-Regierung. "Bidenomics wurzelt in der Überzeugung, dass wir die Wirtschaft wachsen lassen, wenn wir die Mittelschicht wachsen lassen", sagte Olivia Dalton, stellvertretende Pressesprecherin im Weißen Haus. 

Drei Grundprinzipien der Bidenomics

Zu Bidens zentralen Forderungen gehören, dass große und kapitalstarke Unternehmen ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen. In einem Faktenblatt, dass das Weiße Haus jüngst an Journalisten verteilte, werden insgesamt drei Grundprinzipien dargestellt: 

1. Öffentliche Investitionen in den USA 

Die Biden-Regierung will sich vor allem in die Bereiche Infrastruktur, Energiewende und Halbleiter konzentrieren und hierfür auch private Investitionen anziehen. Seit Bidens Amtsantritt im Jahr 2021 seien bereits fast 500 Mrd. US-Dollar an Zusagen des privaten Sektors angeregt worden. Maßgeblich angeschoben wurden diese durch drei große Pakete, den Infrastructure Investment and Jobs Act, den Inflation Reduction Act und den Chips Act. Diese sehen jeweils direkte Finanzierung und Steueranreize für den öffentlichen und privaten Bau von Produktionsanlagen vor. In dieser Woche kündigte Biden außerdem an, insgesamt 42 Mrd. US-Dollar in den 5G-Ausbau zu investieren. Ziel sei es, mehr Amerikanern Konnektivität zu ermöglichen und die digitale Kluft zwischen den Regionen zu schließen. 

2. Stärkung und Ausbildung amerikanischer Arbeitnehmer 

Die US-Regierung konzentriert sich in Sachen Ausbildung vor allem auf zwei Bereiche: Jobs der Zukunft und einfache Arbeiten. Helfen soll hier das 500 Mio. Dollar schwere Good-Jobs-Challenge-Paket. Biden glaubt, dass aus einfachen Jobs später auch Jobs mit besserer Bezahlung, besseren Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen werden könnten. Arbeitgeber versuchten schließlich, Arbeitskräfte anzuziehen und zu halten. Und je mehr Jobs insgesamt entstehen, umso mehr Verhandlungsmacht liege hierfür bei den Arbeitnehmern. 

3. Wettbewerb fördern 

Die Biden-Administration hat eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um den Wettbewerb zwischen den Unternehmen anzukurbeln. Das bekommen vor allem die Digitalriesen Amazon, Alphabet & Co. zu spüren, die aktuell mit einer Reihe von Klagen durch die Wettbewerbsbehörde FTC überzogen werden. Aber auch die Pharmabranche nimmt Biden in den Fokus. Ein Passus des Inflation Reduction Acts ordnet beispielsweise an, dass die Insulinkosten für Medicare-Mitglieder maximal 35 US-Dollar pro Monat betragen dürfen.

Ob diese Maßnahmen allerdings so gut bei den Amerikanern ankommen, darf stark infrage gestellt werden. Das weiß auch die Biden-Regierung. Sie befürchtet, dass die wirtschaftlichen Probleme, die während Bidens Präsidentschaft auftraten – darunter Inflation, Arbeitskräftemangel und stockende Lieferketten –, sich nun in den Köpfen der Amerikaner als politisches Versagen festgesetzt haben. Die Republikaner haben Bidens Wirtschaftsbilanz schonungslos kritisiert, insbesondere in Bezug auf die Inflation, da der Verbraucherpreisindex im vergangenen Monat immer noch mit vier Prozent über dem Vorjahr lag. 

Ein Fahrzeug der US-Grenzpatrouille fährt in El Paso, Texas, an Migranten vorbei
Ein Fahrzeug der US-Grenzpatrouille fährt in El Paso, Texas, an Migranten vorbei.
© John Moore / Getty Images / AFP
Diese Woche endet eine restriktive US-Asylregel: Tausende Migranten sammeln sich an der Grenze

"[Biden] verfolgt weiterhin die gleiche Politik der großen Regierung und der hohen Ausgaben, die uns überhaupt erst in dieses Schlamassel gebracht hat", sagte John Thune, ein republikanischer Senator aus South Dakota. "Und deshalb ist es für mich ehrlich gesagt überraschend, wenn der Präsident weiterhin Dinge sagt wie: ‚Fleißige Familien ernten die Früchte der Politik‘. Fleißige Familien profitieren sicherlich von der Politik des Präsidenten, aber das hat wenig mit ihrer Leistung zu tun."