Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat den Westen in scharfen Worten vor Naivität gegenüber Russland gewarnt. "Mein Volk und ich beobachten mit einer gewissen Sorge, wie wenig wahrgenommen wird, was sich derzeit in den Weiten Russlands zusammenbraut", sagte Kallas am Dienstagabend in Hamburg als Gastrednerin auf dem traditionellen Matthiae-Mahl, an dem auch Kanzler Olaf Scholz teilnahm. "Aus subjektiver Sicht ist es verständlich, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion im Westen eine Art Triumphgefühl auslöste", fügte sie hinzu. Es sei zudem verständlich, dass man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunächst auf Reformkräfte in Russland gesetzt habe. "Diese Haltung hat den Westen jedoch in die Gefahr des Wunschdenkens gebracht", warnte Kallas.
Kaja Kallas erinnert an Begebenheit mit Putin aus dem Jahr 1994
Sie erinnerte an den früheren estnischen Präsidenten Lennart Meri, der 1994 Ehrengast auf dem Matthiae-Mahl gewesen war und damals vor russischem Neoimperialismus gewarnt hatte. Wladimir Putin, der damals als stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg an dem Essen in Hamburg teilgenommen hatte, habe nach der Rede das Mahl verärgert verlassen. Man solle sich heute nicht davon ablenken lassen, wenn Russland dem Westen Angst machen wolle. Stattdessen solle man alles tun, "um die Ukraine dabei zu unterstützen, Russland in sein Gebiet zurückzudrängen", forderte die Ministerpräsidentin. "Unser Mantra sollte lauten, dass Verteidigung nicht Eskalation bedeutet."
Kallas lobte, dass Deutschland mittlerweile die Militärhilfe für die Ukraine drastisch angehoben habe und sich militärisch im Baltikum engagiere. Sie erinnerte auch an die 60 Professoren der Universität Hamburg, die im Jahr 2004 erfolgreich gegen die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Putin protestiert hätten.
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Der 40-Jährige ist einer der erfahrensten und am besten vernetzten Aktivisten der russischen Opposition. Der gebürtige Moskauer ist schon seit Anfang der 2000er-Jahre in verschiedenen Anti-Kreml-Parteien und Widerstandsbewegungen aktiv. Während der Protestbewegung nach der Parlamentswahl 2011 hatte Jaschin eine viel beachtete Beziehung mit der Moskauer Party-Königin Xenia Sobtschak, die sich der Opposition zugewandt hatte. Jaschin äußerte heftige Kritik am Angriff auf die Ukraine, wofür er 2022 festgenommen wurde. Das Urteil: achteinhalb Jahre Gefängnis für das Verbreiten angeblich "falscher Informationen" über die russischen Streitkräfte.
Die estnische Regierungschefin, eine scharfe Kritikerin des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, war vor wenigen Tagen von Moskau gemeinsam mit weiteren Personen zur Fahndung ausgeschrieben worden. Als Grund wurde "eine Strafsache" genannt, Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warf den Betroffenen "feindliche Handlungen gegenüber dem historischen Andenken und unserem Land" vor.